Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.Gerade in der letzten Zeit hat es sich in zwei deutschen Staaten, in Preußen und In Sachsen bildete die Frage wegen einer Reform des direkten Steuer¬ Ein ganz ähnliches Schicksal hatte das von der Regierung in Preußen Gerade in der letzten Zeit hat es sich in zwei deutschen Staaten, in Preußen und In Sachsen bildete die Frage wegen einer Reform des direkten Steuer¬ Ein ganz ähnliches Schicksal hatte das von der Regierung in Preußen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0395" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193198"/> <p xml:id="ID_1346" prev="#ID_1345"> Gerade in der letzten Zeit hat es sich in zwei deutschen Staaten, in Preußen und<lb/> in Sachsen, von Neuem gezeigt, daß, sowie überhaupt die Behandlung theore¬<lb/> tischer Principienfragen nicht die Stärke unserer parlamentarischen Versamm¬<lb/> lungen zu sein pflegt, über keinen Gegenstand die Ansichten der Landesver¬<lb/> treter mehr auseinandergehen, als über die Steuerfrage und daß auf keinem<lb/> anderen Gebiete es an der Klarheit der leitenden Principien mehr mangelt,<lb/> als auf dem der Finanzpolitik. Die Folge ist, daß gerade bei Berathung<lb/> solcher das Gebiet der Steuern und Finanzen berührender Vorlagen selten<lb/> eine Vereinigung zwischen den dissentirenden Ansichten der gesetzgebenden<lb/> Faktoren erzielt wird und dies ist um so bedauerlicher, je unerläßlicher für die<lb/> Erstarkung der Staatsgewalt gerade die Ordnung der Finanzen, für diese aber<lb/> eine gesunde Reform der Steuergesetze ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1347"> In Sachsen bildete die Frage wegen einer Reform des direkten Steuer¬<lb/> systems für die Staatsregierung sowohl nach deren Versicherung in dem<lb/> Vorworte zu dem Entwürfe eines Gesetzes über die direkte Besteuerung des<lb/> Ertrages der Arbeit und des nutzbringend angelegten Vermögens, als für die<lb/> Landesvertretung den Gegenstand ernster und eingehender Erwägungen und<lb/> Berathungen. Einem ständischen Antrage gemäß veröffentlichte das Finanz¬<lb/> ministerium im Juli 1871 den eben genannten Gesetzentwurf mit einer ein¬<lb/> gehenden Erläuterung und Motivirung desselben und legte den ersteren dem<lb/> Landtage von 1871/72 vor. So wenig aber die beiden Kammern bereits auf<lb/> dem vorhergehenden Landtage sich zu einer übereinstimmenden Ansicht über die<lb/> einschlagenden Principienfragen hatten vereinigen können, so wenig fand das<lb/> in diesem Gesetzentwurfe zur Anwendung gebrachte Princip der Ertragssteuer<lb/> den Beifall der Majorität, und die beiden Kammern trennten sich, nachdem<lb/> die niedergesetzten Kommissionen sich in den verschiedenen Principienfragen in<lb/> verschiedene Majoritäten und Minoritäten gespalten hatten, ohne ein definiti¬<lb/> ves Resultat in dieser hochwichtigen Angelegenheit erzielt zu haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1348" next="#ID_1349"> Ein ganz ähnliches Schicksal hatte das von der Regierung in Preußen<lb/> dem Abgeordnetenhause vorgelegte Steuer-Reform-Projekt: Aufhebung der<lb/> Mahl- und Schlachtsteuer als Staatsabgabe und Befreiung der untersten<lb/> Stufe l a von der Klassensteuer. Diese Gesetzesvorlage bezweckte die Steuerent¬<lb/> lastung der arbeitenden Bevölkerung, die Befreiung von über 5 Millionen<lb/> Steuerpflichtigen, und wenn auch das Motiv des Entwurfes sich im Allge¬<lb/> meinen der Zustimmung des Abgeordnetenhauses erfreute, so wurde doch von<lb/> einigen Seiten dagegen der Einwand erhoben, daß eine Steuerbefreiung An¬<lb/> gesichts der immer mehr wachsenden Staats- und Gemeindebedürfnisse unrärh-<lb/> lich sei, und von anderer Seite wurde die durch die Befreiung erfolgende Be-<lb/> nachtheiligung und Schmälerung des activen politischen Wahlrechts und die<lb/> dadurch herbeigeführte Vernichtung des Staatsgefühles als politisch bedenklich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0395]
