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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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ohne Ursache" bezeichnet. Nun, eine größere Wirkung ohne vernünftige Vor¬
bereitung kann wohl kaum gedacht werden, als der Bannfluch im Rienzi.
Bis zum Schlüsse des dritten Actes glaubte der Zuschauer, Geistlichkeit und
Volk ständen unbedingt auf der Seite des Volkstribunen; im Anfange des
vierten will es scheinen, als ob ihn beide verließen. Aber siehe da! die Geist¬
lichkeit, unter ihr der Cardinal-Vicar des Papstes, begiebt sich vor den Augen
des Publikums in den Lateran, um dort für Rienzi's Politik eine Messe zu
lesen. Und als Rienzi nun selbst erscheint und die Mißmuthigen haranguirt,
da machen auch diese ihm ehrerbietig Platz, und unter dem Zujauchzen des
Volkes betritt der mächtige Mann die Stufen zur Kirche. Da -- ertönt
schauerlich aus dem Innern des Laterans ein dumpfes Vu,s tibi malöäieto!
Der Legat erscheint auf der Schwelle der Kirchthür, er verflucht Rienzi, die
Pforten fliegen "krachend" zu und man erblickt die an ihnen befestigte Bann¬
bulle. "Das kleine Vergnügen einer Ueberraschung!" würde Lessing sagen.
Und dazu ist es so sorgfältig ausgeklügelt. Bei Bulwer fand Wagner diese
Scene nicht. Bei diesem geht es weniger scurril zu. Der Bruch ist lange
vorbereitet; dennoch, bevor er öffentlich wird, läßt der Legat Rienzi noch ein¬
mal zu sich bitten, und erst nachdem auch diese Unterredung in der beider¬
seitigen Stellung nichts geändert hat, wird der Bannfluch in aller Stille,
durch einfachen Anschlag, bekannt gemacht.

Doch durch dergleichen äußerliche Mittel wirkt Wagner nicht allein.
Schon mehr als ein bloßer Effect ist die Verwandlung im ersten Acte des
Tarda users. Zu dem wüsten, betäubenden Bilde, das die Venusgrotte
bietet, zu den Orgien der Bacchantinnen, zu der unnatürlichen rosigen Be¬
leuchtung und dem nervenzerreißenden Gesänge der Sirenen steht das zweite
Bild in einem innerlich berechtigten Gegensatz: frische, gesunde Landschaft, auf
stolzer Höhe ernst und würdig die Wartburg, reuige Pilger ziehen vorbei,
und hingestreckt auf dem Hügel, selig im warmen Sonnenschein, liegt der
Hirte. Man wird nachfühlen, daß dieser Contrast aus einer wirklichen innern
Regung des Dichters und nicht aus kalten Combinationen hervorge¬
gangen ist.

Vorzüglicher noch und echt dramatisch ist der samische Aufbau zweier
anderer Abschnitte in Wagner's Werken: des allbekannten ersten Actes vom
Lohengrin und des ersten Actes von Tristan und Isolde. Eröffnet
wird der letztere durch eine unsichtbare Stimme. Ein junger Matrose singt:


Westwärts schweift der Blick,
Ostwärts streicht das Schiff,
Frisch weht der Wind der Heimat zu:
Mein irisch Kind, wo weilest Du?

ohne Ursache" bezeichnet. Nun, eine größere Wirkung ohne vernünftige Vor¬
bereitung kann wohl kaum gedacht werden, als der Bannfluch im Rienzi.
Bis zum Schlüsse des dritten Actes glaubte der Zuschauer, Geistlichkeit und
Volk ständen unbedingt auf der Seite des Volkstribunen; im Anfange des
vierten will es scheinen, als ob ihn beide verließen. Aber siehe da! die Geist¬
lichkeit, unter ihr der Cardinal-Vicar des Papstes, begiebt sich vor den Augen
des Publikums in den Lateran, um dort für Rienzi's Politik eine Messe zu
lesen. Und als Rienzi nun selbst erscheint und die Mißmuthigen haranguirt,
da machen auch diese ihm ehrerbietig Platz, und unter dem Zujauchzen des
Volkes betritt der mächtige Mann die Stufen zur Kirche. Da — ertönt
schauerlich aus dem Innern des Laterans ein dumpfes Vu,s tibi malöäieto!
Der Legat erscheint auf der Schwelle der Kirchthür, er verflucht Rienzi, die
Pforten fliegen „krachend" zu und man erblickt die an ihnen befestigte Bann¬
bulle. „Das kleine Vergnügen einer Ueberraschung!" würde Lessing sagen.
Und dazu ist es so sorgfältig ausgeklügelt. Bei Bulwer fand Wagner diese
Scene nicht. Bei diesem geht es weniger scurril zu. Der Bruch ist lange
vorbereitet; dennoch, bevor er öffentlich wird, läßt der Legat Rienzi noch ein¬
mal zu sich bitten, und erst nachdem auch diese Unterredung in der beider¬
seitigen Stellung nichts geändert hat, wird der Bannfluch in aller Stille,
durch einfachen Anschlag, bekannt gemacht.

