Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.Geruch des Liberalismus kämen. In gewissen Hofkreisen sind nun einmal In der That, muthwilliger hat man noch kaum eine wohlgesinnte, Noch ungeschickter ist es von der Leipziger Zeitung, daß sie die liberale Geruch des Liberalismus kämen. In gewissen Hofkreisen sind nun einmal In der That, muthwilliger hat man noch kaum eine wohlgesinnte, Noch ungeschickter ist es von der Leipziger Zeitung, daß sie die liberale <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0442" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193245"/> <p xml:id="ID_1488" prev="#ID_1487"> Geruch des Liberalismus kämen. In gewissen Hofkreisen sind nun einmal<lb/> die Worte: Liberaler, Fortschrittsmann, vollends National-Liberaler so ziemlich<lb/> gleichbedeutend mit allem schrecklichsten und Verderblichsten, was man sich<lb/> nur denken kann. Und die meisten Minister — in Sachsen wenigstens —<lb/> scheinen noch immer weit mehr Gewicht darauf zu legen, was man von ihnen<lb/> bei Hofe, als was man im Volke sagt. So haben sie denn die Meute ihrer<lb/> „Officiösen" gegen dieselben Liberalen losgelassen, mit Hülfe deren sie noch vor wenig<lb/> Monaten die namhaftesten Reformgesetze durchsetzten gegen einen Theil ihrer<lb/> eigenen sog. Anhänger, die Conservativen; so lassen sie in ihren Organen<lb/> die Liberalen als ein „Unglück fürs Land", als eine „bis aufs Messer" zu<lb/> bekämpfende Faction öffentlich proscribiren und bedenken nicht, in welch zwei¬<lb/> deutiges Licht sie damit sich selbst stellen, da sie doch die thatsächliche Solidarität,<lb/> in der sie (oder doch ein Theil von ihnen) beim vorigen Landtage mit eben<lb/> diesen Liberalen gestanden, nicht abzuleugnen vermögen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1489"> In der That, muthwilliger hat man noch kaum eine wohlgesinnte,<lb/> gemäßigte, von jedem Extrem sich fernhaltende, ein gutes Einvernehmen mit<lb/> der Negierung aufrichtig suchende, freilich aber unabhängige und ihrer Pflichten<lb/> gegen das Volk, das sie vertritt, sich stets bewußte Partei, muthwilLiger hat<lb/> man wohl noch niemals eine solche Partei gewaltsam in die Stellung einer<lb/> schroffen Opposition zurückgeworfen und hineingedrängt, als das mit der<lb/> liberalen Partei Sachsens in den famosen Wahlartikeln der Leipziger Zeitung<lb/> geschehen ist. Der Leipziger Zeitung! Es ist in diesen Blättern, anläßlich des<lb/> Preßprozeffes derselben mit dem Herrn v. Witzleben auf Grund der damaligen<lb/> gerichtlichen Entscheidung ausdrücklich constatirt worden, daß die Leipziger<lb/> Zeitung von königlichen Beamten redigirt, dirigirt und controlirt wird und<lb/> es ist zugleich betont worden, welche Consequenzen daraus unvermeidlich<lb/> fließen. Jetzt haben wir diese Consequenzen vor Augen! Die Negierung mag<lb/> noch so se.hr die Leipziger Zeitung desavouiren (und im vorliegenden Falle<lb/> hat sie das nicht einmal gethan, denn sie hat erst spät, erst auf ausdrückliche<lb/> Provocation seitens eines liberalen Blattes, der Deutschen Allg. Zeitung, und<lb/> nur rücksichtlich des „leidenschaftlichen Tones" gewisser Artikel in der Leipz.<lb/> Zeitung ihre Nichtübereinstimmung mit diesen ausgedrückt — sie wird niemals<lb/> den Eindruck verwischen können, daß königliche Beamte sich so ausgesprochen<lb/> haben. Wo bliebe denn auch die viel gerühmte büreaukratische Disciplin,<lb/> wenn untergeordnete Beamte so etwas thun dürften gegen den direkten Willen<lb/> und Befehl ihres Chefs? Man wolle doch nicht dem Volke so etwas weiß<lb/> machen! So einfältig ist es nicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1490" next="#ID_1491"> Noch ungeschickter ist es von der Leipziger Zeitung, daß sie die liberale<lb/> Partei Sachsens schlechterdings zu einer unitarischen und aus diesem Grunde<lb/> der Regierung als einer durchaus „reichsfreundlichen", aber auch nicht mehr</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0442]
