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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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meinschaft zwischen uns und den Deutschen in Oesterreich. Ungarn aufrecht zu
erhalten dienen mag. Dazu gehören ohne Zweifel die meisten jener wissen¬
schaftlich-praktischen Congresse, mit deren vielseitiger Ausbildung Deutschland
nach dem Eintritt des sie ermöglichenden Eisenbahn-Zeitalters allen Nationen
vorangegangen ist, und die heute eine so bedeutende Rolle in unserem öffent¬
lichen Leben spielen, vom nationalen Parlament weder verdrängt, noch selbst
nur besonders verdunkelt. Dazu gehört insbesondere u. a- auch der Volks-
wirthschaftliche Congreß, wenigstens in einem Theil seines Programms. Ein
anderer, und zwar der wichtigste und anziehendste Theil dieses Programms
wird freilich wohl immer, wenn der Congreß auf Reichsboden tagt, den
grade schwebenden wirthschaftlichen Neichsfragen gehören und folglich die
Oesterreicher nur mäßig anlocken können. Aber das schließt nicht aus, Gegen¬
stände von allgemeinerer Tragweite gemeinsam mit ihnen durchzusprechen, da
der Culturzustand und die Bildungsform, von denen dabei auszugehen, im
wesentlichen ja dieselben sind. Es wird sich nur fragen, ob in Wien ein
dauernder Bund geschlossen worden ist oder nur eine vorübergehende Be¬
rührung stattgefunden hat; d. h. ob die Oesterreicher nächstes Jahr und die
folgenden den Besuch einigermaßen mannstark erwidern werden.

Die bedeutungsvollste Discussion des Congresses war diesmal die über
das Eisenbah nfracht Wesen. Ein mittagender dänischer Volkswirth,
Herr Frederiksen aus Kopenhagen versuchte sie auf das Gebiet des Streits über
Staats- oder Privatbahnen zu spielen. Aber obgleich einzelne nachfolgende
Redner wie Rickert (Danzig) und Alexander Meyer in Kürze darauf ein¬
gingen und der Forderung ausschließlichen Staatsbahnbetriebes entgegentraten,
fand doch kein förmlicher Uebergang auf dieses Feld statt. Es war offenbar
kein Perrot da, um durch seinen agitatorischen Fanatismus auch eine wider¬
strebende Versammlung dazu zu nöthigen; und wenn der Berichterstatter eines
Hamburger Blattes im Privatgespräch bemerkt haben will, daß die Perrot'sche
Ansicht von der allein glücklichmachenden Kraft des Staatsbetriebes, Fortschritte
mache, so brachte die öffentliche Verhandlung jedenfalls nichts derart zu Tage.
Sie drehte sich vielmehr um die praktisch näher liegende Frage, wie auf den
einmal vorhandenen Privateisenbahnen der Betrieb möglichst zweckmäßig
zu gestalten sei. Als leitend erwies sich dabei wiederum die Idee, den Fracht¬
betrieb vom Bahnbetriebe zu trennen, oder wie der Referent, Dorn (Trieft),
das ausdrückte, das Tractions-Monopol der Bahn-Eigenthümer aufzuheben,
d. h. auf derselben Bahn unter gewissen sichernden Bedingungen eine con-
curirende Mehrzahl von Spediteuren zuzulassen. Den gangbarsten Weg zu
diesem Ziele aber fand man vorläufig allgemein in dem sogenannten Wagen¬
raum- und Collo-Tarif oder Gewichts- und Wagenraum-Tarif der elsässischen
Eisenbahnen, einem ersten politischen Geschenk des neuen Reichslandes an das


Grenzvoten ni. 1873. 60

meinschaft zwischen uns und den Deutschen in Oesterreich. Ungarn aufrecht zu
erhalten dienen mag. Dazu gehören ohne Zweifel die meisten jener wissen¬
schaftlich-praktischen Congresse, mit deren vielseitiger Ausbildung Deutschland
nach dem Eintritt des sie ermöglichenden Eisenbahn-Zeitalters allen Nationen
vorangegangen ist, und die heute eine so bedeutende Rolle in unserem öffent¬
lichen Leben spielen, vom nationalen Parlament weder verdrängt, noch selbst
nur besonders verdunkelt. Dazu gehört insbesondere u. a- auch der Volks-
wirthschaftliche Congreß, wenigstens in einem Theil seines Programms. Ein
anderer, und zwar der wichtigste und anziehendste Theil dieses Programms
wird freilich wohl immer, wenn der Congreß auf Reichsboden tagt, den
grade schwebenden wirthschaftlichen Neichsfragen gehören und folglich die
Oesterreicher nur mäßig anlocken können. Aber das schließt nicht aus, Gegen¬
stände von allgemeinerer Tragweite gemeinsam mit ihnen durchzusprechen, da
der Culturzustand und die Bildungsform, von denen dabei auszugehen, im
wesentlichen ja dieselben sind. Es wird sich nur fragen, ob in Wien ein
dauernder Bund geschlossen worden ist oder nur eine vorübergehende Be¬
rührung stattgefunden hat; d. h. ob die Oesterreicher nächstes Jahr und die
folgenden den Besuch einigermaßen mannstark erwidern werden.

Die bedeutungsvollste Discussion des Congresses war diesmal die über
das Eisenbah nfracht Wesen. Ein mittagender dänischer Volkswirth,
Herr Frederiksen aus Kopenhagen versuchte sie auf das Gebiet des Streits über
Staats- oder Privatbahnen zu spielen. Aber obgleich einzelne nachfolgende
Redner wie Rickert (Danzig) und Alexander Meyer in Kürze darauf ein¬
gingen und der Forderung ausschließlichen Staatsbahnbetriebes entgegentraten,
fand doch kein förmlicher Uebergang auf dieses Feld statt. Es war offenbar
kein Perrot da, um durch seinen agitatorischen Fanatismus auch eine wider¬
strebende Versammlung dazu zu nöthigen; und wenn der Berichterstatter eines
Hamburger Blattes im Privatgespräch bemerkt haben will, daß die Perrot'sche
Ansicht von der allein glücklichmachenden Kraft des Staatsbetriebes, Fortschritte
mache, so brachte die öffentliche Verhandlung jedenfalls nichts derart zu Tage.
Sie drehte sich vielmehr um die praktisch näher liegende Frage, wie auf den
einmal vorhandenen Privateisenbahnen der Betrieb möglichst zweckmäßig
zu gestalten sei. Als leitend erwies sich dabei wiederum die Idee, den Fracht¬
betrieb vom Bahnbetriebe zu trennen, oder wie der Referent, Dorn (Trieft),
das ausdrückte, das Tractions-Monopol der Bahn-Eigenthümer aufzuheben,
d. h. auf derselben Bahn unter gewissen sichernden Bedingungen eine con-
curirende Mehrzahl von Spediteuren zuzulassen. Den gangbarsten Weg zu
diesem Ziele aber fand man vorläufig allgemein in dem sogenannten Wagen¬
raum- und Collo-Tarif oder Gewichts- und Wagenraum-Tarif der elsässischen
Eisenbahnen, einem ersten politischen Geschenk des neuen Reichslandes an das


Grenzvoten ni. 1873. 60
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/481>, abgerufen am 06.02.2025.