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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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des Innern, dem der Ruf eines den Forderungen der Zeit nicht geradezu ab¬
gewendeten, von den Vorurtheilen gewöhnlicher Bureaukraten freien Staats¬
mannes vorausging und der diesen Ruf nach einer Seite hin durch Vorlegung
eines ziemlich freisinnigen Preßgesetzes bewährte, selbst Herr v. Nostiz ließ sich
lange drängen, bevor er ein wirkliches Eingehen auf die Forderungen der
Liberalen wegen einer gründlichen Gemeindereform, einer Bezirksverfassung
u. s. w. mit einiger Bestimmtheit zusagte, und Herrn v. Falkenstein mußte die
Unzulänglichkeit seiner novellistischen Gesetzesmacherei durch einfache Ableh¬
nung jener Vorlage g.et oculos demonstrirt werden.

Es soll damit kein Tadel gegen das Ministerium ausgesprochen, noch we¬
niger demselben das Verdienst geschmälert sein, welches in der Ausarbeitung
von Gesetzentwürfen im Geiste der liberalen Forderungen, und ihrer Unter¬
breitung an die nächste Ständeversammlung immerhin lag. So lange unsere
Ministerien--wie das noch beinahe allerwärts in Deutschland die Regel ist --
nicht aus der Schule des praktisch politischen, parlamentarischen Lebens, viel¬
mehr ganz oder fast ganz nur aus den Reihen der Bureaukratie, und aus
der Sphäre des grünen Tisches hervorgehen, so lange wird eine freie und großar¬
tige Gesetzesinitiative immer nur eine seltene Ausnahme, und wird es schon
hoch anzuschlagen sein, wenn ein solches, lediglich nach bureaukratischen Tra-
ditionen regierendes Ministerium wenigstens nicht verschmäht, die vom Volke
aus durch dessen Vertreter ihm gegebenen Anregungen zu erfassen und zu ver¬
werthen. Nur soll man nicht eine solche, wie immer dankenswerthe Nachgie¬
bigkeit gegen liberale Forderungen mit einer selbstschöpferischen Productivität
und Initiative gleichstellen, nur soll man nicht den Liberalen es verargen
wollen, wenn sie einem Ministerium, das erst gedrängt werden mußte, um
in freiere Bahnen einzulenken, doch nicht ganz das gleiche hingebende Ver¬
trauen entgegenbringen, wie einem von Haus aus und nach eignem Antriebe
liberalen, wenn sie bei jenem auch einen Rückfall in unfreiere Richtungen leichter
für möglich halten und daher fortwährend mit einer gewissen Aengstlichkeit
dasselbe überwachen.

Die Fassung der Gesetzentwürfe selbst, welche das Ministerium den
Kammern von 1871/72 in Folge der liberalen Anträge vom Landtage vorher
vorlegte, ließen Manches zu wünschen übrig, und verriethen in vielen und
wichtigen Punkten abermals ein nichts weniger als rückhaltloses und volles
Eingehen auf die Forderungen und die Bedürfnisse der Zeit. Vergleicht man
diese Entwürfe mit den fertigen Gesetzen, wie sie seitdem publicirt sind, so
wird man sich leicht überzeugen, wie die ständischen Verhandlungen noch
Manches hinzu und Hinwegthun mußten, um dem wirklichen principiellen
Fortschritt auf allen diesen Gebieten zum Durchbruch zu verhelfen, wie dies
nur theilweise gelang und wie da, wo es nicht gelang, die neue^ Gesetzgebung


des Innern, dem der Ruf eines den Forderungen der Zeit nicht geradezu ab¬
gewendeten, von den Vorurtheilen gewöhnlicher Bureaukraten freien Staats¬
mannes vorausging und der diesen Ruf nach einer Seite hin durch Vorlegung
eines ziemlich freisinnigen Preßgesetzes bewährte, selbst Herr v. Nostiz ließ sich
lange drängen, bevor er ein wirkliches Eingehen auf die Forderungen der
Liberalen wegen einer gründlichen Gemeindereform, einer Bezirksverfassung
u. s. w. mit einiger Bestimmtheit zusagte, und Herrn v. Falkenstein mußte die
Unzulänglichkeit seiner novellistischen Gesetzesmacherei durch einfache Ableh¬
nung jener Vorlage g.et oculos demonstrirt werden.

Es soll damit kein Tadel gegen das Ministerium ausgesprochen, noch we¬
niger demselben das Verdienst geschmälert sein, welches in der Ausarbeitung
von Gesetzentwürfen im Geiste der liberalen Forderungen, und ihrer Unter¬
breitung an die nächste Ständeversammlung immerhin lag. So lange unsere
Ministerien—wie das noch beinahe allerwärts in Deutschland die Regel ist —
nicht aus der Schule des praktisch politischen, parlamentarischen Lebens, viel¬
mehr ganz oder fast ganz nur aus den Reihen der Bureaukratie, und aus
der Sphäre des grünen Tisches hervorgehen, so lange wird eine freie und großar¬
tige Gesetzesinitiative immer nur eine seltene Ausnahme, und wird es schon
hoch anzuschlagen sein, wenn ein solches, lediglich nach bureaukratischen Tra-
ditionen regierendes Ministerium wenigstens nicht verschmäht, die vom Volke
aus durch dessen Vertreter ihm gegebenen Anregungen zu erfassen und zu ver¬
werthen. Nur soll man nicht eine solche, wie immer dankenswerthe Nachgie¬
bigkeit gegen liberale Forderungen mit einer selbstschöpferischen Productivität
und Initiative gleichstellen, nur soll man nicht den Liberalen es verargen
wollen, wenn sie einem Ministerium, das erst gedrängt werden mußte, um
in freiere Bahnen einzulenken, doch nicht ganz das gleiche hingebende Ver¬
trauen entgegenbringen, wie einem von Haus aus und nach eignem Antriebe
liberalen, wenn sie bei jenem auch einen Rückfall in unfreiere Richtungen leichter
für möglich halten und daher fortwährend mit einer gewissen Aengstlichkeit
dasselbe überwachen.

