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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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sche Neichsarchiv und die thönerne Bibliothek Asurbanipals (Sardanapals). der
von 660-647 regierte, zu erkennen geglaubt." Der Abdruck des Inhalts
dieser Tafeln (an der Zahl mehr als 10.000) würde 24,000 Folioseiten
anfüllen.

Dareios I. führte nach Babylons Zerstörung eine ganz neue persische Keil¬
schrift ein, in der Doppelten und Dreieck fehlen und die nach größerer Ein¬
fachheit strebt. Die Entzifferung dieser Schrift hält Wuttke im Widerspruche
zu der Auffassung Anderer noch nicht für abgeschlossen. Im gemeinen Ver¬
kehr wurde neben der persischen Staats-Keilschrift noch die semitisch-phönizische
Lautschrift gebraucht; erstere reichte östlich bis Ekbatana und Bates, nördlich
bis zum Kaspisee, südlich bis zur Grenze Indiens; die letztere war im Westen
Kleinasiens mehr verbreitet.

Am Hofe der Perserkönige bestand ein überaus entwickeltes Schreiber¬
wesen. Die Schreiber hatten alle Regierungshandlungen aufzuzeichnen und
diese Niederschriften in einem Neichsarchiv aufzubewahren. Der griechische
Arzt Ktesias, welcher 401 v. Chr. in persische Gefangenschaft gerieth, hat
uns in den bei Diodor aufbewahrten Fragmenten seiner Orientgeschichte die
Thatsache überliefert, daß diese Archivschriftcn auf Thierhäuten abgefaßt wa¬
ren, welche Ktesias "die königlichen Felle"") nennt. Damals war also
der Thon als Beschreibstoff bereits durch ein weniger beschwerliches Material
ersetzt.

Noch eine wichtige, schon der Zahl ihrer Angehörigen nach bedeutsame
Völker gruppe ist bei der Erfindung der Schrift in erster Reihe betheiligt:
es ist die chinesische. Wuttke, dessen gründliche historische Forschung und
geschichtliche Verarbeitung des ungeheuren Quellenmaterials alle Anerkennung
verdienen, wivmet der Schriftentwicklung der Chinesen eine überaus ein¬
gehende Betrachtung, von der hier, ohne nähere Wiedergabe der histori¬
schen Darlegung, nur einige Daten über den Umfang und den Character
des chinesischen Schriftthums mitgetheilt werden sollen.

Schon um die Mitte des 10. Jahrhunderts besaßen die Chinesen einen
größeren Reichthum an Schriftwerken als die Europäer um das Jahr 1444
unserer Zeitrechnung. Selbst den Druck haben die Chinesen eher gekannt;
bereits um 924 n. Chr. hatte man den Steindruck in China erfunden. Da¬
mals waren trotz der vorangegangenen Bücherverbrennung roch 30.000 Werke
vorhanden. Im 11. Jahrhundert begann man in China mir beweglichen
Lettern zu drucken; doch blieb das chinesische Druckverfahren bis auf die



-) is"o--/le--"t F-xSch".. In Griechenland trat das Schriftthum vcrhälcnißmäßig spät auf,
zuerst bei den kleinasiatischen Joniern. Noch Lykurg's Gesetze waren nicht aufgeschrieben, son¬
dern wurden mündlich überliefert.
Grenzboten 1873. III. 4?

sche Neichsarchiv und die thönerne Bibliothek Asurbanipals (Sardanapals). der
von 660-647 regierte, zu erkennen geglaubt." Der Abdruck des Inhalts
dieser Tafeln (an der Zahl mehr als 10.000) würde 24,000 Folioseiten
anfüllen.

Dareios I. führte nach Babylons Zerstörung eine ganz neue persische Keil¬
schrift ein, in der Doppelten und Dreieck fehlen und die nach größerer Ein¬
fachheit strebt. Die Entzifferung dieser Schrift hält Wuttke im Widerspruche
zu der Auffassung Anderer noch nicht für abgeschlossen. Im gemeinen Ver¬
kehr wurde neben der persischen Staats-Keilschrift noch die semitisch-phönizische
Lautschrift gebraucht; erstere reichte östlich bis Ekbatana und Bates, nördlich
bis zum Kaspisee, südlich bis zur Grenze Indiens; die letztere war im Westen
Kleinasiens mehr verbreitet.

Am Hofe der Perserkönige bestand ein überaus entwickeltes Schreiber¬
wesen. Die Schreiber hatten alle Regierungshandlungen aufzuzeichnen und
diese Niederschriften in einem Neichsarchiv aufzubewahren. Der griechische
Arzt Ktesias, welcher 401 v. Chr. in persische Gefangenschaft gerieth, hat
uns in den bei Diodor aufbewahrten Fragmenten seiner Orientgeschichte die
Thatsache überliefert, daß diese Archivschriftcn auf Thierhäuten abgefaßt wa¬
ren, welche Ktesias „die königlichen Felle"") nennt. Damals war also
der Thon als Beschreibstoff bereits durch ein weniger beschwerliches Material
ersetzt.

