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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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welche wiederum vom Volke gewählt war, während zugleich die Richter
vom Volke auf bestimmte Zeit gewählt wurden. Es ist nun hier, wo es
sich nicht um eine vollständige Darstellung des Geschworenengerichtes und
seiner Geschichte handelt, sondern eigentlich nur die Differenzpunkte gegenüber
dem Schöffengerichte in Betracht kommen, nicht erforderlich, auf diesen
Grundfehler der französischen Jury, den sie auch jetzt noch nicht vollständig
überwunden hat, näher einzugehen. Nur die Bemerkung sei hier gestattet,
daß ein solchergestalt zusammengesetztes und von Richtern in so abhängiger
Stellung geleiteteces Geschworenengericht, wenn dazu noch ein besonders ra¬
sches, tumultuarisches Verfahren kam, zu Allem fähig war, und zum Re-
volutionstribunal wurde, das allein die augenblickliche Stimmung des großen
Haufens oder der Machthaber zur Richtschnur seiner Entscheidung nahm, ist
leicht begreiflich. Ein Argument gegen das Geschworenengericht liegt darin
nicht. Das Zerrbild einer Sache ist nicht diese selbst, und doch trügt es mit
ihr gewisse Züge gemeinsam.

Sodann aber wurde die ganze Theilung der Ausgabe unter Geschworene und
Richter als eine mechanische Theilung der Gewalten aufgefaßt. Bei den
englischen Juristen fand sich der Satz, daß die Geschworenen das Factum,
die Richter das Recht festzustellen haben: so, meinte man, müßten und könnten
in den Antworten der Geschworenen nur Facta festgestellt werden, und weit
entfernt war man davon, die Geschworenen einer Leitung durch den Richter
in solchem Grade unterstellen zu wollen, wie es in England der Fall ist.
Dazu paßte auch nicht die unklare Vorstellung, die Viele sich von der höhern
Einsicht der Geschworenen, von der ganz besonderen Art und Weise machten,
wie bei den Geschworenen das Urtheil zu Stande komme. So wurde denn
auch das Resume des französischen Schwurgerichtspräfidenten etwas von dem
Schlußvortrage des englischen Richters durchaus verschiedenes. Während die
englische "VInn'M" den Nachdruck legt auf die Belehrung über den Nechts-
punkt und über die Zülcissigkeit und Zuverläßigkeit der vorgebrachten Be¬
weismittel, wurde das französische Resume' zu einer Recapitulation des Be¬
weises in großen Zügen, wesentlich dazu bestimmt, dem Gedächtnisse und der
Auffassung des Thatsächlichen zu dienen, häufig aber -- und dies ließ sich,
trotz der Bestimmung des Gesetzes von 1791, daß das Resume die Freiheit
der Geschworenen nicht beeinträchtigen solle, nicht hindern -- indirect zu einer
sehr weitgehenden Beeinflußung der Geschworenen und Parteinahme gegen den
Angeklagten benutzt.")



") Daher ist das Resume ganz beseitigt in Belgien, In Braunschweig war es beseitigt; es
ist später wieder dem Präsidenten gestattet worden, wenn er es zweckmäßig findet, oder wenn
die Geschworene" es beantragen, den Geschworenen die in Frage stehenden Gesetze und die
rechtliche Bedeutung der gesetzlichen Ausdrücke auseinanderzusetzen.

welche wiederum vom Volke gewählt war, während zugleich die Richter
vom Volke auf bestimmte Zeit gewählt wurden. Es ist nun hier, wo es
sich nicht um eine vollständige Darstellung des Geschworenengerichtes und
seiner Geschichte handelt, sondern eigentlich nur die Differenzpunkte gegenüber
dem Schöffengerichte in Betracht kommen, nicht erforderlich, auf diesen
Grundfehler der französischen Jury, den sie auch jetzt noch nicht vollständig
überwunden hat, näher einzugehen. Nur die Bemerkung sei hier gestattet,
daß ein solchergestalt zusammengesetztes und von Richtern in so abhängiger
Stellung geleiteteces Geschworenengericht, wenn dazu noch ein besonders ra¬
sches, tumultuarisches Verfahren kam, zu Allem fähig war, und zum Re-
volutionstribunal wurde, das allein die augenblickliche Stimmung des großen
Haufens oder der Machthaber zur Richtschnur seiner Entscheidung nahm, ist
leicht begreiflich. Ein Argument gegen das Geschworenengericht liegt darin
nicht. Das Zerrbild einer Sache ist nicht diese selbst, und doch trügt es mit
ihr gewisse Züge gemeinsam.

