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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Sinn soll nicht in Worten verkündigt, sondern durch Musik allein ausgedrückt
werden. -

Der Vergleich dieser beiden Fassungen bietet eine merkwürdige Wahr¬
nehmung. Zuerst hat der Dichter als Sinn seiner Dichtung der Heldin der¬
selben in den Mund gelegte "Nicht Gut noch Geld, noch göttliche Pracht;
Nicht Haus noch Hof, noch herrischer Prunk; Nicht trüber Verträge trügen¬
der Bund; Nicht heuchelnder Sitte hartes Gesetz -- Selig in Lust und Leid
läßt die Liebe nur sein." Ein schöner aber einseitiger Gedanke, angemessen
Brünnhilden, so lange der Rausch ihrer Liebe ihr das Auge des Wissens ver¬
schließt, aber durchaus nicht geeignet, wie der Dichter Brünnhilden vorher sa¬
gen läßt, als ihres heiligsten Wissens Hort der von den Göttern verlassenen
Welt zugewiesen zu werden, um sie statt der Götter zu lenken. Diese erste
Fassung gab Wagner seiner Schlußsentenz bei der ersten Herausgabe seiner
Dichtung. Offenbar erschien ihm damals edle Liebesleidenschaft als das ein¬
zige wahre Gut des Lebens, obwohl er ihre tragische Natur in seinem gro߬
artigen Gedicht geschildert hatte. Inzwischen mochte dies Gefühl in der Per¬
sönlichkeit des Dichters vor anderen Lebensmächten in engere Schranken ge¬
treten sein, vor Allem aber, er lernte während seines Aufenthaltes in der
Schweiz die Schopenhauersche Philosophie kennen. Diese Philosophie gewann
einen merkwürdigen Einfluß auf ihn: so viel wir zu erkennen im Stande
sind aus °zwei Gründen. Einmal wurde er wohl durch sie zuerst oder allein
in den Zauber der philosophischen Dialektik eingeweiht, der jede mit einer höhe¬
ren Verstandesorganisation ausgerüstete Natur bei seiner Berührung unwider¬
stehlich ergreift und niemals völlig wieder losläßt. Daß dann ein solche Na¬
tur den Gegenstand ihres höchsten geistigen Antheils zum Ziel dieser Dia¬
lektik zu machen pflegt, ist natürlich, und so dürfen wir uns nicht wundern,
wenn Wagner alsbald die Urbewegung des Geistes, wie sie Schopenhauer
auffaßt als den Inhalt der wahren Musik zu erkennen glaubt. Wir
dürfen uns auch nicht wundern, wenn er aus dem Kern dieser Philo¬
sophie sein dichterisches Hauptwerk geschaffen zu haben nachträglich glaubte,
und mit einer poetischen Umschreibung dieses Kernes dieses Werk richtig zu
krönen der Meinung war. Die poetische Zusammenfassung dieser Philosophie
in wenigen Zeilen ist bewundernswerth, sie lautet: "Aus Wunschheim zieh
ich fort, Wahnheim flieh ich auf immer. Des ewigen Werdens offne Thore
schließ ich hinter mir zu. Nach dem wünsch- und wahnlos heiligsten Wahl¬
land, der Weltwanderung Ziel, von Wiedergeburt erlöst, zieht nun die Wissende
hin. Alles Ewigen seliges Ende wißt Ihr, wie ichs gewann? -- Trauern¬
der Liebe tiefstes Leiden schloß die Augen mir auf: enden sah ich die
Welt." Das ist die Schopenhauersche Philosophie in poetischer Form:
Absterben der aus Wunsch und Wahn, aus dem Willen zum Leben und aus


Sinn soll nicht in Worten verkündigt, sondern durch Musik allein ausgedrückt
werden. -

