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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Auge so blind wie eine Fledermaus war. Er meinte, dieses Auge untersucht
zu haben und kam überzeugt heim, daß es geschehen. Aber er entsinne sich
jetzt, daß jedesmal, wo er den Versuch machte, seine Aufmerksamkeit von dem.
dessen Opfer er geworden, auf etwas Anderes gelenkt worden war.

Noch ein Beispiel, dann will ich zu etwas Anderem übergehen. Man er¬
zählt mir, daß ein gewisser L. bei einem Besuch auf der Insel von einem
Eingeborenen ein paar sehr stattlich aussehende Pferde kaufte, die von gleicher
Größe und Farbe sein sollten. Sie befanden sich in einem kleinen Stall,
durch den in der Mitte eine Scheidewand ging -- ein Pferd in jeder Abthei¬
lung. L. betrachtete eins derselben kritisch durch ein Fenster, (der "Bruder"
des Kanakas war nämlich mit dem Schlüssel über Land) und ging dann um
das Haus herum und prüfte das andere durch ein Fenster auf der anderen
Seite, Er sagte, das wäre das netteste Paar, das er je gesehen, und bezahlte
die Pferde auf der Stelle, worauf der Kanaka abreiste, und sich zu seinem
Bruder auf dem Lande begab. Der Kerl hatte L. schmachvoll beschwindelt.
Es gab nur ein Pferd in dem Stalle, und er hatte seine Luvseite durch das
eine und seine Leeseite durch das andere Fenster geprüft. Ich möchte diese
Anekdote nicht glauben, gab sie aber, weil sie als phantasievolle Illustra¬
tion einer fest stehenden Thatsache einigen Werth hat -- nämlich, daß der
Kanaka-Roßkamm fruchtbar in Erfindungen und elastisch von Gewissen ist.

Man kann ein ziemlich gutes Pferd für vierzig bis fünfzig Dollars kau¬
fen und ein Pferd, das für alle praktischen Zwecke gut genug ist, für dritt¬
halb Dollars. Ich schätze "Oahu" etwa auf fünf und dreißig Cents*). Ein
viel besseres Pferd wurde gestern hier für einen Dollar und fünfundfünfzig
Cents und heute wieder für zwei Dollars und fünfundzwanzig Cents verkauft.
Williams kaufte gestern einen hübschen und lebhaften kleinen Pony für zehn
Dollars und so ziemlich das beste Landpferd der Insel, in der That ein
tüchtiger Schlag, kam gestern mit Einschluß eines mexikanischen Sattels und
Zügels siebzig Dollars zu stehen -- ein Pferd weit und breit bekannt und
geachtet wegen seiner Schnelligkeit, seiner frommen Gemüthsart und seimr
unendlichen Ausdauer. Man giebt seinem Pferde ein wenig Korn den Tag
über, es kommt von San Francisco und ist etwa zwei Cents per Pfund
werth; und man giebt ihm so viel Heu, als es braucht, es wird von den
Eingeborenen gemäht und zu Markte gebracht und ist nicht sehr gut. Man
bindet es in lange runde Bündel von der Größe eines langgewachsenen
Mannes zusammen, eines von diesen wird in der Mitte mit einer langen
Stange angespießt, ein anderes an das andere Ende der Stange gesteckt, und
der Kanaka nimmt die Stange auf die Schulter und geht zwischen den auf-



") Etwa 15 SilbcMvschm.

Auge so blind wie eine Fledermaus war. Er meinte, dieses Auge untersucht
zu haben und kam überzeugt heim, daß es geschehen. Aber er entsinne sich
jetzt, daß jedesmal, wo er den Versuch machte, seine Aufmerksamkeit von dem.
dessen Opfer er geworden, auf etwas Anderes gelenkt worden war.

Noch ein Beispiel, dann will ich zu etwas Anderem übergehen. Man er¬
zählt mir, daß ein gewisser L. bei einem Besuch auf der Insel von einem
Eingeborenen ein paar sehr stattlich aussehende Pferde kaufte, die von gleicher
Größe und Farbe sein sollten. Sie befanden sich in einem kleinen Stall,
durch den in der Mitte eine Scheidewand ging — ein Pferd in jeder Abthei¬
lung. L. betrachtete eins derselben kritisch durch ein Fenster, (der „Bruder"
des Kanakas war nämlich mit dem Schlüssel über Land) und ging dann um
das Haus herum und prüfte das andere durch ein Fenster auf der anderen
Seite, Er sagte, das wäre das netteste Paar, das er je gesehen, und bezahlte
die Pferde auf der Stelle, worauf der Kanaka abreiste, und sich zu seinem
Bruder auf dem Lande begab. Der Kerl hatte L. schmachvoll beschwindelt.
Es gab nur ein Pferd in dem Stalle, und er hatte seine Luvseite durch das
eine und seine Leeseite durch das andere Fenster geprüft. Ich möchte diese
Anekdote nicht glauben, gab sie aber, weil sie als phantasievolle Illustra¬
tion einer fest stehenden Thatsache einigen Werth hat — nämlich, daß der
Kanaka-Roßkamm fruchtbar in Erfindungen und elastisch von Gewissen ist.

Man kann ein ziemlich gutes Pferd für vierzig bis fünfzig Dollars kau¬
fen und ein Pferd, das für alle praktischen Zwecke gut genug ist, für dritt¬
halb Dollars. Ich schätze „Oahu" etwa auf fünf und dreißig Cents*). Ein
viel besseres Pferd wurde gestern hier für einen Dollar und fünfundfünfzig
Cents und heute wieder für zwei Dollars und fünfundzwanzig Cents verkauft.
Williams kaufte gestern einen hübschen und lebhaften kleinen Pony für zehn
Dollars und so ziemlich das beste Landpferd der Insel, in der That ein
tüchtiger Schlag, kam gestern mit Einschluß eines mexikanischen Sattels und
Zügels siebzig Dollars zu stehen — ein Pferd weit und breit bekannt und
geachtet wegen seiner Schnelligkeit, seiner frommen Gemüthsart und seimr
unendlichen Ausdauer. Man giebt seinem Pferde ein wenig Korn den Tag
über, es kommt von San Francisco und ist etwa zwei Cents per Pfund
werth; und man giebt ihm so viel Heu, als es braucht, es wird von den
Eingeborenen gemäht und zu Markte gebracht und ist nicht sehr gut. Man
bindet es in lange runde Bündel von der Größe eines langgewachsenen
Mannes zusammen, eines von diesen wird in der Mitte mit einer langen
Stange angespießt, ein anderes an das andere Ende der Stange gesteckt, und
der Kanaka nimmt die Stange auf die Schulter und geht zwischen den auf-



") Etwa 15 SilbcMvschm.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/75>, abgerufen am 05.02.2025.