Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ja kein Zweifel bestehen -- die Erbschaft Napoleon's zunächst nur von der
Republik angetreten werden konnte. An sich war die republikanische Oppo¬
sition für Napoleon bei weitem weniger gefährlich, als sie es für die Orleans
gewesen war. Napoleon hatte seinen Thron aus dem Boden der Demokratie
begründet; das Kaiserthum war ja eben nichts anderes als die monarchisch
organisirte Demokratie. Diese Organisation beherrschte der Kaiser militärisch
und administrativ vollkommen. Die ihm allerdings feindlich gesinnte, den
Einflüssen der radikalsten ^Demagogie unterworfenene hauptstädtische De¬
mokratie hielt er thatsächlich durch eine ihm unbedingt ergebene starke Be¬
satzung in Zaum, und principiell hat er ihr die gesammte Demokratie des
Landes entgegengestellt. Darin liegt die Bedeutung der Plebiscite, die
für Napoleon nichts weniger als eine Spielerei, auch keine bloße Spiegel¬
fechterei sondern im wahren Sinne die gesetzliche Grundlage, und zwar eine
sehr starke Grundlage, seiner Herrschaft waren. Er hatte seine Macht durch
einen Staatsstreich erlangt; aber auch die von ihm außer Besitz gesetzte Re¬
publik hatte ihr Dasein einem Staatsstreich verdankt, nicht minder wie die
parlamentarische Monarchie; Frankreich hatte sich daran gewöhnt, seine Ge¬
schicke durch revolutionäre Erhebungen und Gewaltthaten bestimmen zu lassen;
ob die Gewalt von einigen Demagogen vermittelst der Pariser Bevölkerung,
ob sie von einem Usurpator, der über eine Armee verfügt, geübt wurde, machte
staatsrechtlich keinen besonderen Unterschied. Darin aber lag ein großer Un¬
terschied, daß die Demagogie es nicht für nöthig hielt, die durch eine Erhe¬
bung der hauptstädtischen Bevölkerung erzielten Ergebnisse vom Lande feierlich
und ausdrücklich bestätigen zu lassen, daß sie vielmehr thatsächlich von dem
Grundsatz ausging: was der Pariser beschließt, bindet das französische Volk;
während Napoleon sich beeilte, seine Usurpation durch die ausdrückliche Bei¬
stimmung der Nation bestätigen zu lassen und dadurch eine Grundlage für
seine Herrschaft zu gewinnen,, deren sowohl das Julikönigthum, wie die Re¬
publik von 1848 entbehrt hatte. Die Julimonarchie beruhte auf zwei Aktio¬
nen: der Quasi-Legitimität und der Quasi-Volkssouveränetät; die Republik
berief sich auf das Recht der Revolution, d. h. den Willen der Pariser Bar-
rikadenkämpfer; Napoleon brach mit dem Princip der Legitimität, er erkannte
die Volkssouveränetät unbedingt an: die Anerkennung durch das Volk war
für ihn der einzige Rechtstitel. Allerdings ging der Ausübung des höchsten
Rechtes der Volkssouveränetät die Usurpation der Macht, welche das Volk
ihm übertragen sollte, voran, und das war die schwache Seite in seinem Sy¬
stem. Indessen dieser Mangel konnte in Frankreich grade, dem Lande der
periodischen Revolutionen und Usurpationen, am wenigsten Anstoß erregen.
Die Thatsache stand einmal fest, daß die weit überwiegende Mehrzahl der
Franzosen das Kaiserthum feierlich legalisirt hatte, die Demokratie hatte sich


ja kein Zweifel bestehen — die Erbschaft Napoleon's zunächst nur von der
Republik angetreten werden konnte. An sich war die republikanische Oppo¬
sition für Napoleon bei weitem weniger gefährlich, als sie es für die Orleans
gewesen war. Napoleon hatte seinen Thron aus dem Boden der Demokratie
begründet; das Kaiserthum war ja eben nichts anderes als die monarchisch
organisirte Demokratie. Diese Organisation beherrschte der Kaiser militärisch
und administrativ vollkommen. Die ihm allerdings feindlich gesinnte, den
Einflüssen der radikalsten ^Demagogie unterworfenene hauptstädtische De¬
mokratie hielt er thatsächlich durch eine ihm unbedingt ergebene starke Be¬
satzung in Zaum, und principiell hat er ihr die gesammte Demokratie des
Landes entgegengestellt. Darin liegt die Bedeutung der Plebiscite, die
für Napoleon nichts weniger als eine Spielerei, auch keine bloße Spiegel¬
fechterei sondern im wahren Sinne die gesetzliche Grundlage, und zwar eine
sehr starke Grundlage, seiner Herrschaft waren. Er hatte seine Macht durch
einen Staatsstreich erlangt; aber auch die von ihm außer Besitz gesetzte Re¬
publik hatte ihr Dasein einem Staatsstreich verdankt, nicht minder wie die
