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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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auf diese Weise ist auch manches Unangenehme vermieden worden. Allein
weil dieses keine durch eine Sanction von oben, befestigte Anstatt war, auch
eine gewisse mittlere Zeit weniger Apprehension gab; so ist sie wieder abge¬
kommen, und man hat sich so gut als möglich aus der Sache gezogen.
Deshalb wäre es nichts Neues, sondern nur eine von oben bekräftigte schon
früher intentionirte Einrichtung.

Die Sache ist an und für sich selbst sehr leicht und würde auch dem¬
jenigen, dem solches Geschäft übertragen würde, keine sonderliche Beschwerde
geben. Neue Stücke würde ich vor wie nach durchsehen und beurtheilen und
sollte sich etwas Verfängliches darin finden, es sogleich wegstreichen und das
Exemplar, mit Bemerkung meines Namens auf dem Titelblatte, als Zeugniß,
daß ich das Stück gelesen, dem Beauftragten zusenden. Dieser striche gleich¬
falls, was ihm unzulässig schiene, ohne weitere Rücksprache weg und bemerkte
nur allenfalls, wo vielleicht, wie es öfter zu geschehen pflegt, durch Weg¬
streichen eine Lücke entstanden, wenn er solche selbst auszufüllen nicht etwa
geneigt wäre.

Ferner würde man, sobald die neue Einrichtung getroffen ist, die ältern
Stücke, die sich auf dem Repertorium gehalten haben, nach und nach dem
Beauftragten zuschicken und mit denjenigen den Anfang machen, welche zunächst
aufgeführt zu werden bestimmt sind. Denn was eben diese ältern Stücke
betrifft, so ist man am ersten in Gefahr, Stellen zu übersehen, welche eine
Deutung auf das Gegenwärtige zulassen: denn da sie vor so viel Jahren
geschrieben sind, so liegt die mögliche Anwendung nicht in der Sache, sondern
in demjenigen selbst, der sie zu machen geneigt ist; und doch kommen Fälle
vor, wo man einen bösen Willen vermuthen würde, wenn es nicht von
Altersher gedruckt und in den Rollen geschrieben stünde.

Ich erspare einige andere kleine Bemerkungen, welche das Geschäft erleich"
tern und fördern, bis zu Serenissimi gnädigsten Entschluß/)


Goethe.

Weimar, d. 5. Januar
1812.





") Hierauf erließ Carl August an die Commission zur Beurtheilung der für das Weima"
rische Hof-Theater tauglichen Stücke am 7. Januar die Verfügung, daß dem Goethe'schen Pro-
memoria nachgegangen und nach dem guten Geschmacke sowohl, als der Klugheit gemäßen
Grundsätzen verfahren werde. (Wein. Geh. Se, Archiv Abth. Theater.)
Grenzvoten I. 1S74.27

auf diese Weise ist auch manches Unangenehme vermieden worden. Allein
weil dieses keine durch eine Sanction von oben, befestigte Anstatt war, auch
eine gewisse mittlere Zeit weniger Apprehension gab; so ist sie wieder abge¬
kommen, und man hat sich so gut als möglich aus der Sache gezogen.
Deshalb wäre es nichts Neues, sondern nur eine von oben bekräftigte schon
früher intentionirte Einrichtung.

Die Sache ist an und für sich selbst sehr leicht und würde auch dem¬
jenigen, dem solches Geschäft übertragen würde, keine sonderliche Beschwerde
geben. Neue Stücke würde ich vor wie nach durchsehen und beurtheilen und
sollte sich etwas Verfängliches darin finden, es sogleich wegstreichen und das
Exemplar, mit Bemerkung meines Namens auf dem Titelblatte, als Zeugniß,
daß ich das Stück gelesen, dem Beauftragten zusenden. Dieser striche gleich¬
falls, was ihm unzulässig schiene, ohne weitere Rücksprache weg und bemerkte
nur allenfalls, wo vielleicht, wie es öfter zu geschehen pflegt, durch Weg¬
streichen eine Lücke entstanden, wenn er solche selbst auszufüllen nicht etwa
geneigt wäre.

