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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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feindseligen stempeln will. Gerade in dieser Beziehung hat selbst der na¬
tional-liberale Flügel der liberalen Gesammtpartei -- etwa einen oder ein
Paar Heißsporne ausgenommen, deren es in jeder Partei giebt -- die größte
Mäßigung beobachtet. Und zwar, wie ich glaube, nicht aus bloßer Taktik,
sondern aus wirklicher Ueberzeugung.

Ich irre mich wohl kaum, wenn ich annehme, daß Ihren "Grünen" die
Führer unserer liberalen Partei, auch die als specifisch "national" bekannten,
nicht selten zu gemäßigt nach dieser Richtung, zu wenig entschieden gewesen
sind. Wenn nun gleichwohl die Leipziger Zeitung fortwährend ihr: ^.u vo-
löur! an voleur! schreit, fortwährend das grün-weiße Vaterland in Gefahr
erklärt, weil der böse national-liberale Wolf es fressen wolle, so muß man
zuletzt fast nothwendig auf die Vermuthung kommen, die Leipziger Zeitung
fühle sich schon den gemäßigtsten nationalen Forderungen gegenüber beängstigt
und unbehaglich, und es möge daher mit ihrer "Reichsfreundlichkeit" selbst
einigermaßen schief stehen. Man wird auf eine solche Vermuthung um so
gewisser hingeführt, wenn die Leipziger Zeitung den Fortbestand der Parti-
eulargesandtschaften vertheidigt, während die Regierung selbst die Unstatthaf-
tigkeit eines solchen bereits thatsächlich anerkannt hat durch Einziehung einer
nach der anderen dieser Gesandtschaften.

Doch genug und zu viel von der Leipziger Zeitung und ihrem Geschwätz!

Die liberale Partei im nächsten Landtage -- um an das zuletzt berührte
Thema nochmals anzuknüpfen -- wird kaum Veranlassung haben, mit nationalen
Dingen sich viel zu beschäftigen. Was sie zur Kundgebung ihrer Ansichten
in Bezug auf unmittelbar zur Frage stehende Anliegen des großen deutschen
Vaterlandes zu thun sich verpflichtet hielt, das hat sie im vorigen Landtage
gethan; sie hat sich für ein allgemeines deutsches Civilrecht, sie hat sich für
einen höchsten deutschen Gerichtshof ausgesprochen und zwar Beides theils
unter Zustimmung dazu, theils wenigstens ohne principiellen Widerspruch da¬
gegen seitens der Regierung.

Rücksichtlich der Gesandtschaften hat sie mit dem System der allmähligen
Einziehung derselben, wie die Regierung selbst es adoptirt, sich einverstanden
gezeigt, und sie wird natürlich davon nicht zurückgehen können, auch wenn die
Negierung ihrerseits, wie es nach den Aeußerungen der Leipziger Zeitung fast
den Anschein gewinnt, dies wollte.¬

In einer Frage allerdings wird möglicherweise ein zwischen der säch
sischen Regierung und den Reichsgewalten (Bundesrath und Reichstag) herr¬
schender wichtiger Gegensatz auch im nächsten sächsischen Landtage zur Sprache
kommen, und da wird es für die Liberalen Sachsens gelten, Farbe zu be¬
kennen. Das ist die Staatspapiergeldfrage. Bekanntlich hat Sachsen mit
der von der Mehrheit des Bundesrathes und des Reichstages beabsichtigten


feindseligen stempeln will. Gerade in dieser Beziehung hat selbst der na¬
tional-liberale Flügel der liberalen Gesammtpartei — etwa einen oder ein
Paar Heißsporne ausgenommen, deren es in jeder Partei giebt — die größte
Mäßigung beobachtet. Und zwar, wie ich glaube, nicht aus bloßer Taktik,
sondern aus wirklicher Ueberzeugung.

Ich irre mich wohl kaum, wenn ich annehme, daß Ihren „Grünen" die
Führer unserer liberalen Partei, auch die als specifisch „national" bekannten,
nicht selten zu gemäßigt nach dieser Richtung, zu wenig entschieden gewesen
sind. Wenn nun gleichwohl die Leipziger Zeitung fortwährend ihr: ^.u vo-
löur! an voleur! schreit, fortwährend das grün-weiße Vaterland in Gefahr
erklärt, weil der böse national-liberale Wolf es fressen wolle, so muß man
zuletzt fast nothwendig auf die Vermuthung kommen, die Leipziger Zeitung
fühle sich schon den gemäßigtsten nationalen Forderungen gegenüber beängstigt
und unbehaglich, und es möge daher mit ihrer „Reichsfreundlichkeit" selbst
einigermaßen schief stehen. Man wird auf eine solche Vermuthung um so
gewisser hingeführt, wenn die Leipziger Zeitung den Fortbestand der Parti-
eulargesandtschaften vertheidigt, während die Regierung selbst die Unstatthaf-
tigkeit eines solchen bereits thatsächlich anerkannt hat durch Einziehung einer
nach der anderen dieser Gesandtschaften.

Doch genug und zu viel von der Leipziger Zeitung und ihrem Geschwätz!

Die liberale Partei im nächsten Landtage — um an das zuletzt berührte
Thema nochmals anzuknüpfen — wird kaum Veranlassung haben, mit nationalen
Dingen sich viel zu beschäftigen. Was sie zur Kundgebung ihrer Ansichten
in Bezug auf unmittelbar zur Frage stehende Anliegen des großen deutschen
Vaterlandes zu thun sich verpflichtet hielt, das hat sie im vorigen Landtage
gethan; sie hat sich für ein allgemeines deutsches Civilrecht, sie hat sich für
einen höchsten deutschen Gerichtshof ausgesprochen und zwar Beides theils
unter Zustimmung dazu, theils wenigstens ohne principiellen Widerspruch da¬
gegen seitens der Regierung.

Rücksichtlich der Gesandtschaften hat sie mit dem System der allmähligen
Einziehung derselben, wie die Regierung selbst es adoptirt, sich einverstanden
gezeigt, und sie wird natürlich davon nicht zurückgehen können, auch wenn die
Negierung ihrerseits, wie es nach den Aeußerungen der Leipziger Zeitung fast
den Anschein gewinnt, dies wollte.¬

In einer Frage allerdings wird möglicherweise ein zwischen der säch
sischen Regierung und den Reichsgewalten (Bundesrath und Reichstag) herr¬
schender wichtiger Gegensatz auch im nächsten sächsischen Landtage zur Sprache
kommen, und da wird es für die Liberalen Sachsens gelten, Farbe zu be¬
kennen. Das ist die Staatspapiergeldfrage. Bekanntlich hat Sachsen mit
der von der Mehrheit des Bundesrathes und des Reichstages beabsichtigten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/443>, abgerufen am 06.02.2025.