Doch durch dergleichen äußerliche Mittel wirkt Wagner nicht allein.
Schon mehr als ein bloßer Effect ist die Verwandlung im ersten Acte des
Tarda users. Zu dem wüsten, betäubenden Bilde, das die Venusgrotte
bietet, zu den Orgien der Bacchantinnen, zu der unnatürlichen rosigen Be¬
leuchtung und dem nervenzerreißenden Gesänge der Sirenen steht das zweite
Bild in einem innerlich berechtigten Gegensatz: frische, gesunde Landschaft, auf
stolzer Höhe ernst und würdig die Wartburg, reuige Pilger ziehen vorbei,
und hingestreckt auf dem Hügel, selig im warmen Sonnenschein, liegt der
Hirte. Man wird nachfühlen, daß dieser Contrast aus einer wirklichen innern
Regung des Dichters und nicht aus kalten Combinationen hervorge¬
gangen ist.

Vorzüglicher noch und echt dramatisch ist der samische Aufbau zweier
anderer Abschnitte in Wagner's Werken: des allbekannten ersten Actes vom
Lohengrin und des ersten Actes von Tristan und Isolde. Eröffnet
wird der letztere durch eine unsichtbare Stimme. Ein junger Matrose singt:


Westwärts schweift der Blick,
Ostwärts streicht das Schiff,
Frisch weht der Wind der Heimat zu:
Mein irisch Kind, wo weilest Du?

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[0227] ohne Ursache" bezeichnet. Nun, eine größere Wirkung ohne vernünftige Vor¬ bereitung kann wohl kaum gedacht werden, als der Bannfluch im Rienzi. Bis zum Schlüsse des dritten Actes glaubte der Zuschauer, Geistlichkeit und Volk ständen unbedingt auf der Seite des Volkstribunen; im Anfange des vierten will es scheinen, als ob ihn beide verließen. Aber siehe da! die Geist¬ lichkeit, unter ihr der Cardinal-Vicar des Papstes, begiebt sich vor den Augen des Publikums in den Lateran, um dort für Rienzi's Politik eine Messe zu lesen. Und als Rienzi nun selbst erscheint und die Mißmuthigen haranguirt, da machen auch diese ihm ehrerbietig Platz, und unter dem Zujauchzen des Volkes betritt der mächtige Mann die Stufen zur Kirche. Da — ertönt schauerlich aus dem Innern des Laterans ein dumpfes Vu,s tibi malöäieto! Der Legat erscheint auf der Schwelle der Kirchthür, er verflucht Rienzi, die Pforten fliegen „krachend" zu und man erblickt die an ihnen befestigte Bann¬ bulle. „Das kleine Vergnügen einer Ueberraschung!" würde Lessing sagen. Und dazu ist es so sorgfältig ausgeklügelt. Bei Bulwer fand Wagner diese Scene nicht. Bei diesem geht es weniger scurril zu. Der Bruch ist lange vorbereitet; dennoch, bevor er öffentlich wird, läßt der Legat Rienzi noch ein¬ mal zu sich bitten, und erst nachdem auch diese Unterredung in der beider¬ seitigen Stellung nichts geändert hat, wird der Bannfluch in aller Stille, durch einfachen Anschlag, bekannt gemacht. Doch durch dergleichen äußerliche Mittel wirkt Wagner nicht allein. Schon mehr als ein bloßer Effect ist die Verwandlung im ersten Acte des Tarda users. Zu dem wüsten, betäubenden Bilde, das die Venusgrotte bietet, zu den Orgien der Bacchantinnen, zu der unnatürlichen rosigen Be¬ leuchtung und dem nervenzerreißenden Gesänge der Sirenen steht das zweite Bild in einem innerlich berechtigten Gegensatz: frische, gesunde Landschaft, auf stolzer Höhe ernst und würdig die Wartburg, reuige Pilger ziehen vorbei, und hingestreckt auf dem Hügel, selig im warmen Sonnenschein, liegt der Hirte. Man wird nachfühlen, daß dieser Contrast aus einer wirklichen innern Regung des Dichters und nicht aus kalten Combinationen hervorge¬ gangen ist. Vorzüglicher noch und echt dramatisch ist der samische Aufbau zweier anderer Abschnitte in Wagner's Werken: des allbekannten ersten Actes vom Lohengrin und des ersten Actes von Tristan und Isolde. Eröffnet wird der letztere durch eine unsichtbare Stimme. Ein junger Matrose singt: Westwärts schweift der Blick, Ostwärts streicht das Schiff, Frisch weht der Wind der Heimat zu: Mein irisch Kind, wo weilest Du?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/227>, abgerufen am 02.10.2024.