Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.sie mittelst einer Zusatzstage zu befragen, ob sie den SachverlM, der im Es ergibt sich von selbst, daß insbesondere der Vertheidigung, indem so Hiernach dürfte in Wahrheit die Trennung von That- und Rechtsfrage sie mittelst einer Zusatzstage zu befragen, ob sie den SachverlM, der im Es ergibt sich von selbst, daß insbesondere der Vertheidigung, indem so Hiernach dürfte in Wahrheit die Trennung von That- und Rechtsfrage <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0271" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193074"/> <p xml:id="ID_864" prev="#ID_863"> sie mittelst einer Zusatzstage zu befragen, ob sie den SachverlM, der im<lb/> concreten Falle die Schuld nach rechtlicher Ansicht der Juristen zweifelhaft<lb/> macht, angenommen haben. Ist dieser Umstand dann wirklich mit der Schuld<lb/> unvereinbar, so kann der Gerichtshof oder eintretenden Falls der Casfations-<lb/> hos dennoch, trotz des auf die Hauptfrage erklärten „Schuldig" freisprechen.<lb/> Dies Verfahren schlägt denn auch jetzt die soeben publicirte österreichische<lb/> Strasproceßordnung ein. Es versagt freilich den Dienst für den umgekehrten<lb/> Fall, daß die Geschworenen die Hauptfrage einfach mit „Nichtschuldig" in<lb/> Folge irriger rechtlicher Erwägung verneinen. Aber dies ist auch kein wesent¬<lb/> licher Nachtheil, wenn überhaupt die Grundidee des Geschworenengerichtes<lb/> aufrecht erhalten werden soll, daß Niemand verurtheilt werde, den nicht auch<lb/> die freie Ueberzeugung verständiger Männer aus dem Volke für schuldig er¬<lb/> achtet: aus dem Nichtschuldig der Geschworenen darf der Richter niemals ein<lb/> schuldig construiren, wohl aber aus dem Schuldig eine Freisprechung, denn<lb/> gegen den begründeten und motivirten rechtlichen Widerspruch der Richter<lb/> soll ebensowenig eine Verurtheilung erfolgen.</p><lb/> <p xml:id="ID_865"> Es ergibt sich von selbst, daß insbesondere der Vertheidigung, indem so<lb/> wirkliche Entscheidungsgründe gegeben werden über die geeignetsten Punkte,<lb/> auf welche die Entscheidung sich zuspitzt, und indem diese Entscheidungsgründe<lb/> von den Parteien und dem Gerichtshöfe provocirt werden können, eine dank¬<lb/> bare Aufgabe zufällt, bei welcher nicht eitles Wortgepränge, sondern wahr¬<lb/> haft juristischer Scharfsinn und genaue Erfassung der Thatsachen den Aus¬<lb/> schlag geben. Aber auch die Strafverfolgung gewinnt dabei, soweit dies im<lb/> Interesse wahrer Gerechtigkeit liegt. Da die Geschworenen bei gehöriger Auf¬<lb/> merksamkeit der Parteien nicht leicht mehr einen Nechtsirrthum zum Nachtheil<lb/> des Angeklagten entscheiden lassen können, werden sie in ihrer Entscheidung<lb/> überhaupt sicherer, und der Gerichtshof, insoweit er keinen Anlaß findet, eine<lb/> derartige Zusatzfrage zu stellen, erklärt damit indirect das Resume' des Prä¬<lb/> sidenten über die Rechtsfrage für unzweifelhaft, tritt für dessen Autorität in¬<lb/> direct mit ein, ein Punkt, den wir höher noch als den directen Nutzen, das<lb/> Erkennbarmachen eines von den Geschworenen wirklich begangenen Irrthums<lb/> anschlagen möchten.</p><lb/> <p xml:id="ID_866" next="#ID_867"> Hiernach dürfte in Wahrheit die Trennung von That- und Rechtsfrage<lb/> soweit nöthig, doch ausführbar sein. Sie ist freilich keine absolute, nur<lb/> eine relative, und sehr vieles wird auch stets einfach dem Resume' des<lb/> Präsidenten und der Geschworenen ohne weitere Controle überlassen bleiben.<lb/> Allein man kann die Controle in jedem einzelnen Falle soweit nöthig aus-<lb/> dehnen, und dies genügt practisch. Auch die Quadratur des Zirkels ist theo¬<lb/> retisch unausführbar; practisch genügt es, daß wir die Reduction des Kreises<lb/> auf eine gerade Linie bis zu einem beliebigen Grade der Genauigkeit treiben</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0271]
sie mittelst einer Zusatzstage zu befragen, ob sie den SachverlM, der im
concreten Falle die Schuld nach rechtlicher Ansicht der Juristen zweifelhaft
macht, angenommen haben. Ist dieser Umstand dann wirklich mit der Schuld
unvereinbar, so kann der Gerichtshof oder eintretenden Falls der Casfations-
hos dennoch, trotz des auf die Hauptfrage erklärten „Schuldig" freisprechen.
