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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Lin Aejuch auf den Sandwichsinsel'n
von
Mark Twain.
I.

Vor einigen Jahren bekam ich von der "Union" in Sacramento den
Auftrag, als Berichterstatter nach den Sandwichsinseln zu gehen. Wir segel¬
ten dorthin in dem Propeller "Ajax" mitten im Winter. Das heißt, der
Kalender nannte es Winter, aller das Wetter war ein Mittelding zwischen
Frühling und Sommer. Nachdem wir sechs Tage vom Hafen fort waren,
wurde es ganz Sommer. Wir hatten einige dreißig Passagiere, unter ihnen
einen lustigen Gesellen, Namens Williams, und drei seeverwetterte alte Wal¬
fischfahrer-Kapitäne, die sich nach Honolulu auf ihre Schiffe begaben. Diese
letzteren spielten Tag und Nacht Euchre, tranken erstaunliche Massen Whisky,
ohne im Mindesten davon angeheitert zu werden, und waren, wie ich glaube,
die glücklichsten Menschen, die ich jemals zu sehen bekam.

Dann aber war da der "alte Admiral", ein Walfischfahrer, der sich
zur Ruhe gesetzt hatte. Er war eine tobende, furchtbare Verbindung von
Sturm und Gewitter und ein Lästermaul, welches so recht von Grund der
Seele wetterte und fluchte. Aber trotz alledem hatte er ein Herz so sanft wie
das eines Jüngferchens. Er war ein rasender, betäubender, verwüstender
Wirbelsturm, der grimmig über die sich aufbäumenden Wogen der See hin¬
fegte, aber im Innern des von ihm beschriebenen Kreises eine Zuflucht bot.
wo keine Welle sich kräuselte und alle Ankommenden sicher und geborgen
waren. Niemand konnte die Bekanntschaft des Admirals machen, ohne ihm
gut zu werden, und wo es Eile galt und nicht viel Zeit zum Ueberlegen
war, wußte, wie ich meine, keiner seiner Freunde recht, was er sich lieber
hätte gefallen lassen: von ihm verflucht oder von einer weniger markigen Per¬
sönlichkeit gesegnet zu werden.

Sein Titel "Admiral" war vielleicht in umfassenderen Sinne officiell als
irgend einer, den früher oder später ein Seeofficier getragen hatte; denn er
war die freiwillige Verleihung einer ganzen Nation und kam unmittelbar vom
Volke selbst, ohne daß sich ein Regierungspapier dazwischen geschoben hätte
^ vom Volke der Sandwichsinseln nämlich. Es war ein Titel, der ihm be¬
laden mit Liebe, Ehre und Hochschätzung seines anspruchslosen Verdienstes zu¬
ging. Und als Zeugniß für die Echtheit des Titels wurde öffentlich ange¬
ordnet, daß für ihn eine ihm allein geltende Flagge entworfen werden solle,


Grenzboten 1873. IN. 4
Lin Aejuch auf den Sandwichsinsel'n
von
Mark Twain.
I.

Vor einigen Jahren bekam ich von der „Union" in Sacramento den
Auftrag, als Berichterstatter nach den Sandwichsinseln zu gehen. Wir segel¬
ten dorthin in dem Propeller „Ajax" mitten im Winter. Das heißt, der
Kalender nannte es Winter, aller das Wetter war ein Mittelding zwischen
Frühling und Sommer. Nachdem wir sechs Tage vom Hafen fort waren,
wurde es ganz Sommer. Wir hatten einige dreißig Passagiere, unter ihnen
einen lustigen Gesellen, Namens Williams, und drei seeverwetterte alte Wal¬
fischfahrer-Kapitäne, die sich nach Honolulu auf ihre Schiffe begaben. Diese
letzteren spielten Tag und Nacht Euchre, tranken erstaunliche Massen Whisky,
ohne im Mindesten davon angeheitert zu werden, und waren, wie ich glaube,
die glücklichsten Menschen, die ich jemals zu sehen bekam.

