Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.Unterdrückung der Eigenart hinaus; höchstes Ziel ist, die Schüler zu Virtuo¬ Eine der auffallendsten Erscheinungen ist, daß trotz der lärmenden Gleich¬ Unterdrückung der Eigenart hinaus; höchstes Ziel ist, die Schüler zu Virtuo¬ Eine der auffallendsten Erscheinungen ist, daß trotz der lärmenden Gleich¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0060" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192863"/> <p xml:id="ID_156" prev="#ID_155"> Unterdrückung der Eigenart hinaus; höchstes Ziel ist, die Schüler zu Virtuo¬<lb/> sen zu machen. In ähnlichem Geiste wird der höhere Unterricht gehandhabt.<lb/> Universitäten im deutschen Sinne sind nicht vorhanden; die Facultäten sind<lb/> zersplittert. Elf Rechtsschulen, drei Medicinschulen, denen gegenwärtig noch<lb/> einige neue hinzugefügt werden sollen, ein paar theologische Facultäten, von<lb/> denen aber die katholischen durch die Seminarien vollständig lahm gelegt sind,<lb/> und, als Repräsentanten der philosophischen Facultät, je 16 lÄeuML «to»<lb/> IvttreL und jÄeultöiZ et<;s seionev» cultiviren nach dem Gesetze der Arbeitsthei¬<lb/> lung die höhere Bildung. Ueberall sind die Studien durchaus auf das<lb/> praktisch Nothwendige beschränkt, nirgends wird ein Einblick in den inneren<lb/> Zusammenhang der einzelnen Wissenschaften, ja nicht einmal in den Werde¬<lb/> gang der speciellen Disciplin den Studirenden gewährt. Nur die alten Pa¬<lb/> riser Institute Oo116go alö I'ranev, ^.va<!6w!k Lrauyaisv, ^.ca.Anm!s äos in-<lb/> serixtions, und neuerdings die Levlv c1«s limites vwcles machen als Pfleg¬<lb/> stätten wahrer Wissenschaft eine Ausnahme.</p><lb/> <p xml:id="ID_157" next="#ID_158"> Eine der auffallendsten Erscheinungen ist, daß trotz der lärmenden Gleich¬<lb/> heitsschwärmerei der Franzosen kaum irgendwo anders die gesellschaftlichen<lb/> Klassen so streng geschieden sind, M in Frankreich- Während Deutschland,<lb/> das sich, durch die Brille unserer Nachbarn betrachtet, wie eine Reliquie aus<lb/> der Feudalzeit ausnimmt, eine stark demokratisirte Gesellschaft besitzt, steht<lb/> jenseits der Bogesen der Kastengeist noch in voller Blüthe. Natürlich ist das<lb/> Eldorado dieser Formationen nicht die Hauptstadt, sondern die Provinz. Er¬<lb/> haben über alle anderen Kasten steht daselbst diejenige der makistrawrv»<lb/> der Justiz. Dann folgt die „Colonie", zusammengesetzt aus den höheren<lb/> Verwaltungs- und Finanzbeamten, Officieren und Professoren. Sie ist das<lb/> treibende Agens der provinzialstädlischen „Gesellschaft", welche sich außerdem<lb/> aus dem Adel, den benachbarten Gutsbesitzern, den Notaren, Advocaten,<lb/> Aerzten, reichen Kaufleuten und ortsangehörigen Justizbeamten zusammensetzt.<lb/> Die Inhaltlosigkeit des Treibens dieser Gesellschaft, in welcher die Diners und<lb/> Bälle des Präfecten die Hauptfragen ausmachen, ist von unserem Verfasser in<lb/> dem Abschnitt „die Provinz und Paris" anschaulich geschildert. Alles,<lb/> was nicht unter die bezeichneten Kategorien fällt, gehört nicht zur „Gesell¬<lb/> schaft"; selbst das Offiziercorps gilt, weil es zum großen Theile aus Unter-<lb/> officieren hervorgeht, nicht als vollberechtigter Bestandtheil derselben. Ganz<lb/> abgesondert steht der Klerus; er nimmt nicht Theil an den Vergnügungen<lb/> der Gesellschaft, findet aber doch Mittel und Wege genug, einen überwiegen¬<lb/> den Einfluß, namentlich auf die Frauen auszuüben. Wer dem geisttödtenden<lb/> Chinesenthum der Provinz entfliehen will, findet nur ein Asyl: Paris.<lb/> Zwar auch Paris hat seine „Provinz"; sie wird gebildet von dem eingebo¬<lb/> renen blasirten Philistertum. Aber sie verschwindet neben jener aus den ge-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0060]
Unterdrückung der Eigenart hinaus; höchstes Ziel ist, die Schüler zu Virtuo¬
sen zu machen. In ähnlichem Geiste wird der höhere Unterricht gehandhabt.
