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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Zu einer Zeit, wo alles nach ungemessener Freyheit strebte, fingen die
deutschen Theater-Dichter gleichfalls an, den obern Ständen den Krieg an¬
zukündigen, und es verbreitete sich ein Lavseulottisme über die Bühne, der,
indem solche Stücke der großen Menge sehr angenehm waren, nothwendig
Ursache sein mußte, daß bey Hof-Theatern manche solche Stücke gar nicht
gegeben, andere aber durch Verstümmlung so verunstaltet wurden, daß sie
ihre Wirkung größtentheils verfehlten.

Bei dem Weimarischen Hof-Theater hat man durch die Nachsicht gnä¬
digster Herrschaften begünstigt eine Mittelstraße gewählt und die anstößigsten
Stellen theils sogleich, theils nach und nach ausgelöscht, so daß nicht leicht
etwas ganz Auffallendes vorkam.

In der neuern Zeit hat, so wie Alles, auch das deutsche Theater eine
andere Richtung genommen und es glauben einige Autoren, besonders der
fruchtbarste unter denselben, sich durch Sticheleyen und Anzüglichkeiten der
Oberherrschaft widersetzen zu können, die, um ihre großen und weiten Plane
auszuführen, freylich nicht immer die sanftesten Mittel gebrauchen kann.

Endesunterzeichneten hat es bisher obgelegen die Stücke zu wählen und
zu beurtheilen, in wiefern sie ausführbar sind. Sein eigentlicher Standpunkt
konnte nur der ästhetische seyn; allein er hat auch jenen politischen nicht
außer Acht gelassen und wo ihm etwas Bedenkliches aufgefallen, solches ohne
weiteres weggestrichen. Dabey muß er jedoch bekennen, daß er manches Un¬
schickliche übersehen und solches erst nach einer oder mehreren Vorstellungen
durch sich selbst oder durch Freunde, deren Aufmerksamkeit er angerufen, be¬
lehrt, gleichfalls hinweg gestrichen.

So groß auch diese Unannehmlichkeit seyn mochte, rechnete er sie doch
zu den mehrern, welchen dieses Geschäft unterworfen ist und verfolgte aus
Serenissimi gnädigste Nachsicht hoffend, seinen alten Weg.

Allein nunmehr verändert sich die Sache, indem ein k. k. französischer
Gesandter") hierher kommt und die Verhältnisse nicht allein nach Innen sondern
auch nach Außen zu bedenken sind. Ja, bloß menschlich betrachtet, wird man
hiebey zu einer genauern Aufmerksamkeit aufgefordert; denn wer möchte einem
Gaste etwas Unangenehmes erzeigen, wenn es auch keine Folge hätte? Unter¬
zeichneter wünscht daher, daß Herzogliche Hof-Theater Commission seine Bitte
unterstützen möge, die derselbe an Serenissimum zu thun sich genöthigt sieht.

Schon in früherer Zeit hatte Lommissio, aus eigenem Antrieb und für
sich, verschiedene wackere, hier in Diensten stehende junge Männer ersucht, ge¬
wisse problematische Stücke mit Aufmerksamkeit durchzugehen und die verfäng¬
lichen Stellen zu bemerken, welche direct oder indirect verletzen könnten und



") Se. Aignan.

Zu einer Zeit, wo alles nach ungemessener Freyheit strebte, fingen die
deutschen Theater-Dichter gleichfalls an, den obern Ständen den Krieg an¬
zukündigen, und es verbreitete sich ein Lavseulottisme über die Bühne, der,
indem solche Stücke der großen Menge sehr angenehm waren, nothwendig
Ursache sein mußte, daß bey Hof-Theatern manche solche Stücke gar nicht
gegeben, andere aber durch Verstümmlung so verunstaltet wurden, daß sie
ihre Wirkung größtentheils verfehlten.

Bei dem Weimarischen Hof-Theater hat man durch die Nachsicht gnä¬
digster Herrschaften begünstigt eine Mittelstraße gewählt und die anstößigsten
Stellen theils sogleich, theils nach und nach ausgelöscht, so daß nicht leicht
etwas ganz Auffallendes vorkam.

In der neuern Zeit hat, so wie Alles, auch das deutsche Theater eine
andere Richtung genommen und es glauben einige Autoren, besonders der
fruchtbarste unter denselben, sich durch Sticheleyen und Anzüglichkeiten der
Oberherrschaft widersetzen zu können, die, um ihre großen und weiten Plane
auszuführen, freylich nicht immer die sanftesten Mittel gebrauchen kann.

