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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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kannt ist, eine besondere gedruckte Bekanntmachung erlassen und die Arien
"auf heute zu singen" ebenfalls durch den Druck veröffentlicht.*) Da
ist es denn begreiflich, daß, wie Wieland am 1. Aug. 1779 schreibt, "Kranz
mit noch ein Paar Kammermusicis seit 3 Wochen Tag und Nacht in Etters-
burg residiren und da geklimpert, gegeigt und geblasen und gepfiffen wird,
daß die lieben Engelchen im Himmelchen ihre Freude daran haben möchten.
Wohl der guten Frau, daß sie our ü. tuur dieser anhaltenden Liebhaberei
für Musen und Künste fähig ist." Vielleicht geigte und pfiff man aber schon
damals darauf los, um Wieland's Alceste in der Farce Orpheus und
Eurydice mit Effect lächerlich zu machen. Denn nachdem am 2. Sept.
der v e rio r en e Sohn gegeben, folgte wahrscheinlich absichtlich, um Wic-
landen zu überraschen, schon am :>.. Sept. Einsiedel's Eurydice. Die Her¬
zogin selbst trat als Alceste darin aus, während Wedel den Orpheus gab,
und Seckendorf der Componist ebenfalls in einer Hauptrolle thätig war. Es
kamen, wie Mitlebende erzählen, sehr belustigende Auftritte darin vor, nament¬
lich wurde die in dem Onginalstücke so rührend componirte Abschiedsarie der
Alceste von ihrem Gemahl und besonders die Strophe: Weine nicht du Ab¬
gott meines Herzens, mit dem Posthorn begleitet^. Älteste stieg mit ihrem
Hofstaate in einen Postwagen, um nach dem Orcus zu fahren. Pluto und
das ganze Personal der Unterwelt bildeten Karrikaturen und empfingen die
Ankommenden mit lächerlichen Ceremonien: Herkules erschien in Riesengestalt
in der Person Goethe's selbst'") und führte die Alceste auf die Oberwelt zu
ihrem sich im krampfhaften Zustande befindlichen Gemahl zurück.

Dieser Darstellung ging ein Vorspiel voraus, worin der Autor der Tra¬
vestie den Plan zu dem Stück entwirft und mit einer großen Feder, welche
sich vom Hintergrunde des Theaters aus an die Soffiten herüberwölbt, den
Text aufsetzt. Mit einem kleinen Pinsel, welcher an der Spitze der Feder be¬
festigt war, beschrieb der Schriftsteller mächtig große Royalbogen und sprach
dabei manches Lächerliche über den Inhalt mit seinem Diener, der ihm fort¬
währende Entgegnungen über die Composition machte und die großen Bogen
mit Anspielungen auf die ungeheuere Productivität Wieland's über den vor-





Beide Drucke sehr selten. Die Bekanntmachung 1 Seile Folio erschien wie die Arien
>/, Bogen nur in je 50 Exemplare". Ueber die Gouvernante s. much Briefe an und von
Johann Heinrich Merck, Darmstadt I,8ki8, Seite Als, wo die Besetzung der Stücke und auch
der Theaterzettel angezogen ist.
") Dies Factum gesteht ja Wieland in seinem Briefe an Merck vo"> 2>. Sept. 70
(Marck's Bricsw.) zu. Weiter ist nichts bekannt; wir geben daher zum ersten Male Ausführ¬
licheres. (Riemer II. !>7-!>^,)
Di'unser behauptet I. 75. (Carl August) es sei ohne Goethe's Mitwirkung aufge¬
führt worden.

kannt ist, eine besondere gedruckte Bekanntmachung erlassen und die Arien
„auf heute zu singen" ebenfalls durch den Druck veröffentlicht.*) Da
ist es denn begreiflich, daß, wie Wieland am 1. Aug. 1779 schreibt, „Kranz
mit noch ein Paar Kammermusicis seit 3 Wochen Tag und Nacht in Etters-
burg residiren und da geklimpert, gegeigt und geblasen und gepfiffen wird,
daß die lieben Engelchen im Himmelchen ihre Freude daran haben möchten.
Wohl der guten Frau, daß sie our ü. tuur dieser anhaltenden Liebhaberei
für Musen und Künste fähig ist." Vielleicht geigte und pfiff man aber schon
damals darauf los, um Wieland's Alceste in der Farce Orpheus und
Eurydice mit Effect lächerlich zu machen. Denn nachdem am 2. Sept.
der v e rio r en e Sohn gegeben, folgte wahrscheinlich absichtlich, um Wic-
landen zu überraschen, schon am :>.. Sept. Einsiedel's Eurydice. Die Her¬
zogin selbst trat als Alceste darin aus, während Wedel den Orpheus gab,
und Seckendorf der Componist ebenfalls in einer Hauptrolle thätig war. Es
kamen, wie Mitlebende erzählen, sehr belustigende Auftritte darin vor, nament¬
lich wurde die in dem Onginalstücke so rührend componirte Abschiedsarie der
Alceste von ihrem Gemahl und besonders die Strophe: Weine nicht du Ab¬
gott meines Herzens, mit dem Posthorn begleitet^. Älteste stieg mit ihrem
Hofstaate in einen Postwagen, um nach dem Orcus zu fahren. Pluto und
das ganze Personal der Unterwelt bildeten Karrikaturen und empfingen die
Ankommenden mit lächerlichen Ceremonien: Herkules erschien in Riesengestalt
in der Person Goethe's selbst'") und führte die Alceste auf die Oberwelt zu
ihrem sich im krampfhaften Zustande befindlichen Gemahl zurück.

Dieser Darstellung ging ein Vorspiel voraus, worin der Autor der Tra¬
vestie den Plan zu dem Stück entwirft und mit einer großen Feder, welche
sich vom Hintergrunde des Theaters aus an die Soffiten herüberwölbt, den
Text aufsetzt. Mit einem kleinen Pinsel, welcher an der Spitze der Feder be¬
festigt war, beschrieb der Schriftsteller mächtig große Royalbogen und sprach
dabei manches Lächerliche über den Inhalt mit seinem Diener, der ihm fort¬
währende Entgegnungen über die Composition machte und die großen Bogen
mit Anspielungen auf die ungeheuere Productivität Wieland's über den vor-





Beide Drucke sehr selten. Die Bekanntmachung 1 Seile Folio erschien wie die Arien
>/, Bogen nur in je 50 Exemplare». Ueber die Gouvernante s. much Briefe an und von
Johann Heinrich Merck, Darmstadt I,8ki8, Seite Als, wo die Besetzung der Stücke und auch
der Theaterzettel angezogen ist.
") Dies Factum gesteht ja Wieland in seinem Briefe an Merck vo»> 2>. Sept. 70
(Marck's Bricsw.) zu. Weiter ist nichts bekannt; wir geben daher zum ersten Male Ausführ¬
licheres. (Riemer II. !>7-!>^,)
Di'unser behauptet I. 75. (Carl August) es sei ohne Goethe's Mitwirkung aufge¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/22>, abgerufen am 05.02.2025.