Gerade in der letzten Zeit hat es sich in zwei deutschen Staaten, in Preußen und
in Sachsen, von Neuem gezeigt, daß, sowie überhaupt die Behandlung theore¬
tischer Principienfragen nicht die Stärke unserer parlamentarischen Versamm¬
lungen zu sein pflegt, über keinen Gegenstand die Ansichten der Landesver¬
treter mehr auseinandergehen, als über die Steuerfrage und daß auf keinem
anderen Gebiete es an der Klarheit der leitenden Principien mehr mangelt,
als auf dem der Finanzpolitik. Die Folge ist, daß gerade bei Berathung
solcher das Gebiet der Steuern und Finanzen berührender Vorlagen selten
eine Vereinigung zwischen den dissentirenden Ansichten der gesetzgebenden
Faktoren erzielt wird und dies ist um so bedauerlicher, je unerläßlicher für die
Erstarkung der Staatsgewalt gerade die Ordnung der Finanzen, für diese aber
eine gesunde Reform der Steuergesetze ist.
In Sachsen bildete die Frage wegen einer Reform des direkten Steuer¬
systems für die Staatsregierung sowohl nach deren Versicherung in dem
Vorworte zu dem Entwürfe eines Gesetzes über die direkte Besteuerung des
Ertrages der Arbeit und des nutzbringend angelegten Vermögens, als für die
Landesvertretung den Gegenstand ernster und eingehender Erwägungen und
Berathungen. Einem ständischen Antrage gemäß veröffentlichte das Finanz¬
ministerium im Juli 1871 den eben genannten Gesetzentwurf mit einer ein¬
gehenden Erläuterung und Motivirung desselben und legte den ersteren dem
Landtage von 1871/72 vor. So wenig aber die beiden Kammern bereits auf
dem vorhergehenden Landtage sich zu einer übereinstimmenden Ansicht über die
einschlagenden Principienfragen hatten vereinigen können, so wenig fand das
in diesem Gesetzentwurfe zur Anwendung gebrachte Princip der Ertragssteuer
den Beifall der Majorität, und die beiden Kammern trennten sich, nachdem
die niedergesetzten Kommissionen sich in den verschiedenen Principienfragen in
verschiedene Majoritäten und Minoritäten gespalten hatten, ohne ein definiti¬
ves Resultat in dieser hochwichtigen Angelegenheit erzielt zu haben.
Ein ganz ähnliches Schicksal hatte das von der Regierung in Preußen
dem Abgeordnetenhause vorgelegte Steuer-Reform-Projekt: Aufhebung der
Mahl- und Schlachtsteuer als Staatsabgabe und Befreiung der untersten
Stufe l a von der Klassensteuer. Diese Gesetzesvorlage bezweckte die Steuerent¬
lastung der arbeitenden Bevölkerung, die Befreiung von über 5 Millionen
Steuerpflichtigen, und wenn auch das Motiv des Entwurfes sich im Allge¬
meinen der Zustimmung des Abgeordnetenhauses erfreute, so wurde doch von
einigen Seiten dagegen der Einwand erhoben, daß eine Steuerbefreiung An¬
gesichts der immer mehr wachsenden Staats- und Gemeindebedürfnisse unrärh-
lich sei, und von anderer Seite wurde die durch die Befreiung erfolgende Be-
nachtheiligung und Schmälerung des activen politischen Wahlrechts und die
dadurch herbeigeführte Vernichtung des Staatsgefühles als politisch bedenklich
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