Geruch des Liberalismus kämen. In gewissen Hofkreisen sind nun einmal
die Worte: Liberaler, Fortschrittsmann, vollends National-Liberaler so ziemlich
gleichbedeutend mit allem schrecklichsten und Verderblichsten, was man sich
nur denken kann. Und die meisten Minister — in Sachsen wenigstens —
scheinen noch immer weit mehr Gewicht darauf zu legen, was man von ihnen
bei Hofe, als was man im Volke sagt. So haben sie denn die Meute ihrer
„Officiösen" gegen dieselben Liberalen losgelassen, mit Hülfe deren sie noch vor wenig
Monaten die namhaftesten Reformgesetze durchsetzten gegen einen Theil ihrer
eigenen sog. Anhänger, die Conservativen; so lassen sie in ihren Organen
die Liberalen als ein „Unglück fürs Land", als eine „bis aufs Messer" zu
bekämpfende Faction öffentlich proscribiren und bedenken nicht, in welch zwei¬
deutiges Licht sie damit sich selbst stellen, da sie doch die thatsächliche Solidarität,
in der sie (oder doch ein Theil von ihnen) beim vorigen Landtage mit eben
diesen Liberalen gestanden, nicht abzuleugnen vermögen.
In der That, muthwilliger hat man noch kaum eine wohlgesinnte,
gemäßigte, von jedem Extrem sich fernhaltende, ein gutes Einvernehmen mit
der Negierung aufrichtig suchende, freilich aber unabhängige und ihrer Pflichten
gegen das Volk, das sie vertritt, sich stets bewußte Partei, muthwilLiger hat
man wohl noch niemals eine solche Partei gewaltsam in die Stellung einer
schroffen Opposition zurückgeworfen und hineingedrängt, als das mit der
liberalen Partei Sachsens in den famosen Wahlartikeln der Leipziger Zeitung
geschehen ist. Der Leipziger Zeitung! Es ist in diesen Blättern, anläßlich des
Preßprozeffes derselben mit dem Herrn v. Witzleben auf Grund der damaligen
gerichtlichen Entscheidung ausdrücklich constatirt worden, daß die Leipziger
Zeitung von königlichen Beamten redigirt, dirigirt und controlirt wird und
es ist zugleich betont worden, welche Consequenzen daraus unvermeidlich
fließen. Jetzt haben wir diese Consequenzen vor Augen! Die Negierung mag
noch so se.hr die Leipziger Zeitung desavouiren (und im vorliegenden Falle
hat sie das nicht einmal gethan, denn sie hat erst spät, erst auf ausdrückliche
Provocation seitens eines liberalen Blattes, der Deutschen Allg. Zeitung, und
nur rücksichtlich des „leidenschaftlichen Tones" gewisser Artikel in der Leipz.
Zeitung ihre Nichtübereinstimmung mit diesen ausgedrückt — sie wird niemals
den Eindruck verwischen können, daß königliche Beamte sich so ausgesprochen
haben. Wo bliebe denn auch die viel gerühmte büreaukratische Disciplin,
wenn untergeordnete Beamte so etwas thun dürften gegen den direkten Willen
und Befehl ihres Chefs? Man wolle doch nicht dem Volke so etwas weiß
machen! So einfältig ist es nicht.
Noch ungeschickter ist es von der Leipziger Zeitung, daß sie die liberale
Partei Sachsens schlechterdings zu einer unitarischen und aus diesem Grunde
der Regierung als einer durchaus „reichsfreundlichen", aber auch nicht mehr
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