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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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ganzer Heine -- der die Sache übrigens in seiner nonchalanter Weise kurz
abthut -- hat wirklich ein solches Interesse an dem Stoffe gehabt. Nicht
Scuta's Liebe erwärmte ihn; er moquirt sich einigermaßen über die schranken¬
lose Anhänglichkeit der "Frau fliegenden Holländerin". Sein ganzes Herz
war mit dem Titelhelden. Man höre, was er von ihm sagt. Wie der
Holländer zu Scuta eintritt, bemerkt er, daß sie ihn prüfend mit dem Bilde
vergleicht. Doch er "weiß jeden Argwohn von sich fern zu halten; er lacht
über den Aberglauben, er spöttelt selbst über den fliegenden Holländer, den
ewigen Juden des Oceans; jedoch unwillkührlich in einen wehmüthigen Ton
übergehend, schildert er, wie Mynheer auf der unermeßlichen Wasserwüste die
unerhörtesten Leiden erdulden müsse, wie sein Leib nichts anderes sei als ein
Sarg von Fleisch, worin seine Seele sich langweilt, wie das Leben ihn von
sich stößt und auch der Tod ihn abweist . . . keins von beiden wolle ihn
behalten; sein Schmerz sei tief wie das Meer, worauf er herumschwimmt, sein
Schiff sei ohne Anker und sein Herz ohne Hoffnung." -- Wer die Lage kennt
in der sich Heine, als er dies schrieb, befand (die erste, verbitterte Zeit seines
Aufenthaltes in Paris), der fühlt, wie die Worte, die er dem Holländer in
den Mund legt, aus der Tiefe seiner Brust quollen. Er erkannte in dieser
Gestalt den Typus der heimatlosen Wanderseelen seiner Tage, zu denen er
selbst gehörte. Und wie durchzittert den citirten Abschnitt ein leiser Nachklang
der romantischen Ironie!

Sind es dieselben Empfindungen gewesen, die Wagner zu diesem Stoffe
geführt haben? Schwerlich; die Person des Holländers, der Weltschmerzge¬
danke, der sich an dieselbe anheftet -- dies liegt ihm wenigstens nicht zu¬
nächst. Und damit hat er sich abermals eines großen Vortheils begeben
Denn Heine hat nicht blos sein persönliches Interesse in den Stoff hineinge¬
legt, er hat vielmehr, in echt dichterischem Verhalten, die ganze Sage erneut
und umgestaltet. Zwar giebt er nur kurze Andeutungen. Aber er hat
wenigstens sofort den einzig richtigen Ton getroffen, in welchem der Stoff
noch heute der Bühne zugänglich ist. Mit der Selbstpersiflage hüllt sich der
Holländer in ein undurchdringliches Dunkel. Nun mag er auf der Bühne
erscheinen, so viel er will; er kann immer geheimnißvoll bleiben, und die
bläulichen Flammen, die langen Pausen, die Todtenstille und ähnliche äußer¬
liche Mittel Wagner's wären nicht von Nöthen. Doch so hat es der Dichter¬
komponist nicht geWollt. Die Idee, welche Heine dem Stoffe lieh, warf er
entschlossen hinaus -- während er Heine's thatsächliche Erzählung beibehielt!
-- und führte statt dessen eine andere ein: die Treue des Weibes.

Ganz nebenher, der lebendigen Darstellung wegen und aus der Ueber¬
fülle seiner Anschauung heraus, hatte schon sein Vorgänger dieses Motiv be¬
nutzt. Wundersame Absicht, diesen Gedanken zu accentuiren! Welche Schwierig-


ganzer Heine — der die Sache übrigens in seiner nonchalanter Weise kurz
abthut — hat wirklich ein solches Interesse an dem Stoffe gehabt. Nicht
Scuta's Liebe erwärmte ihn; er moquirt sich einigermaßen über die schranken¬
lose Anhänglichkeit der „Frau fliegenden Holländerin". Sein ganzes Herz
war mit dem Titelhelden. Man höre, was er von ihm sagt. Wie der
Holländer zu Scuta eintritt, bemerkt er, daß sie ihn prüfend mit dem Bilde
vergleicht. Doch er „weiß jeden Argwohn von sich fern zu halten; er lacht
über den Aberglauben, er spöttelt selbst über den fliegenden Holländer, den
ewigen Juden des Oceans; jedoch unwillkührlich in einen wehmüthigen Ton
übergehend, schildert er, wie Mynheer auf der unermeßlichen Wasserwüste die
unerhörtesten Leiden erdulden müsse, wie sein Leib nichts anderes sei als ein
Sarg von Fleisch, worin seine Seele sich langweilt, wie das Leben ihn von
sich stößt und auch der Tod ihn abweist . . . keins von beiden wolle ihn
behalten; sein Schmerz sei tief wie das Meer, worauf er herumschwimmt, sein
Schiff sei ohne Anker und sein Herz ohne Hoffnung." — Wer die Lage kennt
in der sich Heine, als er dies schrieb, befand (die erste, verbitterte Zeit seines
Aufenthaltes in Paris), der fühlt, wie die Worte, die er dem Holländer in
den Mund legt, aus der Tiefe seiner Brust quollen. Er erkannte in dieser
Gestalt den Typus der heimatlosen Wanderseelen seiner Tage, zu denen er
selbst gehörte. Und wie durchzittert den citirten Abschnitt ein leiser Nachklang
der romantischen Ironie!

