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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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groß ist die Macht elender Krankheiten, wenn ihnen keine ernste Disciplin
Schranken setzen kann.

Als die französische Kavallerie, an der Spitze der Herzog von Rochecupon
und andere vornehme Volontaires. sich anschickte, der kaiserlichen Nachhut
zu folgen, fand man vor den Thoren die Wege versperrt durch die Cadaver
todter Pferde, durch Wagen und zurückgelassenes Material. Tausende von
Leichen sollen unbeerdigt umhergelegen haben -- ein Zeichen tiefer Demora¬
lisation;*) und Hunderte von Kranken oder Ererbenden saßen mit bis zu den
Knieen erfrorenen Beinen am Wege, oder wälzten sich im Kothe, und baten
die Franzosen, sie zu tödten. Spanische Hauptleute, welche die Nachhut des
kaiserlichen Heeres befehligten, baten die französischen Verfolger, sie nicht an¬
zugreifen; man sähe ja: sie vermöchten kaum, sich fortzuschleppen; wie sollten
sie Stand halten und kämpfen. -- Statt, wie es damals gewöhnlich geschah,
das Lager in Brand zu stecken, ließ der Herzog von Guise mit einer für jene
Zeit seltenen Humanität die Kranken nach Metz schaffen, die Todten begraben,
und sogar dem Herzoge von Alba sagen: wenn er Transportmittel schicken
wolle, könne er die Kranken ungefährdet nach Thionville schaffen lassen. Auch
einen kranken spanischen Edelmann, den ihm Alba, um dessen Verpflegung
bittend, gesandt hatte, nahm Guise auf, und ließ ihn in Metz heilen. -- Da¬
gegen zeigte er seinen bigott-klerikalen Sinn dadurch, daß er unmittelbar nach
abgehaltenem Tedeum alle lutherischen oder reformirten Bücher sammeln
und sie öffentlich verbrennen ließ, wobei er den Einwohnern Befehl gab:
"as suivrs xour I'g.vorui' un weilwur trgin vis pu'an zMÄVWt pu'ils
eussvnt 6r6 roczu Z, Is, xroteetion Zu roi!"

Damit war das Drama der Belagerung geschlossen.

Die schwersten und bittersten Vorwürfe richteten die Kaiserlichen gegen
Alba, und sicherlich trägt sein unentschlossen zögerndes Verhalten in dem ersten
Stadium der Belagerung, namentlich der lOtägige Aufenthalt bei Se. Pierre
aux Champs, bevor er sich entschloß, die Trümmer der Vorstädte Se. Arnould
und Se. Element zu nehmen, eine Hauptschuld an dem Mißlingen der Be¬
lagerung. Doch läßt sich nicht verkennen, daß auch nach dem Eingreifen des
Kaisers unsicher genug hin- und her getappt wurde. Ist der Angriff doch
von Bellecroix bis zur Insel Simphorien, also vom äußersten Nordosten bis
zum Südwesten und zwar nach und nach hingezogen; überall ist angepocht
und nirgends mit voller Consequenz und concentrirt durchgestoßen worden.
Ein solches Hin und Her verräth wohl in den meisten Fällen Unsicherheit
und Halbwillen. -- Und auch an anderen Fehlern ist kein Mangel. Die
Kaiserlichen schießen auf zu große Entfernung Bresche, ohne den Fuß der



") Möglich auch, daß der Regen von vielen Gräber" die dünne Erddecke forrgespüil.

groß ist die Macht elender Krankheiten, wenn ihnen keine ernste Disciplin
Schranken setzen kann.

Als die französische Kavallerie, an der Spitze der Herzog von Rochecupon
und andere vornehme Volontaires. sich anschickte, der kaiserlichen Nachhut
zu folgen, fand man vor den Thoren die Wege versperrt durch die Cadaver
todter Pferde, durch Wagen und zurückgelassenes Material. Tausende von
Leichen sollen unbeerdigt umhergelegen haben — ein Zeichen tiefer Demora¬
lisation;*) und Hunderte von Kranken oder Ererbenden saßen mit bis zu den
Knieen erfrorenen Beinen am Wege, oder wälzten sich im Kothe, und baten
die Franzosen, sie zu tödten. Spanische Hauptleute, welche die Nachhut des
kaiserlichen Heeres befehligten, baten die französischen Verfolger, sie nicht an¬
zugreifen; man sähe ja: sie vermöchten kaum, sich fortzuschleppen; wie sollten
sie Stand halten und kämpfen. — Statt, wie es damals gewöhnlich geschah,
das Lager in Brand zu stecken, ließ der Herzog von Guise mit einer für jene
Zeit seltenen Humanität die Kranken nach Metz schaffen, die Todten begraben,
und sogar dem Herzoge von Alba sagen: wenn er Transportmittel schicken
wolle, könne er die Kranken ungefährdet nach Thionville schaffen lassen. Auch
einen kranken spanischen Edelmann, den ihm Alba, um dessen Verpflegung
bittend, gesandt hatte, nahm Guise auf, und ließ ihn in Metz heilen. — Da¬
gegen zeigte er seinen bigott-klerikalen Sinn dadurch, daß er unmittelbar nach
abgehaltenem Tedeum alle lutherischen oder reformirten Bücher sammeln
und sie öffentlich verbrennen ließ, wobei er den Einwohnern Befehl gab:
„as suivrs xour I'g.vorui' un weilwur trgin vis pu'an zMÄVWt pu'ils
eussvnt 6r6 roczu Z, Is, xroteetion Zu roi!"

