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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Kampf gegen das Reich mit den unglaublichsten Mitteln betrieben, die
Religion in Gefahr erklärten und ganz offen und ungenirt auf die Unter¬
stützung "der französischen Brüder" hinwiesen, scheute man sich von protestan¬
tischer Seite mit ganz wenigen Ausnahmen, den Kampf auf demjenigen Bo¬
den auszunehmen, auf welchem ihn der Gegner selbst angeboten hatte, d. h.
der confessionellen Bewegung wieder eine confessionelle entgegenzusetzen, un¬
geachtet vielleicht nirgends in Deutschland die Verhältnisse zu einem solchen
Kampf günstiger gestaltet sind, als in Schwaben, wo das protestantische
Bewußtsein alle'Kreise der evangelischen Kirche gleichmäßig durchdringt und
nur der geeigneten Anregung bedarf. Fehlte es auch bei der dermaligen Lage
Deutschlands an letzterer nicht, so war doch bisher der Protestantismus in
Württemberg im engsten Zusammenhang mit der "großdeutschen" Politik der
letzten Jahre an Haupt und Gliedern gefesselt: und hat sich trotz der neusten
Wendung der württembergischen Politik seiner Banden bisher nicht entledigen
können.

Bekanntlich ist der allmächtige Minister Württembergs, Herr von Mitt¬
nacht, selbst Katholik. Er ist zwar, das geben wir gern zu. kein Ultramon¬
taner: aber er hat, im Gegensatz zu seinen bayrischen Collegen, es seither
trefflich verstanden, jedem Conflict mit der Kirche aus dem Wege zu gehen,
und die Leiter der kirchlichen Bewegung betrachten ihn daher noch heutigen
Tags als einen guten Katholiken, auf den sie rechnen zu dürfen glauben.
Sie schonen ihn möglichst, weil sie wissen, welch hohen Werth es für sie hat.
daß an der Spitze der Regierung des protestantischen Staates Württemberg
gerade ein Katholik steht. Jeder Katholik scheint sich in seinem Auftreten
gegenüber der Staatsgewalt, bei dem Gedanken an diese oberste Leitung der
Negierung ganz besonders sicher zu fühlen, und das katholische Beamtenthum
namentlich nimmt sich Rücksichtslosigkeiten in Zeiten der Wahlagitation her¬
aus, welche sonst in Württemberg von der Masse der protestantischen Be¬
völkerung nicht geduldet werden. Bedenkt man nun, daß in Schwaben, wo
der Einfluß der officiellen Kreise ein ungleich größerer ist, als in irgend
einem deutschen Staate, Herr von Mittnacht als Minister der Justiz, der
auswärtigen Angelegenheiten und der Verkehrsanstalten mit ihrem zahlreichen
Personal gewiß ^ aller württembergischen Staatsbediensteten zu seinen
Amtsuntergebenen hat, so erklärt sich, ohne Herrn von Mittnacht irgend wie
den Vorwurf konfessioneller Einseitigkeit zu machen, zur Genüge die Ge¬
bundenheit, in welcher sich der ganze württembergische Staatsorganismus der
katholischen Agitation gegenüber zu befinden glaubt; denn für die Mehrzahl
der öffentlichen Funetionäre gilt Vorsicht als die höchste Weisheit, und von
dieser Mehrzahl hat keiner Lust, die Frage practisch zu erörtern, ob ein rück¬
sichtsloses Eintreten in den Wahlkampf, ein Ausgebot des protestantischen


Kampf gegen das Reich mit den unglaublichsten Mitteln betrieben, die
Religion in Gefahr erklärten und ganz offen und ungenirt auf die Unter¬
stützung „der französischen Brüder" hinwiesen, scheute man sich von protestan¬
tischer Seite mit ganz wenigen Ausnahmen, den Kampf auf demjenigen Bo¬
den auszunehmen, auf welchem ihn der Gegner selbst angeboten hatte, d. h.
der confessionellen Bewegung wieder eine confessionelle entgegenzusetzen, un¬
geachtet vielleicht nirgends in Deutschland die Verhältnisse zu einem solchen
Kampf günstiger gestaltet sind, als in Schwaben, wo das protestantische
Bewußtsein alle'Kreise der evangelischen Kirche gleichmäßig durchdringt und
nur der geeigneten Anregung bedarf. Fehlte es auch bei der dermaligen Lage
Deutschlands an letzterer nicht, so war doch bisher der Protestantismus in
Württemberg im engsten Zusammenhang mit der „großdeutschen" Politik der
letzten Jahre an Haupt und Gliedern gefesselt: und hat sich trotz der neusten
Wendung der württembergischen Politik seiner Banden bisher nicht entledigen
können.

