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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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oder niemals hinausreichten. Die aus der Julirevolution hervorgegangene
öffentliche Ordnung war das hohe Vorbild des piemontesischen Liberalismus,
dessen kühnste Ansprüche durch ein Verfassungswesen nach französischem Zuschnitt
reichlich befriedigt worden wären. Dazu kam dann freilich die allgemeine
italienische Forderung der Beseitigung der österreichischen Fremdherrschaft. --
In der Beschäftigung mit den einschlägigen Fragen begann Cavour seine
Lernzeit unter dem Schutze der blauweißrothen Fahne in dem französischen
Gesandtschaftspalaste inmitten französischer Diplomaten aus der Schule Gui-
zot's und der wenigen geistig verwandten Landsleute, die wie Azeglio, Ce-
sare Balbo, Gioberti wagten, dem Argwohn und der Mißgunst Trotz zu
bieten, womit der Hof diese Zusammenkünfte und deren Theilnehmer beauf¬
sichtigte.

Es handelte sich indessen für Cavour jetzt nicht vorzugsweise um schein¬
bar unfruchtbare Uebungen des politischen Verstandes und um patriotische Zu¬
kunftsträume, sondern es kam ihm vor allen Dingen darauf an, sich eine
praktische Lebensaufgabe zu stellen, von deren erfolgreicher Bearbeitung er sich eine
unabhängige Zukunft versprechen könne. Anstatt, nach der in ähnlicher Lage
üblichen italienischen Weise, seine Jugend in elegantem Müßiggange und auf¬
geputzter Dürftigkeit zu verlieren, faßte Cavour den in seiner Heimat fast bei¬
spiellosen Entschluß, der Landwirthschaft abzugewinnen, was ihm das Gesetz
des Landes versagte. Er, der nach dem Ausdrucke eines ihm nahe befreun¬
deten Verwandten kaum eine Rübe von einem Kohlkopf zu unterscheiden wußte,
übernahm den Betrieb der Familiengüter, die bei großem Umfange unter der
bisherigen Verwaltung, wie es scheint, nur einen geringen Ertrag lieferten.
Es war wiederum nicht die Neigung, welche ihn dem neuen Berufe zuführte,
es wurde ihm vielmehr anfänglich sehr schwer, sich in die, von seinen bis¬
herigen Lebensgewohnheiten so sehr verschiedenen Obliegenheiten desselben zu
fügen; alles Widerstreben der Natur und der Gewohnheit aber mußte der
nüchternen Ueberzeugung und einer seltenen Willenskraft weichen, und bin¬
nen einigen Jahren wurde Cavour nicht bloß ein mustergültiger Landwirth,
sondern auch ein Geschäftsmann in vollstem Sinne des Worts.

Die einförmige, schatten- und wasserlose Ebene von Leri war der Haupt¬
schauplatz seiner landwirthschaftlichen Thätigkeit und für eine lange Reihe von
Jahren blieb sein Lieblingsaufenthalt inmitten der hier von ihm geschaffenen
großartigen Anlagen für Reisbau und Viehzucht, die unter seiner wachsamen
Aufsicht und eigenem Handanlcgen die günstigsten Ergebnisse lieferten. Die
von der landwirthschaftlichen Chemie und Mechanik dargebotenen Rathschläge
und Hülfsmittel wurden von Cavour mit aufmerksamem Ohr aber nicht ohne
weisen Vorbehalt aufgenommen und besonders die Liebig'schen Vorschläge
stießen bei ihm auf Zweifel, die gelegentlich zu scharfem Ausdrucke kamen, ihn


oder niemals hinausreichten. Die aus der Julirevolution hervorgegangene
öffentliche Ordnung war das hohe Vorbild des piemontesischen Liberalismus,
dessen kühnste Ansprüche durch ein Verfassungswesen nach französischem Zuschnitt
reichlich befriedigt worden wären. Dazu kam dann freilich die allgemeine
italienische Forderung der Beseitigung der österreichischen Fremdherrschaft. —
In der Beschäftigung mit den einschlägigen Fragen begann Cavour seine
Lernzeit unter dem Schutze der blauweißrothen Fahne in dem französischen
Gesandtschaftspalaste inmitten französischer Diplomaten aus der Schule Gui-
zot's und der wenigen geistig verwandten Landsleute, die wie Azeglio, Ce-
sare Balbo, Gioberti wagten, dem Argwohn und der Mißgunst Trotz zu
bieten, womit der Hof diese Zusammenkünfte und deren Theilnehmer beauf¬
sichtigte.

Es handelte sich indessen für Cavour jetzt nicht vorzugsweise um schein¬
bar unfruchtbare Uebungen des politischen Verstandes und um patriotische Zu¬
kunftsträume, sondern es kam ihm vor allen Dingen darauf an, sich eine
praktische Lebensaufgabe zu stellen, von deren erfolgreicher Bearbeitung er sich eine
unabhängige Zukunft versprechen könne. Anstatt, nach der in ähnlicher Lage
üblichen italienischen Weise, seine Jugend in elegantem Müßiggange und auf¬
geputzter Dürftigkeit zu verlieren, faßte Cavour den in seiner Heimat fast bei¬
spiellosen Entschluß, der Landwirthschaft abzugewinnen, was ihm das Gesetz
des Landes versagte. Er, der nach dem Ausdrucke eines ihm nahe befreun¬
deten Verwandten kaum eine Rübe von einem Kohlkopf zu unterscheiden wußte,
übernahm den Betrieb der Familiengüter, die bei großem Umfange unter der
bisherigen Verwaltung, wie es scheint, nur einen geringen Ertrag lieferten.
Es war wiederum nicht die Neigung, welche ihn dem neuen Berufe zuführte,
es wurde ihm vielmehr anfänglich sehr schwer, sich in die, von seinen bis¬
herigen Lebensgewohnheiten so sehr verschiedenen Obliegenheiten desselben zu
fügen; alles Widerstreben der Natur und der Gewohnheit aber mußte der
nüchternen Ueberzeugung und einer seltenen Willenskraft weichen, und bin¬
nen einigen Jahren wurde Cavour nicht bloß ein mustergültiger Landwirth,
sondern auch ein Geschäftsmann in vollstem Sinne des Worts.

Die einförmige, schatten- und wasserlose Ebene von Leri war der Haupt¬
schauplatz seiner landwirthschaftlichen Thätigkeit und für eine lange Reihe von
Jahren blieb sein Lieblingsaufenthalt inmitten der hier von ihm geschaffenen
großartigen Anlagen für Reisbau und Viehzucht, die unter seiner wachsamen
Aufsicht und eigenem Handanlcgen die günstigsten Ergebnisse lieferten. Die
von der landwirthschaftlichen Chemie und Mechanik dargebotenen Rathschläge
und Hülfsmittel wurden von Cavour mit aufmerksamem Ohr aber nicht ohne
weisen Vorbehalt aufgenommen und besonders die Liebig'schen Vorschläge
stießen bei ihm auf Zweifel, die gelegentlich zu scharfem Ausdrucke kamen, ihn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/130>, abgerufen am 25.12.2024.