Sodann aber wurde die ganze Theilung der Ausgabe unter Geschworene und
Richter als eine mechanische Theilung der Gewalten aufgefaßt. Bei den
englischen Juristen fand sich der Satz, daß die Geschworenen das Factum,
die Richter das Recht festzustellen haben: so, meinte man, müßten und könnten
in den Antworten der Geschworenen nur Facta festgestellt werden, und weit
entfernt war man davon, die Geschworenen einer Leitung durch den Richter
in solchem Grade unterstellen zu wollen, wie es in England der Fall ist.
Dazu paßte auch nicht die unklare Vorstellung, die Viele sich von der höhern
Einsicht der Geschworenen, von der ganz besonderen Art und Weise machten,
wie bei den Geschworenen das Urtheil zu Stande komme. So wurde denn
auch das Resume des französischen Schwurgerichtspräfidenten etwas von dem
Schlußvortrage des englischen Richters durchaus verschiedenes. Während die
englische „VInn'M" den Nachdruck legt auf die Belehrung über den Nechts-
punkt und über die Zülcissigkeit und Zuverläßigkeit der vorgebrachten Be¬
weismittel, wurde das französische Resume' zu einer Recapitulation des Be¬
weises in großen Zügen, wesentlich dazu bestimmt, dem Gedächtnisse und der
Auffassung des Thatsächlichen zu dienen, häufig aber — und dies ließ sich,
trotz der Bestimmung des Gesetzes von 1791, daß das Resume die Freiheit
der Geschworenen nicht beeinträchtigen solle, nicht hindern — indirect zu einer
sehr weitgehenden Beeinflußung der Geschworenen und Parteinahme gegen den
Angeklagten benutzt.")



") Daher ist das Resume ganz beseitigt in Belgien, In Braunschweig war es beseitigt; es
ist später wieder dem Präsidenten gestattet worden, wenn er es zweckmäßig findet, oder wenn
die Geschworene» es beantragen, den Geschworenen die in Frage stehenden Gesetze und die
rechtliche Bedeutung der gesetzlichen Ausdrücke auseinanderzusetzen.
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[0264] welche wiederum vom Volke gewählt war, während zugleich die Richter vom Volke auf bestimmte Zeit gewählt wurden. Es ist nun hier, wo es sich nicht um eine vollständige Darstellung des Geschworenengerichtes und seiner Geschichte handelt, sondern eigentlich nur die Differenzpunkte gegenüber dem Schöffengerichte in Betracht kommen, nicht erforderlich, auf diesen Grundfehler der französischen Jury, den sie auch jetzt noch nicht vollständig überwunden hat, näher einzugehen. Nur die Bemerkung sei hier gestattet, daß ein solchergestalt zusammengesetztes und von Richtern in so abhängiger Stellung geleiteteces Geschworenengericht, wenn dazu noch ein besonders ra¬ sches, tumultuarisches Verfahren kam, zu Allem fähig war, und zum Re- volutionstribunal wurde, das allein die augenblickliche Stimmung des großen Haufens oder der Machthaber zur Richtschnur seiner Entscheidung nahm, ist leicht begreiflich. Ein Argument gegen das Geschworenengericht liegt darin nicht. Das Zerrbild einer Sache ist nicht diese selbst, und doch trügt es mit ihr gewisse Züge gemeinsam. Sodann aber wurde die ganze Theilung der Ausgabe unter Geschworene und Richter als eine mechanische Theilung der Gewalten aufgefaßt. Bei den englischen Juristen fand sich der Satz, daß die Geschworenen das Factum, die Richter das Recht festzustellen haben: so, meinte man, müßten und könnten in den Antworten der Geschworenen nur Facta festgestellt werden, und weit entfernt war man davon, die Geschworenen einer Leitung durch den Richter in solchem Grade unterstellen zu wollen, wie es in England der Fall ist. Dazu paßte auch nicht die unklare Vorstellung, die Viele sich von der höhern Einsicht der Geschworenen, von der ganz besonderen Art und Weise machten, wie bei den Geschworenen das Urtheil zu Stande komme. So wurde denn auch das Resume des französischen Schwurgerichtspräfidenten etwas von dem Schlußvortrage des englischen Richters durchaus verschiedenes. Während die englische „VInn'M" den Nachdruck legt auf die Belehrung über den Nechts- punkt und über die Zülcissigkeit und Zuverläßigkeit der vorgebrachten Be¬ weismittel, wurde das französische Resume' zu einer Recapitulation des Be¬ weises in großen Zügen, wesentlich dazu bestimmt, dem Gedächtnisse und der Auffassung des Thatsächlichen zu dienen, häufig aber — und dies ließ sich, trotz der Bestimmung des Gesetzes von 1791, daß das Resume die Freiheit der Geschworenen nicht beeinträchtigen solle, nicht hindern — indirect zu einer sehr weitgehenden Beeinflußung der Geschworenen und Parteinahme gegen den Angeklagten benutzt.") ") Daher ist das Resume ganz beseitigt in Belgien, In Braunschweig war es beseitigt; es ist später wieder dem Präsidenten gestattet worden, wenn er es zweckmäßig findet, oder wenn die Geschworene» es beantragen, den Geschworenen die in Frage stehenden Gesetze und die rechtliche Bedeutung der gesetzlichen Ausdrücke auseinanderzusetzen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/264>, abgerufen am 05.02.2025.