Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.einmal ihrer Vergangenheit und des Wissens, das sie als göttliche Jungfrau Das vierte Drama der Tetralogie " die Götterdämmerung" beginnt In der zweiten Scene des Vorspiels treten Siegfried und Brünnhilde einmal ihrer Vergangenheit und des Wissens, das sie als göttliche Jungfrau Das vierte Drama der Tetralogie „ die Götterdämmerung" beginnt In der zweiten Scene des Vorspiels treten Siegfried und Brünnhilde <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0472" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193275"/> <p xml:id="ID_1570" prev="#ID_1569"> einmal ihrer Vergangenheit und des Wissens, das sie als göttliche Jungfrau<lb/> besessen. Ihr Wissen ging zuletzt auf in das Vorschauen von Siegfrieds Herr¬<lb/> lichkeit, den sie nun vor sich sieht. Ader sie fürchtet seine Liebe, mit der sie<lb/> in das irdische ungewisse Schicksal tritt und die Pforten des Wissens<lb/> sich ihr verschließen. Endlich weicht sie besiegt der Liebesgluth. Auch hier<lb/> erscheinen ihre Empfindungen eben so heiß und stark, als menschlich edel und<lb/> weiblich zart. Dies das Drama Siegfried. So einfach die Handlung im<lb/> Ganzen ist, so herrscht doch in jedem Akt eine dramatisch spannende Bewegung<lb/> und einzelne Scenen sind durch die echt poetische Farbe von bezaubernder Wir¬<lb/> kung, wie Siegmunds Zwiesprache mit den Vögeln.</p><lb/> <p xml:id="ID_1571"> Das vierte Drama der Tetralogie „ die Götterdämmerung" beginnt<lb/> mit einem Vorspiel, das aus zwei Scenen besteht. Im Wechselgesang er¬<lb/> zählen zuerst die drei Normen, in kurzen Zügen es wiederholend, das Welt- und<lb/> Götterschicksal. Die erste Rome erzählt: wie zuerst die Weltesche sproßte<lb/> und grünte, in deren Schatten der Weisheitsquell rann; wie Wotan zum<lb/> Trunk an den Quell trat, seiner Augen eines zum Zoll zählend; wie der<lb/> Gott von der Weltesche einen Ast brach, sich diesen zum Speerschaft schnitt;<lb/> wie in langer Zeiten Lauf die Wunde den Weltbaum zehrte und wie der<lb/> Quell versiegte. Die zweite Rome erzählt den zweiten Abschnitt des Welten¬<lb/> schicksals: wie Wotan in des Speeres Schaft treu berathener Verträge<lb/> Runen schnitt, den er als Haft der Welt hielt. Nun ist der Speer zerschla¬<lb/> gen, der Haft heiliger Verträge zersprungen, nun hat Wotan den Helden<lb/> Walhalls geboten, die welken Aeste der Weltesche in Stücke zu fällen. Die<lb/> dritte Rome erzählt: wie die Scheite der Weltesche um Walhall gethürmt<lb/> sind, deren Gluth, wenn sie entbrennt, die Götter und ihren glänzenden<lb/> Saal verzehren wird. Die Nornen fragen sich gegenseitig weiter, und die<lb/> dritte erzählt noch, daß Wotan die Splitter des zerschlagenen Speeres in Lo-<lb/> ges, des Flammengottes Brust tauchen wird, den Wotan gebannt hat, mit<lb/> seiner Gluth Brünnhildes Fels zu umbrennen. Den Brand dieser Splitter<lb/> wird einst Wotan in die um Walhall geschichteten Scheite der Weltesche wer¬<lb/> fen, und das wird die Götterdämmerung sein. Die Nornen fragen sich wei¬<lb/> ter, aber das goldene Seil zerreißt in ihren Händen, aus dessen Fäden sich<lb/> das Weltgeschicke spinnt. Die Nornen erfahren nichts von Alberich und dem<lb/> Besitz des Rheingoldes.</p><lb/> <p xml:id="ID_1572"> In der zweiten Scene des Vorspiels treten Siegfried und Brünnhilde<lb/> im strahlenden Glück des ersten Ehemorgens auf. Brünnhilde übergiebt dem<lb/> Gatten den Hort heiliger Runen, welchen die Götter ihr gewiesen. Er über¬<lb/> giebt ihr den Ring des Nibelungen. So trennen sie sich, weil er auf die<lb/> Arbeit des Helden, auf Kampf und Abenteuer ausziehen muß.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0472]