Dies Verfahren schlägt denn auch jetzt die soeben publicirte österreichische
Strasproceßordnung ein. Es versagt freilich den Dienst für den umgekehrten
Fall, daß die Geschworenen die Hauptfrage einfach mit „Nichtschuldig" in
Folge irriger rechtlicher Erwägung verneinen. Aber dies ist auch kein wesent¬
licher Nachtheil, wenn überhaupt die Grundidee des Geschworenengerichtes
aufrecht erhalten werden soll, daß Niemand verurtheilt werde, den nicht auch
die freie Ueberzeugung verständiger Männer aus dem Volke für schuldig er¬
achtet: aus dem Nichtschuldig der Geschworenen darf der Richter niemals ein
schuldig construiren, wohl aber aus dem Schuldig eine Freisprechung, denn
gegen den begründeten und motivirten rechtlichen Widerspruch der Richter
soll ebensowenig eine Verurtheilung erfolgen.
Es ergibt sich von selbst, daß insbesondere der Vertheidigung, indem so
wirkliche Entscheidungsgründe gegeben werden über die geeignetsten Punkte,
auf welche die Entscheidung sich zuspitzt, und indem diese Entscheidungsgründe
von den Parteien und dem Gerichtshöfe provocirt werden können, eine dank¬
bare Aufgabe zufällt, bei welcher nicht eitles Wortgepränge, sondern wahr¬
haft juristischer Scharfsinn und genaue Erfassung der Thatsachen den Aus¬
schlag geben. Aber auch die Strafverfolgung gewinnt dabei, soweit dies im
Interesse wahrer Gerechtigkeit liegt. Da die Geschworenen bei gehöriger Auf¬
merksamkeit der Parteien nicht leicht mehr einen Nechtsirrthum zum Nachtheil
des Angeklagten entscheiden lassen können, werden sie in ihrer Entscheidung
überhaupt sicherer, und der Gerichtshof, insoweit er keinen Anlaß findet, eine
derartige Zusatzfrage zu stellen, erklärt damit indirect das Resume' des Prä¬
sidenten über die Rechtsfrage für unzweifelhaft, tritt für dessen Autorität in¬
direct mit ein, ein Punkt, den wir höher noch als den directen Nutzen, das
Erkennbarmachen eines von den Geschworenen wirklich begangenen Irrthums
anschlagen möchten.
Hiernach dürfte in Wahrheit die Trennung von That- und Rechtsfrage
soweit nöthig, doch ausführbar sein. Sie ist freilich keine absolute, nur
eine relative, und sehr vieles wird auch stets einfach dem Resume' des
Präsidenten und der Geschworenen ohne weitere Controle überlassen bleiben.
Allein man kann die Controle in jedem einzelnen Falle soweit nöthig aus-
dehnen, und dies genügt practisch. Auch die Quadratur des Zirkels ist theo¬
retisch unausführbar; practisch genügt es, daß wir die Reduction des Kreises
auf eine gerade Linie bis zu einem beliebigen Grade der Genauigkeit treiben
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