Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.am 21. und 22. Juni vollzogenen Wahlen zu den Bezirks- und Dieß Ergebniß ist für die deutsche Sache ein unbestreitbarer Sieg. Denn am 21. und 22. Juni vollzogenen Wahlen zu den Bezirks- und Dieß Ergebniß ist für die deutsche Sache ein unbestreitbarer Sieg. Denn <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0044" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192847"/> <p xml:id="ID_116" prev="#ID_115"> am 21. und 22. Juni vollzogenen Wahlen zu den Bezirks- und<lb/> Kreistagen ein überraschendes Resultat geliefert. Was man noch in den<lb/> letzten Tagen vor der Wahlhandlung erfuhr, ließ zum mindesten eine arge<lb/> Zerfahrenheit der Ansichten befürchten. Kein Wunder! War doch die elsa߬<lb/> lothringische Bevölkerung bisher gewohnt gewesen, durch die „offizielle Can-<lb/> didatur" wenn auch nicht immer den maßgebenden Leitstern, so doch wenig¬<lb/> stens einen Ausgangspunkt für die Wahlbeweguug zu erhalten. Diesmal<lb/> verhielt sich die Regierung vollkommen passiv; mur der Bezirkspräsident des<lb/> Oberelsaß erließ eine Ansprache an die Wähler, aber lediglich, um zu constatiren,<lb/> daß die Freiheit des Wählers diesmal unbeschränkter sein werde, als jemals<lb/> vorher. Die gouvernementale Organisation fehlte also; zu dem war der<lb/> Wahlbewegung eine kaum vierzehntägige Frist gegeben, so daß eine recht¬<lb/> zeitige Verständigung fast unmöglich schien. Aus diesem Grunde beschloß<lb/> eine Wählerversammlung in Colmar am 2l. und 22. Juni, gar nicht zu<lb/> wählen, sondern den um 8 Tage später fallenden Nachwahltermin abzuwar¬<lb/> ten. So schien denn jene Partei bedeutend im Vortheil, welche zu jeder Zeit<lb/> organisirt ist, die ultramontane. Auf der anderen Seite machte die Pam¬<lb/> phletfabrik der „I^Liiv ä'^Isael!" eine letzte Anstrengung: sie predigte die<lb/> Wahlenthaltung. Die im Elsaß mit ungeschwächtem Eiser gelesenen Pariser<lb/> Blätter unterstützten diese Ermahnung. Das Organ Gambetta's wollte nur<lb/> den Straßburgern die Wahl erlauben, und zwar lediglich zu dem Zwecke,<lb/> durch die Ernennung ihrer abgesetzten Municipalbeamten eine deutschfeindliche<lb/> Demonstration zu machen. Und Herr About wußte in seinem „XIX. Siecle"<lb/> wirklich bereits zu verkünden, daß das Oberelsaß sich gar nicht, und das<lb/> Nnterelsaß wenigstens zum großen Theil nicht an den Wahlen betheiligen<lb/> werde. Statt dessen hat nach dem nunmehr vorliegenden Ergebniß die Ab¬<lb/> stimmungsziffer durchschnittlich zum mindesten 50—60"/« der eingeschriebenen<lb/> Wähler betragen. Als nennenswerthe Wahlenthaltung, auf deren begleitende<lb/> Umstände wir übrigens zurückkommen, ist uns nur diejenige der Mülhauser<lb/> Bürgerschaft bekannt geworden; dagegen hat Lothringen durchweg mit auf¬<lb/> fallend starken Zahlen abgestimmt. Eine Reihe von Nachwahlen ist noth¬<lb/> wendig; aber sie find meist durch Stimmenzersplitterung, nur wenige durch<lb/> ungenügende Stimmenabgabe veranlaßt.</p><lb/> <p xml:id="ID_117" next="#ID_118"> Dieß Ergebniß ist für die deutsche Sache ein unbestreitbarer Sieg. Denn<lb/> indem die elsaß - lothringische Bevölkerung die Rathschläge der Abstentionisten<lb/> von der Hand wies, indem sie in hellen Haufen zur Wahlurne schritt, hat<lb/> sie die neue Lage der Dinge im Grunde acceptirt. Hätte man eine Kund¬<lb/> gebung in französischem Sinne beabsichtigt, so wäre die einfache Wahlenthal¬<lb/> tung ein weit bequemeres und wirksameres Mittel gewesen. Einen absichtlich<lb/> demonstrativen Charakter tragen wol nur die Straßburger Wahlen, in welchen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0044]
