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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Denn jeder geschichtskundige Sachse weiß, daß es heißen müßte: "Zeiten, zu
welchen es durch August's des Starken eitles Haschen nach der polnischen
Königskrone und dessen Uebertritt zur katholischen Kirche, die Führer¬
schaft des protestantischen Deutschlands freiwillig aufgab und an Preußen ab¬
trat, zu welchem es durch seine verhängnißvolle, stets zu dem katholischen
Oestreich hinneigende Politik wiederholt seine Existenz aufs Spiel setzte.

Wenn es dann weiter heißt: "Schien es auch manchmal, als sollte es des
Krieges Drangsal und der Feinde bösem Rath und Willen erliegen, immer
und immer wieder bewährte sich das Wort: "Man kann Sachsen Alles
nehmen, nur nicht den Segen Gottes" -- so wird man auch dieses
hosfärtige, unsinnige Wort zurückweisen und sich vielmehr in aller Demuth
sagen, daß der Segen Gottes nicht zu allen Zeiten auf Sachsen geruht, daß
er vielfach von ihm gewichen ist, namentlich seitdem es von August dem Star¬
ken bis herab auf den "unvergeßlichen Beust" eine europäische Rolle zu spielen
versucht hat, daß hingegen der Segen Gottes ihm nach menschlicher Voraus¬
sicht nicht fehlen wird, wenn es sich bescheidet, wie früher, als dienendes, als
lebenskräftiges und wegen seiner vielseitigen, bewundernswerthen Entwicklung
hochgeachtetes Glied des deutschen Reiches sich dem großen Ganzen mit Hin¬
gebung einzufügen.

Wahrlich, es würde sich nicht der Mühe verlohnen, über diese Peter-
mann'sche "Geschichte des Königreichs Sachsen" so viel Worte zu verschwen¬
den und ihr gar die Ehre der Besprechung in einer vielgelesenen Zeitschrift an-
gedeihen zu lassen, wenn dieses Buch nicht so recht den Geist offenbarte, in
welchem bis zum Jahre des Heils 1870 die Geschichte in sächsischen Volks¬
und selbst in vielen höhern Schulen betrieben wurde. In den sächsischen
Lehrer-Seminaren und Volksschulen wurde in früheren Zeiten nur sächsische
Geschichte gelehrt, und es ist daher erklärlich, wenn seminaristisch gebildete
Leute, wie Herr Petermann, von der deutschen, namentlich der preußischen
Geschichte nicht viel wissen und in Folge dessen die Geschichte Sachsens mit un¬
glaublicher Beschränktheit und Engherzigkeit behandeln.

Es ist ganz unsäglich, welch systematischer Preußenhaß bis vor wenig
Jahren aus diesem Wege in den sächsischen Seminaren und Volksschulen ge¬
pflegt und groß gezogen wurde. Daß die Preußen eine nichtswürdige Nation,
daß sie Räuber und Diebe seien, welche Sachsen stets mißhandelt und um die
Hälfte bestohlen, das wurde jedem sächsischen Schulkind und in verstärktem
Grade jedem sächsischen Seminaristen als ein Glaubensartikel von früh auf
eingeprägt. Von dem großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Branden¬
burg, von Friedrich dem Großen (außer feinen angeblichen Schandthaten gegen
Sachsen), von der Erhebung Preußens 1813, der allein Deutschland seine
Befreiung von der Fremdherschaft zu verdanken hatte, erzählte man ihnen


Denn jeder geschichtskundige Sachse weiß, daß es heißen müßte: „Zeiten, zu
welchen es durch August's des Starken eitles Haschen nach der polnischen
Königskrone und dessen Uebertritt zur katholischen Kirche, die Führer¬
schaft des protestantischen Deutschlands freiwillig aufgab und an Preußen ab¬
trat, zu welchem es durch seine verhängnißvolle, stets zu dem katholischen
Oestreich hinneigende Politik wiederholt seine Existenz aufs Spiel setzte.

Wenn es dann weiter heißt: „Schien es auch manchmal, als sollte es des
Krieges Drangsal und der Feinde bösem Rath und Willen erliegen, immer
und immer wieder bewährte sich das Wort: „Man kann Sachsen Alles
nehmen, nur nicht den Segen Gottes" — so wird man auch dieses
hosfärtige, unsinnige Wort zurückweisen und sich vielmehr in aller Demuth
sagen, daß der Segen Gottes nicht zu allen Zeiten auf Sachsen geruht, daß
er vielfach von ihm gewichen ist, namentlich seitdem es von August dem Star¬
ken bis herab auf den „unvergeßlichen Beust" eine europäische Rolle zu spielen
versucht hat, daß hingegen der Segen Gottes ihm nach menschlicher Voraus¬
sicht nicht fehlen wird, wenn es sich bescheidet, wie früher, als dienendes, als
lebenskräftiges und wegen seiner vielseitigen, bewundernswerthen Entwicklung
hochgeachtetes Glied des deutschen Reiches sich dem großen Ganzen mit Hin¬
gebung einzufügen.

Wahrlich, es würde sich nicht der Mühe verlohnen, über diese Peter-
mann'sche „Geschichte des Königreichs Sachsen" so viel Worte zu verschwen¬
den und ihr gar die Ehre der Besprechung in einer vielgelesenen Zeitschrift an-
gedeihen zu lassen, wenn dieses Buch nicht so recht den Geist offenbarte, in
welchem bis zum Jahre des Heils 1870 die Geschichte in sächsischen Volks¬
und selbst in vielen höhern Schulen betrieben wurde. In den sächsischen
Lehrer-Seminaren und Volksschulen wurde in früheren Zeiten nur sächsische
Geschichte gelehrt, und es ist daher erklärlich, wenn seminaristisch gebildete
Leute, wie Herr Petermann, von der deutschen, namentlich der preußischen
Geschichte nicht viel wissen und in Folge dessen die Geschichte Sachsens mit un¬
glaublicher Beschränktheit und Engherzigkeit behandeln.

Es ist ganz unsäglich, welch systematischer Preußenhaß bis vor wenig
Jahren aus diesem Wege in den sächsischen Seminaren und Volksschulen ge¬
pflegt und groß gezogen wurde. Daß die Preußen eine nichtswürdige Nation,
daß sie Räuber und Diebe seien, welche Sachsen stets mißhandelt und um die
Hälfte bestohlen, das wurde jedem sächsischen Schulkind und in verstärktem
Grade jedem sächsischen Seminaristen als ein Glaubensartikel von früh auf
eingeprägt. Von dem großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Branden¬
burg, von Friedrich dem Großen (außer feinen angeblichen Schandthaten gegen
Sachsen), von der Erhebung Preußens 1813, der allein Deutschland seine
Befreiung von der Fremdherschaft zu verdanken hatte, erzählte man ihnen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/234>, abgerufen am 06.02.2025.