Die Fassung der Gesetzentwürfe selbst, welche das Ministerium den
Kammern von 1871/72 in Folge der liberalen Anträge vom Landtage vorher
vorlegte, ließen Manches zu wünschen übrig, und verriethen in vielen und
wichtigen Punkten abermals ein nichts weniger als rückhaltloses und volles
Eingehen auf die Forderungen und die Bedürfnisse der Zeit. Vergleicht man
diese Entwürfe mit den fertigen Gesetzen, wie sie seitdem publicirt sind, so
wird man sich leicht überzeugen, wie die ständischen Verhandlungen noch
Manches hinzu und Hinwegthun mußten, um dem wirklichen principiellen
Fortschritt auf allen diesen Gebieten zum Durchbruch zu verhelfen, wie dies
nur theilweise gelang und wie da, wo es nicht gelang, die neue^ Gesetzgebung


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[0438] des Innern, dem der Ruf eines den Forderungen der Zeit nicht geradezu ab¬ gewendeten, von den Vorurtheilen gewöhnlicher Bureaukraten freien Staats¬ mannes vorausging und der diesen Ruf nach einer Seite hin durch Vorlegung eines ziemlich freisinnigen Preßgesetzes bewährte, selbst Herr v. Nostiz ließ sich lange drängen, bevor er ein wirkliches Eingehen auf die Forderungen der Liberalen wegen einer gründlichen Gemeindereform, einer Bezirksverfassung u. s. w. mit einiger Bestimmtheit zusagte, und Herrn v. Falkenstein mußte die Unzulänglichkeit seiner novellistischen Gesetzesmacherei durch einfache Ableh¬ nung jener Vorlage g.et oculos demonstrirt werden. Es soll damit kein Tadel gegen das Ministerium ausgesprochen, noch we¬ niger demselben das Verdienst geschmälert sein, welches in der Ausarbeitung von Gesetzentwürfen im Geiste der liberalen Forderungen, und ihrer Unter¬ breitung an die nächste Ständeversammlung immerhin lag. So lange unsere Ministerien—wie das noch beinahe allerwärts in Deutschland die Regel ist — nicht aus der Schule des praktisch politischen, parlamentarischen Lebens, viel¬ mehr ganz oder fast ganz nur aus den Reihen der Bureaukratie, und aus der Sphäre des grünen Tisches hervorgehen, so lange wird eine freie und großar¬ tige Gesetzesinitiative immer nur eine seltene Ausnahme, und wird es schon hoch anzuschlagen sein, wenn ein solches, lediglich nach bureaukratischen Tra- ditionen regierendes Ministerium wenigstens nicht verschmäht, die vom Volke aus durch dessen Vertreter ihm gegebenen Anregungen zu erfassen und zu ver¬ werthen. Nur soll man nicht eine solche, wie immer dankenswerthe Nachgie¬ bigkeit gegen liberale Forderungen mit einer selbstschöpferischen Productivität und Initiative gleichstellen, nur soll man nicht den Liberalen es verargen wollen, wenn sie einem Ministerium, das erst gedrängt werden mußte, um in freiere Bahnen einzulenken, doch nicht ganz das gleiche hingebende Ver¬ trauen entgegenbringen, wie einem von Haus aus und nach eignem Antriebe liberalen, wenn sie bei jenem auch einen Rückfall in unfreiere Richtungen leichter für möglich halten und daher fortwährend mit einer gewissen Aengstlichkeit dasselbe überwachen. Die Fassung der Gesetzentwürfe selbst, welche das Ministerium den Kammern von 1871/72 in Folge der liberalen Anträge vom Landtage vorher vorlegte, ließen Manches zu wünschen übrig, und verriethen in vielen und wichtigen Punkten abermals ein nichts weniger als rückhaltloses und volles Eingehen auf die Forderungen und die Bedürfnisse der Zeit. Vergleicht man diese Entwürfe mit den fertigen Gesetzen, wie sie seitdem publicirt sind, so wird man sich leicht überzeugen, wie die ständischen Verhandlungen noch Manches hinzu und Hinwegthun mußten, um dem wirklichen principiellen Fortschritt auf allen diesen Gebieten zum Durchbruch zu verhelfen, wie dies nur theilweise gelang und wie da, wo es nicht gelang, die neue^ Gesetzgebung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/438>, abgerufen am 06.02.2025.