am 21. und 22. Juni vollzogenen Wahlen zu den Bezirks- und
Kreistagen ein überraschendes Resultat geliefert. Was man noch in den
letzten Tagen vor der Wahlhandlung erfuhr, ließ zum mindesten eine arge
Zerfahrenheit der Ansichten befürchten. Kein Wunder! War doch die elsa߬
lothringische Bevölkerung bisher gewohnt gewesen, durch die „offizielle Can-
didatur" wenn auch nicht immer den maßgebenden Leitstern, so doch wenig¬
stens einen Ausgangspunkt für die Wahlbeweguug zu erhalten. Diesmal
verhielt sich die Regierung vollkommen passiv; mur der Bezirkspräsident des
Oberelsaß erließ eine Ansprache an die Wähler, aber lediglich, um zu constatiren,
daß die Freiheit des Wählers diesmal unbeschränkter sein werde, als jemals
vorher. Die gouvernementale Organisation fehlte also; zu dem war der
Wahlbewegung eine kaum vierzehntägige Frist gegeben, so daß eine recht¬
zeitige Verständigung fast unmöglich schien. Aus diesem Grunde beschloß
eine Wählerversammlung in Colmar am 2l. und 22. Juni, gar nicht zu
wählen, sondern den um 8 Tage später fallenden Nachwahltermin abzuwar¬
ten. So schien denn jene Partei bedeutend im Vortheil, welche zu jeder Zeit
organisirt ist, die ultramontane. Auf der anderen Seite machte die Pam¬
phletfabrik der „I^Liiv ä'^Isael!" eine letzte Anstrengung: sie predigte die
Wahlenthaltung. Die im Elsaß mit ungeschwächtem Eiser gelesenen Pariser
Blätter unterstützten diese Ermahnung. Das Organ Gambetta's wollte nur
den Straßburgern die Wahl erlauben, und zwar lediglich zu dem Zwecke,
durch die Ernennung ihrer abgesetzten Municipalbeamten eine deutschfeindliche
Demonstration zu machen. Und Herr About wußte in seinem „XIX. Siecle"
wirklich bereits zu verkünden, daß das Oberelsaß sich gar nicht, und das
Nnterelsaß wenigstens zum großen Theil nicht an den Wahlen betheiligen
werde. Statt dessen hat nach dem nunmehr vorliegenden Ergebniß die Ab¬
stimmungsziffer durchschnittlich zum mindesten 50—60"/« der eingeschriebenen
Wähler betragen. Als nennenswerthe Wahlenthaltung, auf deren begleitende
Umstände wir übrigens zurückkommen, ist uns nur diejenige der Mülhauser
Bürgerschaft bekannt geworden; dagegen hat Lothringen durchweg mit auf¬
fallend starken Zahlen abgestimmt. Eine Reihe von Nachwahlen ist noth¬
wendig; aber sie find meist durch Stimmenzersplitterung, nur wenige durch
ungenügende Stimmenabgabe veranlaßt.
Dieß Ergebniß ist für die deutsche Sache ein unbestreitbarer Sieg. Denn
indem die elsaß - lothringische Bevölkerung die Rathschläge der Abstentionisten
von der Hand wies, indem sie in hellen Haufen zur Wahlurne schritt, hat
sie die neue Lage der Dinge im Grunde acceptirt. Hätte man eine Kund¬
gebung in französischem Sinne beabsichtigt, so wäre die einfache Wahlenthal¬
tung ein weit bequemeres und wirksameres Mittel gewesen. Einen absichtlich
demonstrativen Charakter tragen wol nur die Straßburger Wahlen, in welchen
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