Damit war das Drama der Belagerung geschlossen.

Die schwersten und bittersten Vorwürfe richteten die Kaiserlichen gegen
Alba, und sicherlich trägt sein unentschlossen zögerndes Verhalten in dem ersten
Stadium der Belagerung, namentlich der lOtägige Aufenthalt bei Se. Pierre
aux Champs, bevor er sich entschloß, die Trümmer der Vorstädte Se. Arnould
und Se. Element zu nehmen, eine Hauptschuld an dem Mißlingen der Be¬
lagerung. Doch läßt sich nicht verkennen, daß auch nach dem Eingreifen des
Kaisers unsicher genug hin- und her getappt wurde. Ist der Angriff doch
von Bellecroix bis zur Insel Simphorien, also vom äußersten Nordosten bis
zum Südwesten und zwar nach und nach hingezogen; überall ist angepocht
und nirgends mit voller Consequenz und concentrirt durchgestoßen worden.
Ein solches Hin und Her verräth wohl in den meisten Fällen Unsicherheit
und Halbwillen. — Und auch an anderen Fehlern ist kein Mangel. Die
Kaiserlichen schießen auf zu große Entfernung Bresche, ohne den Fuß der



") Möglich auch, daß der Regen von vielen Gräber» die dünne Erddecke forrgespüil.
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[0107] groß ist die Macht elender Krankheiten, wenn ihnen keine ernste Disciplin Schranken setzen kann. Als die französische Kavallerie, an der Spitze der Herzog von Rochecupon und andere vornehme Volontaires. sich anschickte, der kaiserlichen Nachhut zu folgen, fand man vor den Thoren die Wege versperrt durch die Cadaver todter Pferde, durch Wagen und zurückgelassenes Material. Tausende von Leichen sollen unbeerdigt umhergelegen haben — ein Zeichen tiefer Demora¬ lisation;*) und Hunderte von Kranken oder Ererbenden saßen mit bis zu den Knieen erfrorenen Beinen am Wege, oder wälzten sich im Kothe, und baten die Franzosen, sie zu tödten. Spanische Hauptleute, welche die Nachhut des kaiserlichen Heeres befehligten, baten die französischen Verfolger, sie nicht an¬ zugreifen; man sähe ja: sie vermöchten kaum, sich fortzuschleppen; wie sollten sie Stand halten und kämpfen. — Statt, wie es damals gewöhnlich geschah, das Lager in Brand zu stecken, ließ der Herzog von Guise mit einer für jene Zeit seltenen Humanität die Kranken nach Metz schaffen, die Todten begraben, und sogar dem Herzoge von Alba sagen: wenn er Transportmittel schicken wolle, könne er die Kranken ungefährdet nach Thionville schaffen lassen. Auch einen kranken spanischen Edelmann, den ihm Alba, um dessen Verpflegung bittend, gesandt hatte, nahm Guise auf, und ließ ihn in Metz heilen. — Da¬ gegen zeigte er seinen bigott-klerikalen Sinn dadurch, daß er unmittelbar nach abgehaltenem Tedeum alle lutherischen oder reformirten Bücher sammeln und sie öffentlich verbrennen ließ, wobei er den Einwohnern Befehl gab: „as suivrs xour I'g.vorui' un weilwur trgin vis pu'an zMÄVWt pu'ils eussvnt 6r6 roczu Z, Is, xroteetion Zu roi!" Damit war das Drama der Belagerung geschlossen. Die schwersten und bittersten Vorwürfe richteten die Kaiserlichen gegen Alba, und sicherlich trägt sein unentschlossen zögerndes Verhalten in dem ersten Stadium der Belagerung, namentlich der lOtägige Aufenthalt bei Se. Pierre aux Champs, bevor er sich entschloß, die Trümmer der Vorstädte Se. Arnould und Se. Element zu nehmen, eine Hauptschuld an dem Mißlingen der Be¬ lagerung. Doch läßt sich nicht verkennen, daß auch nach dem Eingreifen des Kaisers unsicher genug hin- und her getappt wurde. Ist der Angriff doch von Bellecroix bis zur Insel Simphorien, also vom äußersten Nordosten bis zum Südwesten und zwar nach und nach hingezogen; überall ist angepocht und nirgends mit voller Consequenz und concentrirt durchgestoßen worden. Ein solches Hin und Her verräth wohl in den meisten Fällen Unsicherheit und Halbwillen. — Und auch an anderen Fehlern ist kein Mangel. Die Kaiserlichen schießen auf zu große Entfernung Bresche, ohne den Fuß der ") Möglich auch, daß der Regen von vielen Gräber» die dünne Erddecke forrgespüil.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/107>, abgerufen am 28.08.2024.