einmal ihrer Vergangenheit und des Wissens, das sie als göttliche Jungfrau
besessen. Ihr Wissen ging zuletzt auf in das Vorschauen von Siegfrieds Herr¬
lichkeit, den sie nun vor sich sieht. Ader sie fürchtet seine Liebe, mit der sie
in das irdische ungewisse Schicksal tritt und die Pforten des Wissens
sich ihr verschließen. Endlich weicht sie besiegt der Liebesgluth. Auch hier
erscheinen ihre Empfindungen eben so heiß und stark, als menschlich edel und
weiblich zart. Dies das Drama Siegfried. So einfach die Handlung im
Ganzen ist, so herrscht doch in jedem Akt eine dramatisch spannende Bewegung
und einzelne Scenen sind durch die echt poetische Farbe von bezaubernder Wir¬
kung, wie Siegmunds Zwiesprache mit den Vögeln.
Das vierte Drama der Tetralogie „ die Götterdämmerung" beginnt
mit einem Vorspiel, das aus zwei Scenen besteht. Im Wechselgesang er¬
zählen zuerst die drei Normen, in kurzen Zügen es wiederholend, das Welt- und
Götterschicksal. Die erste Rome erzählt: wie zuerst die Weltesche sproßte
und grünte, in deren Schatten der Weisheitsquell rann; wie Wotan zum
Trunk an den Quell trat, seiner Augen eines zum Zoll zählend; wie der
Gott von der Weltesche einen Ast brach, sich diesen zum Speerschaft schnitt;
wie in langer Zeiten Lauf die Wunde den Weltbaum zehrte und wie der
Quell versiegte. Die zweite Rome erzählt den zweiten Abschnitt des Welten¬
schicksals: wie Wotan in des Speeres Schaft treu berathener Verträge
Runen schnitt, den er als Haft der Welt hielt. Nun ist der Speer zerschla¬
gen, der Haft heiliger Verträge zersprungen, nun hat Wotan den Helden
Walhalls geboten, die welken Aeste der Weltesche in Stücke zu fällen. Die
dritte Rome erzählt: wie die Scheite der Weltesche um Walhall gethürmt
sind, deren Gluth, wenn sie entbrennt, die Götter und ihren glänzenden
Saal verzehren wird. Die Nornen fragen sich gegenseitig weiter, und die
dritte erzählt noch, daß Wotan die Splitter des zerschlagenen Speeres in Lo-
ges, des Flammengottes Brust tauchen wird, den Wotan gebannt hat, mit
seiner Gluth Brünnhildes Fels zu umbrennen. Den Brand dieser Splitter
wird einst Wotan in die um Walhall geschichteten Scheite der Weltesche wer¬
fen, und das wird die Götterdämmerung sein. Die Nornen fragen sich wei¬
ter, aber das goldene Seil zerreißt in ihren Händen, aus dessen Fäden sich
das Weltgeschicke spinnt. Die Nornen erfahren nichts von Alberich und dem
Besitz des Rheingoldes.
In der zweiten Scene des Vorspiels treten Siegfried und Brünnhilde
im strahlenden Glück des ersten Ehemorgens auf. Brünnhilde übergiebt dem
Gatten den Hort heiliger Runen, welchen die Götter ihr gewiesen. Er über¬
giebt ihr den Ring des Nibelungen. So trennen sie sich, weil er auf die
Arbeit des Helden, auf Kampf und Abenteuer ausziehen muß.
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