Ferner würde man, sobald die neue Einrichtung getroffen ist, die ältern
Stücke, die sich auf dem Repertorium gehalten haben, nach und nach dem
Beauftragten zuschicken und mit denjenigen den Anfang machen, welche zunächst
aufgeführt zu werden bestimmt sind. Denn was eben diese ältern Stücke
betrifft, so ist man am ersten in Gefahr, Stellen zu übersehen, welche eine
Deutung auf das Gegenwärtige zulassen: denn da sie vor so viel Jahren
geschrieben sind, so liegt die mögliche Anwendung nicht in der Sache, sondern
in demjenigen selbst, der sie zu machen geneigt ist; und doch kommen Fälle
vor, wo man einen bösen Willen vermuthen würde, wenn es nicht von
Altersher gedruckt und in den Rollen geschrieben stünde.

Ich erspare einige andere kleine Bemerkungen, welche das Geschäft erleich»
tern und fördern, bis zu Serenissimi gnädigsten Entschluß/)


Goethe.

Weimar, d. 5. Januar
1812.





") Hierauf erließ Carl August an die Commission zur Beurtheilung der für das Weima»
rische Hof-Theater tauglichen Stücke am 7. Januar die Verfügung, daß dem Goethe'schen Pro-
memoria nachgegangen und nach dem guten Geschmacke sowohl, als der Klugheit gemäßen
Grundsätzen verfahren werde. (Wein. Geh. Se, Archiv Abth. Theater.)
Grenzvoten I. 1S74.27
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[0215] auf diese Weise ist auch manches Unangenehme vermieden worden. Allein weil dieses keine durch eine Sanction von oben, befestigte Anstatt war, auch eine gewisse mittlere Zeit weniger Apprehension gab; so ist sie wieder abge¬ kommen, und man hat sich so gut als möglich aus der Sache gezogen. Deshalb wäre es nichts Neues, sondern nur eine von oben bekräftigte schon früher intentionirte Einrichtung. Die Sache ist an und für sich selbst sehr leicht und würde auch dem¬ jenigen, dem solches Geschäft übertragen würde, keine sonderliche Beschwerde geben. Neue Stücke würde ich vor wie nach durchsehen und beurtheilen und sollte sich etwas Verfängliches darin finden, es sogleich wegstreichen und das Exemplar, mit Bemerkung meines Namens auf dem Titelblatte, als Zeugniß, daß ich das Stück gelesen, dem Beauftragten zusenden. Dieser striche gleich¬ falls, was ihm unzulässig schiene, ohne weitere Rücksprache weg und bemerkte nur allenfalls, wo vielleicht, wie es öfter zu geschehen pflegt, durch Weg¬ streichen eine Lücke entstanden, wenn er solche selbst auszufüllen nicht etwa geneigt wäre. Ferner würde man, sobald die neue Einrichtung getroffen ist, die ältern Stücke, die sich auf dem Repertorium gehalten haben, nach und nach dem Beauftragten zuschicken und mit denjenigen den Anfang machen, welche zunächst aufgeführt zu werden bestimmt sind. Denn was eben diese ältern Stücke betrifft, so ist man am ersten in Gefahr, Stellen zu übersehen, welche eine Deutung auf das Gegenwärtige zulassen: denn da sie vor so viel Jahren geschrieben sind, so liegt die mögliche Anwendung nicht in der Sache, sondern in demjenigen selbst, der sie zu machen geneigt ist; und doch kommen Fälle vor, wo man einen bösen Willen vermuthen würde, wenn es nicht von Altersher gedruckt und in den Rollen geschrieben stünde. Ich erspare einige andere kleine Bemerkungen, welche das Geschäft erleich» tern und fördern, bis zu Serenissimi gnädigsten Entschluß/) Goethe. Weimar, d. 5. Januar 1812. ") Hierauf erließ Carl August an die Commission zur Beurtheilung der für das Weima» rische Hof-Theater tauglichen Stücke am 7. Januar die Verfügung, daß dem Goethe'schen Pro- memoria nachgegangen und nach dem guten Geschmacke sowohl, als der Klugheit gemäßen Grundsätzen verfahren werde. (Wein. Geh. Se, Archiv Abth. Theater.) Grenzvoten I. 1S74.27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/215>, abgerufen am 26.06.2024.