Der Vergleich dieser beiden Fassungen bietet eine merkwürdige Wahr¬
nehmung. Zuerst hat der Dichter als Sinn seiner Dichtung der Heldin der¬
selben in den Mund gelegte „Nicht Gut noch Geld, noch göttliche Pracht;
Nicht Haus noch Hof, noch herrischer Prunk; Nicht trüber Verträge trügen¬
der Bund; Nicht heuchelnder Sitte hartes Gesetz — Selig in Lust und Leid
läßt die Liebe nur sein." Ein schöner aber einseitiger Gedanke, angemessen
Brünnhilden, so lange der Rausch ihrer Liebe ihr das Auge des Wissens ver¬
schließt, aber durchaus nicht geeignet, wie der Dichter Brünnhilden vorher sa¬
gen läßt, als ihres heiligsten Wissens Hort der von den Göttern verlassenen
Welt zugewiesen zu werden, um sie statt der Götter zu lenken. Diese erste
Fassung gab Wagner seiner Schlußsentenz bei der ersten Herausgabe seiner
Dichtung. Offenbar erschien ihm damals edle Liebesleidenschaft als das ein¬
zige wahre Gut des Lebens, obwohl er ihre tragische Natur in seinem gro߬
artigen Gedicht geschildert hatte. Inzwischen mochte dies Gefühl in der Per¬
sönlichkeit des Dichters vor anderen Lebensmächten in engere Schranken ge¬
treten sein, vor Allem aber, er lernte während seines Aufenthaltes in der
Schweiz die Schopenhauersche Philosophie kennen. Diese Philosophie gewann
einen merkwürdigen Einfluß auf ihn: so viel wir zu erkennen im Stande
sind aus °zwei Gründen. Einmal wurde er wohl durch sie zuerst oder allein
in den Zauber der philosophischen Dialektik eingeweiht, der jede mit einer höhe¬
ren Verstandesorganisation ausgerüstete Natur bei seiner Berührung unwider¬
stehlich ergreift und niemals völlig wieder losläßt. Daß dann ein solche Na¬
tur den Gegenstand ihres höchsten geistigen Antheils zum Ziel dieser Dia¬
lektik zu machen pflegt, ist natürlich, und so dürfen wir uns nicht wundern,
wenn Wagner alsbald die Urbewegung des Geistes, wie sie Schopenhauer
auffaßt als den Inhalt der wahren Musik zu erkennen glaubt. Wir
dürfen uns auch nicht wundern, wenn er aus dem Kern dieser Philo¬
sophie sein dichterisches Hauptwerk geschaffen zu haben nachträglich glaubte,
und mit einer poetischen Umschreibung dieses Kernes dieses Werk richtig zu
krönen der Meinung war. Die poetische Zusammenfassung dieser Philosophie
in wenigen Zeilen ist bewundernswerth, sie lautet: „Aus Wunschheim zieh
ich fort, Wahnheim flieh ich auf immer. Des ewigen Werdens offne Thore
schließ ich hinter mir zu. Nach dem wünsch- und wahnlos heiligsten Wahl¬
land, der Weltwanderung Ziel, von Wiedergeburt erlöst, zieht nun die Wissende
hin. Alles Ewigen seliges Ende wißt Ihr, wie ichs gewann? — Trauern¬
der Liebe tiefstes Leiden schloß die Augen mir auf: enden sah ich die
Welt." Das ist die Schopenhauersche Philosophie in poetischer Form:
Absterben der aus Wunsch und Wahn, aus dem Willen zum Leben und aus


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[0477] Sinn soll nicht in Worten verkündigt, sondern durch Musik allein ausgedrückt werden. - Der Vergleich dieser beiden Fassungen bietet eine merkwürdige Wahr¬ nehmung. Zuerst hat der Dichter als Sinn seiner Dichtung der Heldin der¬ selben in den Mund gelegte „Nicht Gut noch Geld, noch göttliche Pracht; Nicht Haus noch Hof, noch herrischer Prunk; Nicht trüber Verträge trügen¬ der Bund; Nicht heuchelnder Sitte hartes Gesetz — Selig in Lust und Leid läßt die Liebe nur sein." Ein schöner aber einseitiger Gedanke, angemessen Brünnhilden, so lange der Rausch ihrer Liebe ihr das Auge des Wissens ver¬ schließt, aber durchaus nicht geeignet, wie der Dichter Brünnhilden vorher sa¬ gen läßt, als ihres heiligsten Wissens Hort der von den Göttern verlassenen Welt zugewiesen zu werden, um sie statt der Götter zu lenken. Diese erste Fassung gab Wagner seiner Schlußsentenz bei der ersten Herausgabe seiner Dichtung. Offenbar erschien ihm damals edle Liebesleidenschaft als das ein¬ zige wahre Gut des Lebens, obwohl er ihre tragische Natur in seinem gro߬ artigen Gedicht geschildert hatte. Inzwischen mochte dies Gefühl in der Per¬ sönlichkeit des Dichters vor anderen Lebensmächten in engere Schranken ge¬ treten sein, vor Allem aber, er lernte während seines Aufenthaltes in der Schweiz die Schopenhauersche Philosophie kennen. Diese Philosophie gewann einen merkwürdigen Einfluß auf ihn: so viel wir zu erkennen im Stande sind aus °zwei Gründen. Einmal wurde er wohl durch sie zuerst oder allein in den Zauber der philosophischen Dialektik eingeweiht, der jede mit einer höhe¬ ren Verstandesorganisation ausgerüstete Natur bei seiner Berührung unwider¬ stehlich ergreift und niemals völlig wieder losläßt. Daß dann ein solche Na¬ tur den Gegenstand ihres höchsten geistigen Antheils zum Ziel dieser Dia¬ lektik zu machen pflegt, ist natürlich, und so dürfen wir uns nicht wundern, wenn Wagner alsbald die Urbewegung des Geistes, wie sie Schopenhauer auffaßt als den Inhalt der wahren Musik zu erkennen glaubt. Wir dürfen uns auch nicht wundern, wenn er aus dem Kern dieser Philo¬ sophie sein dichterisches Hauptwerk geschaffen zu haben nachträglich glaubte, und mit einer poetischen Umschreibung dieses Kernes dieses Werk richtig zu krönen der Meinung war. Die poetische Zusammenfassung dieser Philosophie in wenigen Zeilen ist bewundernswerth, sie lautet: „Aus Wunschheim zieh ich fort, Wahnheim flieh ich auf immer. Des ewigen Werdens offne Thore schließ ich hinter mir zu. Nach dem wünsch- und wahnlos heiligsten Wahl¬ land, der Weltwanderung Ziel, von Wiedergeburt erlöst, zieht nun die Wissende hin. Alles Ewigen seliges Ende wißt Ihr, wie ichs gewann? — Trauern¬ der Liebe tiefstes Leiden schloß die Augen mir auf: enden sah ich die Welt." Das ist die Schopenhauersche Philosophie in poetischer Form: Absterben der aus Wunsch und Wahn, aus dem Willen zum Leben und aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/477>, abgerufen am 06.02.2025.