Universitäten im deutschen Sinne sind nicht vorhanden; die Facultäten sind
zersplittert. Elf Rechtsschulen, drei Medicinschulen, denen gegenwärtig noch
einige neue hinzugefügt werden sollen, ein paar theologische Facultäten, von
denen aber die katholischen durch die Seminarien vollständig lahm gelegt sind,
und, als Repräsentanten der philosophischen Facultät, je 16 lÄeuML «to»
IvttreL und jÄeultöiZ et<;s seionev» cultiviren nach dem Gesetze der Arbeitsthei¬
lung die höhere Bildung. Ueberall sind die Studien durchaus auf das
praktisch Nothwendige beschränkt, nirgends wird ein Einblick in den inneren
Zusammenhang der einzelnen Wissenschaften, ja nicht einmal in den Werde¬
gang der speciellen Disciplin den Studirenden gewährt. Nur die alten Pa¬
riser Institute Oo116go alö I'ranev, ^.va<!6w!k Lrauyaisv, ^.ca.Anm!s äos in-
serixtions, und neuerdings die Levlv c1«s limites vwcles machen als Pfleg¬
stätten wahrer Wissenschaft eine Ausnahme.
Eine der auffallendsten Erscheinungen ist, daß trotz der lärmenden Gleich¬
heitsschwärmerei der Franzosen kaum irgendwo anders die gesellschaftlichen
Klassen so streng geschieden sind, M in Frankreich- Während Deutschland,
das sich, durch die Brille unserer Nachbarn betrachtet, wie eine Reliquie aus
der Feudalzeit ausnimmt, eine stark demokratisirte Gesellschaft besitzt, steht
jenseits der Bogesen der Kastengeist noch in voller Blüthe. Natürlich ist das
Eldorado dieser Formationen nicht die Hauptstadt, sondern die Provinz. Er¬
haben über alle anderen Kasten steht daselbst diejenige der makistrawrv»
der Justiz. Dann folgt die „Colonie", zusammengesetzt aus den höheren
Verwaltungs- und Finanzbeamten, Officieren und Professoren. Sie ist das
treibende Agens der provinzialstädlischen „Gesellschaft", welche sich außerdem
aus dem Adel, den benachbarten Gutsbesitzern, den Notaren, Advocaten,
Aerzten, reichen Kaufleuten und ortsangehörigen Justizbeamten zusammensetzt.
Die Inhaltlosigkeit des Treibens dieser Gesellschaft, in welcher die Diners und
Bälle des Präfecten die Hauptfragen ausmachen, ist von unserem Verfasser in
dem Abschnitt „die Provinz und Paris" anschaulich geschildert. Alles,
was nicht unter die bezeichneten Kategorien fällt, gehört nicht zur „Gesell¬
schaft"; selbst das Offiziercorps gilt, weil es zum großen Theile aus Unter-
officieren hervorgeht, nicht als vollberechtigter Bestandtheil derselben. Ganz
abgesondert steht der Klerus; er nimmt nicht Theil an den Vergnügungen
der Gesellschaft, findet aber doch Mittel und Wege genug, einen überwiegen¬
den Einfluß, namentlich auf die Frauen auszuüben. Wer dem geisttödtenden
Chinesenthum der Provinz entfliehen will, findet nur ein Asyl: Paris.
Zwar auch Paris hat seine „Provinz"; sie wird gebildet von dem eingebo¬
renen blasirten Philistertum. Aber sie verschwindet neben jener aus den ge-
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