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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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kam, daß die italienischen Hoffnungen vernünftiger Weise nur auf die sardi¬
nische Staatsmacht gestützt werden könnten, die zwar allerdings schwache aber
auch die einzige vorhandene Grundlage, auf welcher sich der geographische Be¬
griff Italien zu einer staatlichen Wirklichkeit ausbauen lasse.

Nach Beendigung der Pariser Kongreßverhandlungen begab sich Cavour
in Begleitung Victor Emanuel's nach England, um auch dort das Eisen
zu schmieden, so lange es, wie er meinte, noch heiß sei. Diese Voraussetzung
aber stellte sich als durchaus irrig heraus. Die frostigste Stimmung wartete des
Königs von Sardinien und seines Ministers in London insofern, als sie
bei der besten persönlichen Aufnahme wenig oder gar kein Entgegenkommen,
ja kaum ein Verständniß für ihre politischen und nationalen Wünsche bei
den englischen Staatsmännern fanden. Ganz unzugänglich den italienischen
Anliegen erwies sich insbesondere Lord Palmerston, sei es, daß er der sardi¬
nischen Politik die auf dem Pariser Kongresse den Nüssen gewährte Unter¬
stützung verarmt, sei'es. daß er jetzt die Annäherung an Oesterreich für seine
wichtigere Aufgabe hielt, sei es endlich, daß das Interesse der Aufrechterhal¬
tung des kaum wiederhergestellten Friedens bei ihm wie in England über¬
haupt das Uebergewicht über manche frühere Rücksicht gewonnen hatte. Kurz
die englischen Machthaber verhielten sich gegen die von Cavour vertretene
Nationalsache so kühl, daß dieser allen Hoffnungen entsagte, die er seit ge¬
raumer Zeit auf die britische Politik gesetzt und seine Rechnung wieder aus¬
schließlich auf Frankreich, das heißt auf die Person des Kaisers Napoleon
stellte, der es wenigstens an gelegentlichen Ermunterungen durch unbestimmte
Worte nicht fehlen ließ.

Das Wohlwollen des Tuilerienkabinets konnte indessen nicht verhindern,
daß Sardinien binnen kürzester Frist von neuem empfindlich an seine unter¬
geordnete Stellung erinnert wurde. Der am 30. März geschlossene Frieden
ließ einige Fragen offen, namentlich gewisse Grenzbestimmungen an der untern
Donau, zu deren Regelung abermals Conferenzen in Paris abgehalten wer¬
den sollten und wiederum drang Oesterreich, diesmal unterstützt von England,
auf den Ausschluß Sardiniens, das ja bei den zu behandelnden Angelegen¬
heiten wenig oder gar nicht betheiligt sei. Schließlich wurde allerdings ein
Vertreter der Turiner Regierung zugelassen, aber die Scharte der anfänglichen
Weigerung konnte damit nicht ausgewetzt werden.

In dieser Lage der Dinge hatte die Cavour'sche Politik die Probe neuer
Kammerwahlen zu bestehen und den voraussichtlichen Stürmen einer vielge¬
staltigen parlamentarischen Opposition die Stirn zu bieten. Die kirchliche
und die Adelspartei, die sich bisher größtentheils von jeder Theilnahme am
Verfassungsleben grundsätzlich fern gehalten, erschienen dies Mal vollzählig
auf dem Wahlplatze, in der Meinung, daß die Stunde geschlagen habe, den


kam, daß die italienischen Hoffnungen vernünftiger Weise nur auf die sardi¬
nische Staatsmacht gestützt werden könnten, die zwar allerdings schwache aber
auch die einzige vorhandene Grundlage, auf welcher sich der geographische Be¬
griff Italien zu einer staatlichen Wirklichkeit ausbauen lasse.

Nach Beendigung der Pariser Kongreßverhandlungen begab sich Cavour
in Begleitung Victor Emanuel's nach England, um auch dort das Eisen
zu schmieden, so lange es, wie er meinte, noch heiß sei. Diese Voraussetzung
aber stellte sich als durchaus irrig heraus. Die frostigste Stimmung wartete des
Königs von Sardinien und seines Ministers in London insofern, als sie
bei der besten persönlichen Aufnahme wenig oder gar kein Entgegenkommen,
ja kaum ein Verständniß für ihre politischen und nationalen Wünsche bei
den englischen Staatsmännern fanden. Ganz unzugänglich den italienischen
Anliegen erwies sich insbesondere Lord Palmerston, sei es, daß er der sardi¬
nischen Politik die auf dem Pariser Kongresse den Nüssen gewährte Unter¬
stützung verarmt, sei'es. daß er jetzt die Annäherung an Oesterreich für seine
wichtigere Aufgabe hielt, sei es endlich, daß das Interesse der Aufrechterhal¬
tung des kaum wiederhergestellten Friedens bei ihm wie in England über¬
haupt das Uebergewicht über manche frühere Rücksicht gewonnen hatte. Kurz
die englischen Machthaber verhielten sich gegen die von Cavour vertretene
Nationalsache so kühl, daß dieser allen Hoffnungen entsagte, die er seit ge¬
raumer Zeit auf die britische Politik gesetzt und seine Rechnung wieder aus¬
schließlich auf Frankreich, das heißt auf die Person des Kaisers Napoleon
stellte, der es wenigstens an gelegentlichen Ermunterungen durch unbestimmte
Worte nicht fehlen ließ.

Das Wohlwollen des Tuilerienkabinets konnte indessen nicht verhindern,
daß Sardinien binnen kürzester Frist von neuem empfindlich an seine unter¬
geordnete Stellung erinnert wurde. Der am 30. März geschlossene Frieden
ließ einige Fragen offen, namentlich gewisse Grenzbestimmungen an der untern
Donau, zu deren Regelung abermals Conferenzen in Paris abgehalten wer¬
den sollten und wiederum drang Oesterreich, diesmal unterstützt von England,
auf den Ausschluß Sardiniens, das ja bei den zu behandelnden Angelegen¬
heiten wenig oder gar nicht betheiligt sei. Schließlich wurde allerdings ein
Vertreter der Turiner Regierung zugelassen, aber die Scharte der anfänglichen
Weigerung konnte damit nicht ausgewetzt werden.

In dieser Lage der Dinge hatte die Cavour'sche Politik die Probe neuer
Kammerwahlen zu bestehen und den voraussichtlichen Stürmen einer vielge¬
staltigen parlamentarischen Opposition die Stirn zu bieten. Die kirchliche
und die Adelspartei, die sich bisher größtentheils von jeder Theilnahme am
Verfassungsleben grundsätzlich fern gehalten, erschienen dies Mal vollzählig
auf dem Wahlplatze, in der Meinung, daß die Stunde geschlagen habe, den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/188>, abgerufen am 26.08.2024.