Sind es dieselben Empfindungen gewesen, die Wagner zu diesem Stoffe
geführt haben? Schwerlich; die Person des Holländers, der Weltschmerzge¬
danke, der sich an dieselbe anheftet — dies liegt ihm wenigstens nicht zu¬
nächst. Und damit hat er sich abermals eines großen Vortheils begeben
Denn Heine hat nicht blos sein persönliches Interesse in den Stoff hineinge¬
legt, er hat vielmehr, in echt dichterischem Verhalten, die ganze Sage erneut
und umgestaltet. Zwar giebt er nur kurze Andeutungen. Aber er hat
wenigstens sofort den einzig richtigen Ton getroffen, in welchem der Stoff
noch heute der Bühne zugänglich ist. Mit der Selbstpersiflage hüllt sich der
Holländer in ein undurchdringliches Dunkel. Nun mag er auf der Bühne
erscheinen, so viel er will; er kann immer geheimnißvoll bleiben, und die
bläulichen Flammen, die langen Pausen, die Todtenstille und ähnliche äußer¬
liche Mittel Wagner's wären nicht von Nöthen. Doch so hat es der Dichter¬
komponist nicht geWollt. Die Idee, welche Heine dem Stoffe lieh, warf er
entschlossen hinaus — während er Heine's thatsächliche Erzählung beibehielt!
— und führte statt dessen eine andere ein: die Treue des Weibes.

Ganz nebenher, der lebendigen Darstellung wegen und aus der Ueber¬
fülle seiner Anschauung heraus, hatte schon sein Vorgänger dieses Motiv be¬
nutzt. Wundersame Absicht, diesen Gedanken zu accentuiren! Welche Schwierig-


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[0224] ganzer Heine — der die Sache übrigens in seiner nonchalanter Weise kurz abthut — hat wirklich ein solches Interesse an dem Stoffe gehabt. Nicht Scuta's Liebe erwärmte ihn; er moquirt sich einigermaßen über die schranken¬ lose Anhänglichkeit der „Frau fliegenden Holländerin". Sein ganzes Herz war mit dem Titelhelden. Man höre, was er von ihm sagt. Wie der Holländer zu Scuta eintritt, bemerkt er, daß sie ihn prüfend mit dem Bilde vergleicht. Doch er „weiß jeden Argwohn von sich fern zu halten; er lacht über den Aberglauben, er spöttelt selbst über den fliegenden Holländer, den ewigen Juden des Oceans; jedoch unwillkührlich in einen wehmüthigen Ton übergehend, schildert er, wie Mynheer auf der unermeßlichen Wasserwüste die unerhörtesten Leiden erdulden müsse, wie sein Leib nichts anderes sei als ein Sarg von Fleisch, worin seine Seele sich langweilt, wie das Leben ihn von sich stößt und auch der Tod ihn abweist . . . keins von beiden wolle ihn behalten; sein Schmerz sei tief wie das Meer, worauf er herumschwimmt, sein Schiff sei ohne Anker und sein Herz ohne Hoffnung." — Wer die Lage kennt in der sich Heine, als er dies schrieb, befand (die erste, verbitterte Zeit seines Aufenthaltes in Paris), der fühlt, wie die Worte, die er dem Holländer in den Mund legt, aus der Tiefe seiner Brust quollen. Er erkannte in dieser Gestalt den Typus der heimatlosen Wanderseelen seiner Tage, zu denen er selbst gehörte. Und wie durchzittert den citirten Abschnitt ein leiser Nachklang der romantischen Ironie! Sind es dieselben Empfindungen gewesen, die Wagner zu diesem Stoffe geführt haben? Schwerlich; die Person des Holländers, der Weltschmerzge¬ danke, der sich an dieselbe anheftet — dies liegt ihm wenigstens nicht zu¬ nächst. Und damit hat er sich abermals eines großen Vortheils begeben Denn Heine hat nicht blos sein persönliches Interesse in den Stoff hineinge¬ legt, er hat vielmehr, in echt dichterischem Verhalten, die ganze Sage erneut und umgestaltet. Zwar giebt er nur kurze Andeutungen. Aber er hat wenigstens sofort den einzig richtigen Ton getroffen, in welchem der Stoff noch heute der Bühne zugänglich ist. Mit der Selbstpersiflage hüllt sich der Holländer in ein undurchdringliches Dunkel. Nun mag er auf der Bühne erscheinen, so viel er will; er kann immer geheimnißvoll bleiben, und die bläulichen Flammen, die langen Pausen, die Todtenstille und ähnliche äußer¬ liche Mittel Wagner's wären nicht von Nöthen. Doch so hat es der Dichter¬ komponist nicht geWollt. Die Idee, welche Heine dem Stoffe lieh, warf er entschlossen hinaus — während er Heine's thatsächliche Erzählung beibehielt! — und führte statt dessen eine andere ein: die Treue des Weibes. Ganz nebenher, der lebendigen Darstellung wegen und aus der Ueber¬ fülle seiner Anschauung heraus, hatte schon sein Vorgänger dieses Motiv be¬ nutzt. Wundersame Absicht, diesen Gedanken zu accentuiren! Welche Schwierig-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/224>, abgerufen am 25.12.2024.