parlamentarische Monarchie; Frankreich hatte sich daran gewöhnt, seine Ge¬
schicke durch revolutionäre Erhebungen und Gewaltthaten bestimmen zu lassen;
ob die Gewalt von einigen Demagogen vermittelst der Pariser Bevölkerung,
ob sie von einem Usurpator, der über eine Armee verfügt, geübt wurde, machte
staatsrechtlich keinen besonderen Unterschied. Darin aber lag ein großer Un¬
terschied, daß die Demagogie es nicht für nöthig hielt, die durch eine Erhe¬
bung der hauptstädtischen Bevölkerung erzielten Ergebnisse vom Lande feierlich
und ausdrücklich bestätigen zu lassen, daß sie vielmehr thatsächlich von dem
Grundsatz ausging: was der Pariser beschließt, bindet das französische Volk;
während Napoleon sich beeilte, seine Usurpation durch die ausdrückliche Bei¬
stimmung der Nation bestätigen zu lassen und dadurch eine Grundlage für
seine Herrschaft zu gewinnen,, deren sowohl das Julikönigthum, wie die Re¬
publik von 1848 entbehrt hatte. Die Julimonarchie beruhte auf zwei Aktio¬
nen: der Quasi-Legitimität und der Quasi-Volkssouveränetät; die Republik
berief sich auf das Recht der Revolution, d. h. den Willen der Pariser Bar-
rikadenkämpfer; Napoleon brach mit dem Princip der Legitimität, er erkannte
die Volkssouveränetät unbedingt an: die Anerkennung durch das Volk war
für ihn der einzige Rechtstitel. Allerdings ging der Ausübung des höchsten
Rechtes der Volkssouveränetät die Usurpation der Macht, welche das Volk
ihm übertragen sollte, voran, und das war die schwache Seite in seinem Sy¬
stem. Indessen dieser Mangel konnte in Frankreich grade, dem Lande der
periodischen Revolutionen und Usurpationen, am wenigsten Anstoß erregen.
Die Thatsache stand einmal fest, daß die weit überwiegende Mehrzahl der
Franzosen das Kaiserthum feierlich legalisirt hatte, die Demokratie hatte sich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0293" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/130937"/>
          <p xml:id="ID_894" prev="#ID_893" next="#ID_895"> ja kein Zweifel bestehen &#x2014; die Erbschaft Napoleon's zunächst nur von der<lb/>
Republik angetreten werden konnte. An sich war die republikanische Oppo¬<lb/>
sition für Napoleon bei weitem weniger gefährlich, als sie es für die Orleans<lb/>
gewesen war. Napoleon hatte seinen Thron aus dem Boden der Demokratie<lb/>
begründet; das Kaiserthum war ja eben nichts anderes als die monarchisch<lb/>
organisirte Demokratie. Diese Organisation beherrschte der Kaiser militärisch<lb/>
und administrativ vollkommen. Die ihm allerdings feindlich gesinnte, den<lb/>
Einflüssen der radikalsten ^Demagogie unterworfenene hauptstädtische De¬<lb/>
mokratie hielt er thatsächlich durch eine ihm unbedingt ergebene starke Be¬<lb/>
satzung in Zaum, und principiell hat er ihr die gesammte Demokratie des<lb/>
Landes entgegengestellt. Darin liegt die Bedeutung der Plebiscite, die<lb/>
für Napoleon nichts weniger als eine Spielerei, auch keine bloße Spiegel¬<lb/>
fechterei sondern im wahren Sinne die gesetzliche Grundlage, und zwar eine<lb/>
sehr starke Grundlage, seiner Herrschaft waren. Er hatte seine Macht durch<lb/>
einen Staatsstreich erlangt; aber auch die von ihm außer Besitz gesetzte Re¬<lb/>
publik hatte ihr Dasein einem Staatsstreich verdankt, nicht minder wie die<lb/>
parlamentarische Monarchie; Frankreich hatte sich daran gewöhnt, seine Ge¬<lb/>
schicke durch revolutionäre Erhebungen und Gewaltthaten bestimmen zu lassen;<lb/>
ob die Gewalt von einigen Demagogen vermittelst der Pariser Bevölkerung,<lb/>
ob sie von einem Usurpator, der über eine Armee verfügt, geübt wurde, machte<lb/>
staatsrechtlich keinen besonderen Unterschied. Darin aber lag ein großer Un¬<lb/>
terschied, daß die Demagogie es nicht für nöthig hielt, die durch eine Erhe¬<lb/>
bung der hauptstädtischen Bevölkerung erzielten Ergebnisse vom Lande feierlich<lb/>
und ausdrücklich bestätigen zu lassen, daß sie vielmehr thatsächlich von dem<lb/>
Grundsatz ausging: was der Pariser beschließt, bindet das französische Volk;<lb/>
während Napoleon sich beeilte, seine Usurpation durch die ausdrückliche Bei¬<lb/>
stimmung der Nation bestätigen zu lassen und dadurch eine Grundlage für<lb/>