Noch eine wichtige, schon der Zahl ihrer Angehörigen nach bedeutsame
Völker gruppe ist bei der Erfindung der Schrift in erster Reihe betheiligt:
es ist die chinesische. Wuttke, dessen gründliche historische Forschung und
geschichtliche Verarbeitung des ungeheuren Quellenmaterials alle Anerkennung
verdienen, wivmet der Schriftentwicklung der Chinesen eine überaus ein¬
gehende Betrachtung, von der hier, ohne nähere Wiedergabe der histori¬
schen Darlegung, nur einige Daten über den Umfang und den Character
des chinesischen Schriftthums mitgetheilt werden sollen.

Schon um die Mitte des 10. Jahrhunderts besaßen die Chinesen einen
größeren Reichthum an Schriftwerken als die Europäer um das Jahr 1444
unserer Zeitrechnung. Selbst den Druck haben die Chinesen eher gekannt;
bereits um 924 n. Chr. hatte man den Steindruck in China erfunden. Da¬
mals waren trotz der vorangegangenen Bücherverbrennung roch 30.000 Werke
vorhanden. Im 11. Jahrhundert begann man in China mir beweglichen
Lettern zu drucken; doch blieb das chinesische Druckverfahren bis auf die



-) is«o--/le--«t F-xSch«.. In Griechenland trat das Schriftthum vcrhälcnißmäßig spät auf,
zuerst bei den kleinasiatischen Joniern. Noch Lykurg's Gesetze waren nicht aufgeschrieben, son¬
dern wurden mündlich überliefert.
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[0377] sche Neichsarchiv und die thönerne Bibliothek Asurbanipals (Sardanapals). der von 660-647 regierte, zu erkennen geglaubt." Der Abdruck des Inhalts dieser Tafeln (an der Zahl mehr als 10.000) würde 24,000 Folioseiten anfüllen. Dareios I. führte nach Babylons Zerstörung eine ganz neue persische Keil¬ schrift ein, in der Doppelten und Dreieck fehlen und die nach größerer Ein¬ fachheit strebt. Die Entzifferung dieser Schrift hält Wuttke im Widerspruche zu der Auffassung Anderer noch nicht für abgeschlossen. Im gemeinen Ver¬ kehr wurde neben der persischen Staats-Keilschrift noch die semitisch-phönizische Lautschrift gebraucht; erstere reichte östlich bis Ekbatana und Bates, nördlich bis zum Kaspisee, südlich bis zur Grenze Indiens; die letztere war im Westen Kleinasiens mehr verbreitet. Am Hofe der Perserkönige bestand ein überaus entwickeltes Schreiber¬ wesen. Die Schreiber hatten alle Regierungshandlungen aufzuzeichnen und diese Niederschriften in einem Neichsarchiv aufzubewahren. Der griechische Arzt Ktesias, welcher 401 v. Chr. in persische Gefangenschaft gerieth, hat uns in den bei Diodor aufbewahrten Fragmenten seiner Orientgeschichte die Thatsache überliefert, daß diese Archivschriftcn auf Thierhäuten abgefaßt wa¬ ren, welche Ktesias „die königlichen Felle"") nennt. Damals war also der Thon als Beschreibstoff bereits durch ein weniger beschwerliches Material ersetzt. Noch eine wichtige, schon der Zahl ihrer Angehörigen nach bedeutsame Völker gruppe ist bei der Erfindung der Schrift in erster Reihe betheiligt: es ist die chinesische. Wuttke, dessen gründliche historische Forschung und geschichtliche Verarbeitung des ungeheuren Quellenmaterials alle Anerkennung verdienen, wivmet der Schriftentwicklung der Chinesen eine überaus ein¬ gehende Betrachtung, von der hier, ohne nähere Wiedergabe der histori¬ schen Darlegung, nur einige Daten über den Umfang und den Character des chinesischen Schriftthums mitgetheilt werden sollen. Schon um die Mitte des 10. Jahrhunderts besaßen die Chinesen einen größeren Reichthum an Schriftwerken als die Europäer um das Jahr 1444 unserer Zeitrechnung. Selbst den Druck haben die Chinesen eher gekannt; bereits um 924 n. Chr. hatte man den Steindruck in China erfunden. Da¬ mals waren trotz der vorangegangenen Bücherverbrennung roch 30.000 Werke vorhanden. Im 11. Jahrhundert begann man in China mir beweglichen Lettern zu drucken; doch blieb das chinesische Druckverfahren bis auf die -) is«o--/le--«t F-xSch«.. In Griechenland trat das Schriftthum vcrhälcnißmäßig spät auf, zuerst bei den kleinasiatischen Joniern. Noch Lykurg's Gesetze waren nicht aufgeschrieben, son¬ dern wurden mündlich überliefert. Grenzboten 1873. III. 4?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/377>, abgerufen am 06.02.2025.