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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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weitere Entwicklung sich anschließen kann und auch in gewissem Umfange
bereits sich angeschlossen hat.

Um dies zu beweisen, hat man nur nöthig, aufmerksam zu machen auf
die Abstimmungen, welche den Entscheidungen auch einheitlicher Nichtercollegien
zum Grunde liegen. Jeder Kundige wird gestehen, daß von der Art und
Weise der Abstimmung sehr oft das Schicksal des Angeklagten abhängt.
Gleichwohl läßt sich mit Grund behaupten, daß die ganze Lehre von der Ab¬
stimmung bis auf die neueste Zeit sehr im Unklaren lag und ^daß es wesent¬
lich die Lehre von der Fragenstellung im schwurgerichtlichen Verfahren gewesen
ist, welche hier zur gründlichen Untersuchung neuen Anlaß gegeben hat. Wenn
nun aber die Art und Weise der Abstimmung so außerordentlich wichtig ist,
die Fragenstellung aber die letztere bestimmt, ist es da nicht eine bedeutungs¬
volle Garantie für den Angeklagten wie für die Anklage, daß jene unter
dem Schutze der Öffentlichkeit und unter Controle der Parteien selbst erfolgt,
während bei einem einheitlichen Richtercollegium das Geheimniß des Berathungs-
zimmcrs alle gemachten Fehler verhüllt, jede Remedur unmöglich macht? Ist
das nicht ein Vortheil, der den freilich möglichen Nachtheil gelegentlicher Mi߬
verständnisse, die bei geschickter Behandlung übrigens nur selten eintreten
werden, überwiegt? In der That der Sturm, der gegen die Fragestellung
häusig erhoben wird, hängt mit einer gewissen Antipathie gegen scharfe, be¬
stimmte Bezeichnung, mit einer gewissen Vorliebe für verblaßte Formlosigkeit
zusammen, der man immerhin zugestehen kann, daß die im Allgemeinen rich¬
tige Form im einzelnen Falle auch einmal die Interessen der Gerechtigkeit zu
schädigen vermag.

Das gegenwärtige deutsche Geschworenengericht ruht, soviel die Technik
betrifft, noch durchaus auf den französischen Bestimmungen, so auch die Fra¬
genstellung. Von der Unmöglichkeit einer vollständigen Trennung der That-
und der Rechtsfrage ist man jetzt überzeugt; doch wiederholt z. B. das säch¬
sische Gesetz von 1868 die im Art. 82 des preußischen Gesetzes von 1832 ent¬
haltene unrichtige Vorsckrift, der zufolge Rechtsbegriffe nach Gutdünken des
Gerichts durch concrete Thatsachen ersetzt werden können, wenngleich solche
Ersetzungen oder Auflösungen in Thatsachen gerade sehr häusig zu Cassa"
livrer Anlaß gegeben haben und in der Praxis daher im Ganzen nicht be¬
liebt sind.

Es ist indeß nur nöthig, diese Auflösung in einer anderen Form vorzu¬
nehmen, und man hat in der That ein Mittel, Nechtsirrthümer der Geschwo¬
renen festzustellen und damit unschädlich zu machen, wenigstens soweit solche
Irrthümer dem Angeklagten zum Nachtheil gereichen. Man braucht die Ge-
schworenen nur allgemein der gesetzlichen Definition gemäß nach der Schuld
des Angeklagten zu befragen, für den Fall aber, daß sie diese Frage bejahen,


weitere Entwicklung sich anschließen kann und auch in gewissem Umfange
bereits sich angeschlossen hat.

Um dies zu beweisen, hat man nur nöthig, aufmerksam zu machen auf
die Abstimmungen, welche den Entscheidungen auch einheitlicher Nichtercollegien
zum Grunde liegen. Jeder Kundige wird gestehen, daß von der Art und
Weise der Abstimmung sehr oft das Schicksal des Angeklagten abhängt.
Gleichwohl läßt sich mit Grund behaupten, daß die ganze Lehre von der Ab¬
stimmung bis auf die neueste Zeit sehr im Unklaren lag und ^daß es wesent¬
lich die Lehre von der Fragenstellung im schwurgerichtlichen Verfahren gewesen
ist, welche hier zur gründlichen Untersuchung neuen Anlaß gegeben hat. Wenn
nun aber die Art und Weise der Abstimmung so außerordentlich wichtig ist,
die Fragenstellung aber die letztere bestimmt, ist es da nicht eine bedeutungs¬
volle Garantie für den Angeklagten wie für die Anklage, daß jene unter
dem Schutze der Öffentlichkeit und unter Controle der Parteien selbst erfolgt,
während bei einem einheitlichen Richtercollegium das Geheimniß des Berathungs-
zimmcrs alle gemachten Fehler verhüllt, jede Remedur unmöglich macht? Ist
das nicht ein Vortheil, der den freilich möglichen Nachtheil gelegentlicher Mi߬
verständnisse, die bei geschickter Behandlung übrigens nur selten eintreten
werden, überwiegt? In der That der Sturm, der gegen die Fragestellung
häusig erhoben wird, hängt mit einer gewissen Antipathie gegen scharfe, be¬
stimmte Bezeichnung, mit einer gewissen Vorliebe für verblaßte Formlosigkeit
zusammen, der man immerhin zugestehen kann, daß die im Allgemeinen rich¬
tige Form im einzelnen Falle auch einmal die Interessen der Gerechtigkeit zu
schädigen vermag.

Das gegenwärtige deutsche Geschworenengericht ruht, soviel die Technik
betrifft, noch durchaus auf den französischen Bestimmungen, so auch die Fra¬
genstellung. Von der Unmöglichkeit einer vollständigen Trennung der That-
und der Rechtsfrage ist man jetzt überzeugt; doch wiederholt z. B. das säch¬
sische Gesetz von 1868 die im Art. 82 des preußischen Gesetzes von 1832 ent¬
haltene unrichtige Vorsckrift, der zufolge Rechtsbegriffe nach Gutdünken des
Gerichts durch concrete Thatsachen ersetzt werden können, wenngleich solche
Ersetzungen oder Auflösungen in Thatsachen gerade sehr häusig zu Cassa«
livrer Anlaß gegeben haben und in der Praxis daher im Ganzen nicht be¬
liebt sind.

Es ist indeß nur nöthig, diese Auflösung in einer anderen Form vorzu¬
nehmen, und man hat in der That ein Mittel, Nechtsirrthümer der Geschwo¬
renen festzustellen und damit unschädlich zu machen, wenigstens soweit solche
Irrthümer dem Angeklagten zum Nachtheil gereichen. Man braucht die Ge-
schworenen nur allgemein der gesetzlichen Definition gemäß nach der Schuld
des Angeklagten zu befragen, für den Fall aber, daß sie diese Frage bejahen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/270>, abgerufen am 06.02.2025.