Bekanntlich ist der allmächtige Minister Württembergs, Herr von Mitt¬
nacht, selbst Katholik. Er ist zwar, das geben wir gern zu. kein Ultramon¬
taner: aber er hat, im Gegensatz zu seinen bayrischen Collegen, es seither
trefflich verstanden, jedem Conflict mit der Kirche aus dem Wege zu gehen,
und die Leiter der kirchlichen Bewegung betrachten ihn daher noch heutigen
Tags als einen guten Katholiken, auf den sie rechnen zu dürfen glauben.
Sie schonen ihn möglichst, weil sie wissen, welch hohen Werth es für sie hat.
daß an der Spitze der Regierung des protestantischen Staates Württemberg
gerade ein Katholik steht. Jeder Katholik scheint sich in seinem Auftreten
gegenüber der Staatsgewalt, bei dem Gedanken an diese oberste Leitung der
Negierung ganz besonders sicher zu fühlen, und das katholische Beamtenthum
namentlich nimmt sich Rücksichtslosigkeiten in Zeiten der Wahlagitation her¬
aus, welche sonst in Württemberg von der Masse der protestantischen Be¬
völkerung nicht geduldet werden. Bedenkt man nun, daß in Schwaben, wo
der Einfluß der officiellen Kreise ein ungleich größerer ist, als in irgend
einem deutschen Staate, Herr von Mittnacht als Minister der Justiz, der
auswärtigen Angelegenheiten und der Verkehrsanstalten mit ihrem zahlreichen
Personal gewiß ^ aller württembergischen Staatsbediensteten zu seinen
Amtsuntergebenen hat, so erklärt sich, ohne Herrn von Mittnacht irgend wie
den Vorwurf konfessioneller Einseitigkeit zu machen, zur Genüge die Ge¬
bundenheit, in welcher sich der ganze württembergische Staatsorganismus der
katholischen Agitation gegenüber zu befinden glaubt; denn für die Mehrzahl
der öffentlichen Funetionäre gilt Vorsicht als die höchste Weisheit, und von
dieser Mehrzahl hat keiner Lust, die Frage practisch zu erörtern, ob ein rück¬
sichtsloses Eintreten in den Wahlkampf, ein Ausgebot des protestantischen


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[0272] Kampf gegen das Reich mit den unglaublichsten Mitteln betrieben, die Religion in Gefahr erklärten und ganz offen und ungenirt auf die Unter¬ stützung „der französischen Brüder" hinwiesen, scheute man sich von protestan¬ tischer Seite mit ganz wenigen Ausnahmen, den Kampf auf demjenigen Bo¬ den auszunehmen, auf welchem ihn der Gegner selbst angeboten hatte, d. h. der confessionellen Bewegung wieder eine confessionelle entgegenzusetzen, un¬ geachtet vielleicht nirgends in Deutschland die Verhältnisse zu einem solchen Kampf günstiger gestaltet sind, als in Schwaben, wo das protestantische Bewußtsein alle'Kreise der evangelischen Kirche gleichmäßig durchdringt und nur der geeigneten Anregung bedarf. Fehlte es auch bei der dermaligen Lage Deutschlands an letzterer nicht, so war doch bisher der Protestantismus in Württemberg im engsten Zusammenhang mit der „großdeutschen" Politik der letzten Jahre an Haupt und Gliedern gefesselt: und hat sich trotz der neusten Wendung der württembergischen Politik seiner Banden bisher nicht entledigen können. Bekanntlich ist der allmächtige Minister Württembergs, Herr von Mitt¬ nacht, selbst Katholik. Er ist zwar, das geben wir gern zu. kein Ultramon¬ taner: aber er hat, im Gegensatz zu seinen bayrischen Collegen, es seither trefflich verstanden, jedem Conflict mit der Kirche aus dem Wege zu gehen, und die Leiter der kirchlichen Bewegung betrachten ihn daher noch heutigen Tags als einen guten Katholiken, auf den sie rechnen zu dürfen glauben. Sie schonen ihn möglichst, weil sie wissen, welch hohen Werth es für sie hat. daß an der Spitze der Regierung des protestantischen Staates Württemberg gerade ein Katholik steht. Jeder Katholik scheint sich in seinem Auftreten gegenüber der Staatsgewalt, bei dem Gedanken an diese oberste Leitung der Negierung ganz besonders sicher zu fühlen, und das katholische Beamtenthum namentlich nimmt sich Rücksichtslosigkeiten in Zeiten der Wahlagitation her¬ aus, welche sonst in Württemberg von der Masse der protestantischen Be¬ völkerung nicht geduldet werden. Bedenkt man nun, daß in Schwaben, wo der Einfluß der officiellen Kreise ein ungleich größerer ist, als in irgend einem deutschen Staate, Herr von Mittnacht als Minister der Justiz, der auswärtigen Angelegenheiten und der Verkehrsanstalten mit ihrem zahlreichen Personal gewiß ^ aller württembergischen Staatsbediensteten zu seinen Amtsuntergebenen hat, so erklärt sich, ohne Herrn von Mittnacht irgend wie den Vorwurf konfessioneller Einseitigkeit zu machen, zur Genüge die Ge¬ bundenheit, in welcher sich der ganze württembergische Staatsorganismus der katholischen Agitation gegenüber zu befinden glaubt; denn für die Mehrzahl der öffentlichen Funetionäre gilt Vorsicht als die höchste Weisheit, und von dieser Mehrzahl hat keiner Lust, die Frage practisch zu erörtern, ob ein rück¬ sichtsloses Eintreten in den Wahlkampf, ein Ausgebot des protestantischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/272>, abgerufen am 02.07.2024.