seine Herrschaft zu gewinnen,, deren sowohl das Julikönigthum, wie die Re¬<lb/>
publik von 1848 entbehrt hatte. Die Julimonarchie beruhte auf zwei Aktio¬<lb/>
nen: der Quasi-Legitimität und der Quasi-Volkssouveränetät; die Republik<lb/>
berief sich auf das Recht der Revolution, d. h. den Willen der Pariser Bar-<lb/>
rikadenkämpfer; Napoleon brach mit dem Princip der Legitimität, er erkannte<lb/>
die Volkssouveränetät unbedingt an: die Anerkennung durch das Volk war<lb/>
für ihn der einzige Rechtstitel. Allerdings ging der Ausübung des höchsten<lb/>
Rechtes der Volkssouveränetät die Usurpation der Macht, welche das Volk<lb/>
ihm übertragen sollte, voran, und das war die schwache Seite in seinem Sy¬<lb/>
stem. Indessen dieser Mangel konnte in Frankreich grade, dem Lande der<lb/>
periodischen Revolutionen und Usurpationen, am wenigsten Anstoß erregen.<lb/>
Die Thatsache stand einmal fest, daß die weit überwiegende Mehrzahl der<lb/>
Franzosen das Kaiserthum feierlich legalisirt hatte, die Demokratie hatte sich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0293] ja kein Zweifel bestehen — die Erbschaft Napoleon's zunächst nur von der Republik angetreten werden konnte. An sich war die republikanische Oppo¬ sition für Napoleon bei weitem weniger gefährlich, als sie es für die Orleans gewesen war. Napoleon hatte seinen Thron aus dem Boden der Demokratie begründet; das Kaiserthum war ja eben nichts anderes als die monarchisch organisirte Demokratie. Diese Organisation beherrschte der Kaiser militärisch und administrativ vollkommen. Die ihm allerdings feindlich gesinnte, den Einflüssen der radikalsten ^Demagogie unterworfenene hauptstädtische De¬ mokratie hielt er thatsächlich durch eine ihm unbedingt ergebene starke Be¬ satzung in Zaum, und principiell hat er ihr die gesammte Demokratie des Landes entgegengestellt. Darin liegt die Bedeutung der Plebiscite, die für Napoleon nichts weniger als eine Spielerei, auch keine bloße Spiegel¬ fechterei sondern im wahren Sinne die gesetzliche Grundlage, und zwar eine sehr starke Grundlage, seiner Herrschaft waren. Er hatte seine Macht durch einen Staatsstreich erlangt; aber auch die von ihm außer Besitz gesetzte Re¬ publik hatte ihr Dasein einem Staatsstreich verdankt, nicht minder wie die parlamentarische Monarchie; Frankreich hatte sich daran gewöhnt, seine Ge¬ schicke durch revolutionäre Erhebungen und Gewaltthaten bestimmen zu lassen; ob die Gewalt von einigen Demagogen vermittelst der Pariser Bevölkerung, ob sie von einem Usurpator, der über eine Armee verfügt, geübt wurde, machte staatsrechtlich keinen besonderen Unterschied. Darin aber lag ein großer Un¬ terschied, daß die Demagogie es nicht für nöthig hielt, die durch eine Erhe¬ bung der hauptstädtischen Bevölkerung erzielten Ergebnisse vom Lande feierlich und ausdrücklich bestätigen zu lassen, daß sie vielmehr thatsächlich von dem Grundsatz ausging: was der Pariser beschließt, bindet das französische Volk; während Napoleon sich beeilte, seine Usurpation durch die ausdrückliche Bei¬ stimmung der Nation bestätigen zu lassen und dadurch eine Grundlage für seine Herrschaft zu gewinnen,, deren sowohl das Julikönigthum, wie die Re¬ publik von 1848 entbehrt hatte. Die Julimonarchie beruhte auf zwei Aktio¬ nen: der Quasi-Legitimität und der Quasi-Volkssouveränetät; die Republik berief sich auf das Recht der Revolution, d. h. den Willen der Pariser Bar- rikadenkämpfer; Napoleon brach mit dem Princip der Legitimität, er erkannte die Volkssouveränetät unbedingt an: die Anerkennung durch das Volk war für ihn der einzige Rechtstitel. Allerdings ging der Ausübung des höchsten Rechtes der Volkssouveränetät die Usurpation der Macht, welche das Volk ihm übertragen sollte, voran, und das war die schwache Seite in seinem Sy¬ stem. Indessen dieser Mangel konnte in Frankreich grade, dem Lande der periodischen Revolutionen und Usurpationen, am wenigsten Anstoß erregen. Die Thatsache stand einmal fest, daß die weit überwiegende Mehrzahl der Franzosen das Kaiserthum feierlich legalisirt hatte, die Demokratie hatte sich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/293
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/293>, abgerufen am 25.08.2024.