Dann aber war da der „alte Admiral", ein Walfischfahrer, der sich
zur Ruhe gesetzt hatte. Er war eine tobende, furchtbare Verbindung von
Sturm und Gewitter und ein Lästermaul, welches so recht von Grund der
Seele wetterte und fluchte. Aber trotz alledem hatte er ein Herz so sanft wie
das eines Jüngferchens. Er war ein rasender, betäubender, verwüstender
Wirbelsturm, der grimmig über die sich aufbäumenden Wogen der See hin¬
fegte, aber im Innern des von ihm beschriebenen Kreises eine Zuflucht bot.
wo keine Welle sich kräuselte und alle Ankommenden sicher und geborgen
waren. Niemand konnte die Bekanntschaft des Admirals machen, ohne ihm
gut zu werden, und wo es Eile galt und nicht viel Zeit zum Ueberlegen
war, wußte, wie ich meine, keiner seiner Freunde recht, was er sich lieber
hätte gefallen lassen: von ihm verflucht oder von einer weniger markigen Per¬
sönlichkeit gesegnet zu werden.

Sein Titel „Admiral" war vielleicht in umfassenderen Sinne officiell als
irgend einer, den früher oder später ein Seeofficier getragen hatte; denn er
war die freiwillige Verleihung einer ganzen Nation und kam unmittelbar vom
Volke selbst, ohne daß sich ein Regierungspapier dazwischen geschoben hätte
^ vom Volke der Sandwichsinseln nämlich. Es war ein Titel, der ihm be¬
laden mit Liebe, Ehre und Hochschätzung seines anspruchslosen Verdienstes zu¬
ging. Und als Zeugniß für die Echtheit des Titels wurde öffentlich ange¬
ordnet, daß für ihn eine ihm allein geltende Flagge entworfen werden solle,


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[0033] Lin Aejuch auf den Sandwichsinsel'n von Mark Twain. I. Vor einigen Jahren bekam ich von der „Union" in Sacramento den Auftrag, als Berichterstatter nach den Sandwichsinseln zu gehen. Wir segel¬ ten dorthin in dem Propeller „Ajax" mitten im Winter. Das heißt, der Kalender nannte es Winter, aller das Wetter war ein Mittelding zwischen Frühling und Sommer. Nachdem wir sechs Tage vom Hafen fort waren, wurde es ganz Sommer. Wir hatten einige dreißig Passagiere, unter ihnen einen lustigen Gesellen, Namens Williams, und drei seeverwetterte alte Wal¬ fischfahrer-Kapitäne, die sich nach Honolulu auf ihre Schiffe begaben. Diese letzteren spielten Tag und Nacht Euchre, tranken erstaunliche Massen Whisky, ohne im Mindesten davon angeheitert zu werden, und waren, wie ich glaube, die glücklichsten Menschen, die ich jemals zu sehen bekam. Dann aber war da der „alte Admiral", ein Walfischfahrer, der sich zur Ruhe gesetzt hatte. Er war eine tobende, furchtbare Verbindung von Sturm und Gewitter und ein Lästermaul, welches so recht von Grund der Seele wetterte und fluchte. Aber trotz alledem hatte er ein Herz so sanft wie das eines Jüngferchens. Er war ein rasender, betäubender, verwüstender Wirbelsturm, der grimmig über die sich aufbäumenden Wogen der See hin¬ fegte, aber im Innern des von ihm beschriebenen Kreises eine Zuflucht bot. wo keine Welle sich kräuselte und alle Ankommenden sicher und geborgen waren. Niemand konnte die Bekanntschaft des Admirals machen, ohne ihm gut zu werden, und wo es Eile galt und nicht viel Zeit zum Ueberlegen war, wußte, wie ich meine, keiner seiner Freunde recht, was er sich lieber hätte gefallen lassen: von ihm verflucht oder von einer weniger markigen Per¬ sönlichkeit gesegnet zu werden. Sein Titel „Admiral" war vielleicht in umfassenderen Sinne officiell als irgend einer, den früher oder später ein Seeofficier getragen hatte; denn er war die freiwillige Verleihung einer ganzen Nation und kam unmittelbar vom Volke selbst, ohne daß sich ein Regierungspapier dazwischen geschoben hätte ^ vom Volke der Sandwichsinseln nämlich. Es war ein Titel, der ihm be¬ laden mit Liebe, Ehre und Hochschätzung seines anspruchslosen Verdienstes zu¬ ging. Und als Zeugniß für die Echtheit des Titels wurde öffentlich ange¬ ordnet, daß für ihn eine ihm allein geltende Flagge entworfen werden solle, Grenzboten 1873. IN. 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/33>, abgerufen am 05.02.2025.