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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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"Nun denn. Jetzt begreif ich es. Ich dachte immer, ich wüßte dieses
Stück Geschichte zwar gut genug, fürchtete aber immer mich darauf zu ver¬
lassen , weil sich darin nicht jene überzeugende Kenntniß der Einzelheiten
aussprach, die man in historischen Dingen gern hat. Aber als Sie neulich
jeden Namen und jeden Datum und jeden kleinen Umstand in ihrer richtigen
Ordnung und Aufeinanderfolge erwähnten, sagte ich zu mir: dieß klingt nach
was -- dieß ist Geschichte, dieß giebt ihm eine Gestalt, die einem Ver¬
trauen einflößt. Und später sagte ich zu mir: willst doch einmal den Ad¬
miral fragen, ob er der Einzelheiten völlig sicher ist, und ist das der Fall,
so willst du dich bei ihm bedanken, daß er dir den Standpunkt klar gemacht hat.
Und das will ich jetzt thun; denn bis Sie mir ein Licht aufsteckten in der Sache
war'es mir im Gehirn nur wie ein Wirrsal, dem Kopf und Schwanz fehlten."

Nie zuvor hatte jemand den Admiral so mollig gestimmt und so ver¬
gnügt gesehen. Niemand hatte bis dahin seine Schwindelgeschichte als Evan¬
gelium hingenommen, ihre Echtheit war stets entweder mit Worten oder mit
Blicken in Frage gestellt worden, und hier war nun ein Mann, der sie nicht
nur ganz verschluckte, sondern für die Dosis auch noch dankbar war. Er war
förmlich "back gebraßt", kaum wußte er, was er sagen sollte, selbst seine
Lästerzunge versagte ihm. Und jetzt fuhr Williams fort, bescheiden und ehrlich:

"Aber, Admiral, wenn Sie sagten, daß dieß der erste Steinwurf gewesen
wäre und den Krieg beschleunigt hätte, so haben Sie einen Umstand über¬
sehen, der Ihnen vollständig bekannt und nur Ihrem Gedächtniß entschlüpft
ist. Nun gebe ich Ihnen zu, daß Ihre Angaben in jeder Einzelheit correct
sind, nämlich: daß am let. October 1860 zwei Geistliche aus Massachusetts, Na¬
mens Waite und Granger. sich verkleidet in das Haus John Moodys zu
Stockport schlichen, zwei Frauenspersonen aus dem Süden und deren kleine
Kinder fortschleppten und dieselben, nachdem sie sie getheert und gefedert, nach
Boston brachten, wo sie dieselben auf dem Platze vor dem Rathhause leben¬
dig verbrannten. Ich gebe es Ihnen serner zu, wenn Sie behaupten, daß diese
Unthat es war. wenn am darauf folgenden 20. December die Secession von
Südcarolina erfolgte. Ganz richtig."

Hier fühlte sich die Gesellschaft angenehm überrascht, gewahr zu werden,
daß Williams dazu verschritt. dem Admiral mit seiner eignen unbesiegbaren
Waffe: klarer, rein aus der Luft gegriffener, ohne Beimischung eines Wortes
von Wahrheit fabrieirter Geschichten gegenüberzutreten.

"Ganz richtig", wiederholte er. Aber. Admiral, warum den Fall Mor¬
gan und Willis in Südcarolina übersehen? Sie sind ein zu wohl unter¬
richteter Mann, um nicht alles zu wissen. was mit dieser Angelegenheit zu¬
sammenhängt. Ihre Beweise und Ihre ganze Erörterung haben uns gezeigt,
daß Sie ganz genau in alle Einzelheiten dieses nationglen Streites eingeweiht


„Nun denn. Jetzt begreif ich es. Ich dachte immer, ich wüßte dieses
Stück Geschichte zwar gut genug, fürchtete aber immer mich darauf zu ver¬
lassen , weil sich darin nicht jene überzeugende Kenntniß der Einzelheiten
aussprach, die man in historischen Dingen gern hat. Aber als Sie neulich
jeden Namen und jeden Datum und jeden kleinen Umstand in ihrer richtigen
Ordnung und Aufeinanderfolge erwähnten, sagte ich zu mir: dieß klingt nach
was — dieß ist Geschichte, dieß giebt ihm eine Gestalt, die einem Ver¬
trauen einflößt. Und später sagte ich zu mir: willst doch einmal den Ad¬
miral fragen, ob er der Einzelheiten völlig sicher ist, und ist das der Fall,
so willst du dich bei ihm bedanken, daß er dir den Standpunkt klar gemacht hat.
Und das will ich jetzt thun; denn bis Sie mir ein Licht aufsteckten in der Sache
war'es mir im Gehirn nur wie ein Wirrsal, dem Kopf und Schwanz fehlten."

Nie zuvor hatte jemand den Admiral so mollig gestimmt und so ver¬
gnügt gesehen. Niemand hatte bis dahin seine Schwindelgeschichte als Evan¬
gelium hingenommen, ihre Echtheit war stets entweder mit Worten oder mit
Blicken in Frage gestellt worden, und hier war nun ein Mann, der sie nicht
nur ganz verschluckte, sondern für die Dosis auch noch dankbar war. Er war
förmlich „back gebraßt", kaum wußte er, was er sagen sollte, selbst seine
Lästerzunge versagte ihm. Und jetzt fuhr Williams fort, bescheiden und ehrlich:

„Aber, Admiral, wenn Sie sagten, daß dieß der erste Steinwurf gewesen
wäre und den Krieg beschleunigt hätte, so haben Sie einen Umstand über¬
sehen, der Ihnen vollständig bekannt und nur Ihrem Gedächtniß entschlüpft
ist. Nun gebe ich Ihnen zu, daß Ihre Angaben in jeder Einzelheit correct
sind, nämlich: daß am let. October 1860 zwei Geistliche aus Massachusetts, Na¬
mens Waite und Granger. sich verkleidet in das Haus John Moodys zu
Stockport schlichen, zwei Frauenspersonen aus dem Süden und deren kleine
Kinder fortschleppten und dieselben, nachdem sie sie getheert und gefedert, nach
Boston brachten, wo sie dieselben auf dem Platze vor dem Rathhause leben¬
dig verbrannten. Ich gebe es Ihnen serner zu, wenn Sie behaupten, daß diese
Unthat es war. wenn am darauf folgenden 20. December die Secession von
Südcarolina erfolgte. Ganz richtig."

Hier fühlte sich die Gesellschaft angenehm überrascht, gewahr zu werden,
daß Williams dazu verschritt. dem Admiral mit seiner eignen unbesiegbaren
Waffe: klarer, rein aus der Luft gegriffener, ohne Beimischung eines Wortes
von Wahrheit fabrieirter Geschichten gegenüberzutreten.

„Ganz richtig", wiederholte er. Aber. Admiral, warum den Fall Mor¬
gan und Willis in Südcarolina übersehen? Sie sind ein zu wohl unter¬
richteter Mann, um nicht alles zu wissen. was mit dieser Angelegenheit zu¬
sammenhängt. Ihre Beweise und Ihre ganze Erörterung haben uns gezeigt,
daß Sie ganz genau in alle Einzelheiten dieses nationglen Streites eingeweiht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/38>, abgerufen am 05.02.2025.