Endesunterzeichneten hat es bisher obgelegen die Stücke zu wählen und
zu beurtheilen, in wiefern sie ausführbar sind. Sein eigentlicher Standpunkt
konnte nur der ästhetische seyn; allein er hat auch jenen politischen nicht
außer Acht gelassen und wo ihm etwas Bedenkliches aufgefallen, solches ohne
weiteres weggestrichen. Dabey muß er jedoch bekennen, daß er manches Un¬
schickliche übersehen und solches erst nach einer oder mehreren Vorstellungen
durch sich selbst oder durch Freunde, deren Aufmerksamkeit er angerufen, be¬
lehrt, gleichfalls hinweg gestrichen.

So groß auch diese Unannehmlichkeit seyn mochte, rechnete er sie doch
zu den mehrern, welchen dieses Geschäft unterworfen ist und verfolgte aus
Serenissimi gnädigste Nachsicht hoffend, seinen alten Weg.

Allein nunmehr verändert sich die Sache, indem ein k. k. französischer
Gesandter") hierher kommt und die Verhältnisse nicht allein nach Innen sondern
auch nach Außen zu bedenken sind. Ja, bloß menschlich betrachtet, wird man
hiebey zu einer genauern Aufmerksamkeit aufgefordert; denn wer möchte einem
Gaste etwas Unangenehmes erzeigen, wenn es auch keine Folge hätte? Unter¬
zeichneter wünscht daher, daß Herzogliche Hof-Theater Commission seine Bitte
unterstützen möge, die derselbe an Serenissimum zu thun sich genöthigt sieht.

Schon in früherer Zeit hatte Lommissio, aus eigenem Antrieb und für
sich, verschiedene wackere, hier in Diensten stehende junge Männer ersucht, ge¬
wisse problematische Stücke mit Aufmerksamkeit durchzugehen und die verfäng¬
lichen Stellen zu bemerken, welche direct oder indirect verletzen könnten und



") Se. Aignan.
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[0214] Zu einer Zeit, wo alles nach ungemessener Freyheit strebte, fingen die deutschen Theater-Dichter gleichfalls an, den obern Ständen den Krieg an¬ zukündigen, und es verbreitete sich ein Lavseulottisme über die Bühne, der, indem solche Stücke der großen Menge sehr angenehm waren, nothwendig Ursache sein mußte, daß bey Hof-Theatern manche solche Stücke gar nicht gegeben, andere aber durch Verstümmlung so verunstaltet wurden, daß sie ihre Wirkung größtentheils verfehlten. Bei dem Weimarischen Hof-Theater hat man durch die Nachsicht gnä¬ digster Herrschaften begünstigt eine Mittelstraße gewählt und die anstößigsten Stellen theils sogleich, theils nach und nach ausgelöscht, so daß nicht leicht etwas ganz Auffallendes vorkam. In der neuern Zeit hat, so wie Alles, auch das deutsche Theater eine andere Richtung genommen und es glauben einige Autoren, besonders der fruchtbarste unter denselben, sich durch Sticheleyen und Anzüglichkeiten der Oberherrschaft widersetzen zu können, die, um ihre großen und weiten Plane auszuführen, freylich nicht immer die sanftesten Mittel gebrauchen kann. Endesunterzeichneten hat es bisher obgelegen die Stücke zu wählen und zu beurtheilen, in wiefern sie ausführbar sind. Sein eigentlicher Standpunkt konnte nur der ästhetische seyn; allein er hat auch jenen politischen nicht außer Acht gelassen und wo ihm etwas Bedenkliches aufgefallen, solches ohne weiteres weggestrichen. Dabey muß er jedoch bekennen, daß er manches Un¬ schickliche übersehen und solches erst nach einer oder mehreren Vorstellungen durch sich selbst oder durch Freunde, deren Aufmerksamkeit er angerufen, be¬ lehrt, gleichfalls hinweg gestrichen. So groß auch diese Unannehmlichkeit seyn mochte, rechnete er sie doch zu den mehrern, welchen dieses Geschäft unterworfen ist und verfolgte aus Serenissimi gnädigste Nachsicht hoffend, seinen alten Weg. Allein nunmehr verändert sich die Sache, indem ein k. k. französischer Gesandter") hierher kommt und die Verhältnisse nicht allein nach Innen sondern auch nach Außen zu bedenken sind. Ja, bloß menschlich betrachtet, wird man hiebey zu einer genauern Aufmerksamkeit aufgefordert; denn wer möchte einem Gaste etwas Unangenehmes erzeigen, wenn es auch keine Folge hätte? Unter¬ zeichneter wünscht daher, daß Herzogliche Hof-Theater Commission seine Bitte unterstützen möge, die derselbe an Serenissimum zu thun sich genöthigt sieht. Schon in früherer Zeit hatte Lommissio, aus eigenem Antrieb und für sich, verschiedene wackere, hier in Diensten stehende junge Männer ersucht, ge¬ wisse problematische Stücke mit Aufmerksamkeit durchzugehen und die verfäng¬ lichen Stellen zu bemerken, welche direct oder indirect verletzen könnten und ") Se. Aignan.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/214>, abgerufen am 25.12.2024.