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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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auszuwischen versucht hatte, wird wiederholt wegen ihrer spitzfindigen Dia¬
lektik und ihrer Lehre vom Begriff verspottet. Für besonders gelungen wird
Niemand diese Angriffe halten. Sind das Blößen, die sich jene Männer
oder ihre Systeme gegeben haben, die hier der Dichter vor den Augen
seines Volkes aufzudecken sich gedrungen fühlt? Nichts weniger als dieß, es
sind zum großen Theile ihre starken Seiten. Der Dichter hat sich in der
Wahl seines Gegenstandes vergriffen; er wird nicht nur jenen Philosophen
nicht gerecht, sondern er hat auch Momente betont, die fast gar nichts Ko¬
misches an sich haben. Auf poetische Kritik versteht sich Platen, wie wir
später sehen werden, auf philosophische nicht, er würde sonst nicht dem Chöre
im Romantischen Oedipus die absurden Worte in den -Mund legen:


Weltweise, heran! und gelagert im Kreis
Lernt nun Tiefsimi! Und ein Hinrichs hier,
Und ein Hinrichs dort, ehrfürchtig und still,
Mag schmiegen das Haube
An die duftigen Zeh'n des Dichters!

Aristophanes ist auch Poet und nicht Philosoph; auch bei ihm finden
sich Mißverständnisse und Irrthümer; aber seine antiphilosophische Richtung
wurzelt in patriotischen Gefühlen, in der Ueberzeugung von der Gemein¬
schädlichkeit der Spekulation. Darum ist es auch kein kleinliches Makeln wie
bei Platen, sondern ein lustiger Vernichtungskampf; die bleichen Denker der
Philosophen Schulen werden nicht so obenhin berührt, sondern förmlich in die
Pfanne gehauen.

Die religiösen Interessen finden gleichfalls bei Platen keine eingehende
Berücksichtigung. Den Pfaffen wird UnVersöhnlichkeit nachgesagt, von den
Heroen biblischer Silbenstecherei heißt es, sie machten sich durch eigenen Wust
das Paradies zur Wüste, auf Strenggläubige, Scheinheilige und Frömmler
wird verächtlich herabgesehen u. d. in. Auch hier kann sich Platen mit Ari¬
stophanes nicht messen. Als dieser dichtete, da war auch der alte Glaube,
die alte Götterwelt in voller Auflösung begriffen, und Stoff für ernste und
heitere Kritik gab es in Hülle und Fülle Dem modernen Dichter war kein
so großer Spielraum gelassen, und selbst auf diesem hat er sich nicht immer
glücklich bewegt; man erinnere sich nur des bekannten Ausfalles aufTholuck:


Und da's so viel Calvine gibt, durch ihre Strenge wohlbekannt,
So werde wöchentlich ein stoft Tragödien öffentlich verbrannt:
Die Flamme schlage hoch empor, und mächtig lodernd schwangre sie
Tholuck's gelehrte Stubenluft mit einem Hauch von Poesie, '
Verwandte vor dem trüben Blick des ganz "seelischen Kumpans
Die co'gar Fröste von Berlin in einen Frühling Canaans!

Das ist eine bei Tholuck's bekannter Empfänglichkeit für alles Poetisch?


auszuwischen versucht hatte, wird wiederholt wegen ihrer spitzfindigen Dia¬
lektik und ihrer Lehre vom Begriff verspottet. Für besonders gelungen wird
Niemand diese Angriffe halten. Sind das Blößen, die sich jene Männer
oder ihre Systeme gegeben haben, die hier der Dichter vor den Augen
seines Volkes aufzudecken sich gedrungen fühlt? Nichts weniger als dieß, es
sind zum großen Theile ihre starken Seiten. Der Dichter hat sich in der
Wahl seines Gegenstandes vergriffen; er wird nicht nur jenen Philosophen
nicht gerecht, sondern er hat auch Momente betont, die fast gar nichts Ko¬
misches an sich haben. Auf poetische Kritik versteht sich Platen, wie wir
später sehen werden, auf philosophische nicht, er würde sonst nicht dem Chöre
im Romantischen Oedipus die absurden Worte in den -Mund legen:


Weltweise, heran! und gelagert im Kreis
Lernt nun Tiefsimi! Und ein Hinrichs hier,
Und ein Hinrichs dort, ehrfürchtig und still,
Mag schmiegen das Haube
An die duftigen Zeh'n des Dichters!

Aristophanes ist auch Poet und nicht Philosoph; auch bei ihm finden
sich Mißverständnisse und Irrthümer; aber seine antiphilosophische Richtung
wurzelt in patriotischen Gefühlen, in der Ueberzeugung von der Gemein¬
schädlichkeit der Spekulation. Darum ist es auch kein kleinliches Makeln wie
bei Platen, sondern ein lustiger Vernichtungskampf; die bleichen Denker der
Philosophen Schulen werden nicht so obenhin berührt, sondern förmlich in die
Pfanne gehauen.

Die religiösen Interessen finden gleichfalls bei Platen keine eingehende
Berücksichtigung. Den Pfaffen wird UnVersöhnlichkeit nachgesagt, von den
Heroen biblischer Silbenstecherei heißt es, sie machten sich durch eigenen Wust
das Paradies zur Wüste, auf Strenggläubige, Scheinheilige und Frömmler
wird verächtlich herabgesehen u. d. in. Auch hier kann sich Platen mit Ari¬
stophanes nicht messen. Als dieser dichtete, da war auch der alte Glaube,
die alte Götterwelt in voller Auflösung begriffen, und Stoff für ernste und
heitere Kritik gab es in Hülle und Fülle Dem modernen Dichter war kein
so großer Spielraum gelassen, und selbst auf diesem hat er sich nicht immer
glücklich bewegt; man erinnere sich nur des bekannten Ausfalles aufTholuck:


Und da's so viel Calvine gibt, durch ihre Strenge wohlbekannt,
So werde wöchentlich ein stoft Tragödien öffentlich verbrannt:
Die Flamme schlage hoch empor, und mächtig lodernd schwangre sie
Tholuck's gelehrte Stubenluft mit einem Hauch von Poesie, '
Verwandte vor dem trüben Blick des ganz «seelischen Kumpans
Die co'gar Fröste von Berlin in einen Frühling Canaans!

Das ist eine bei Tholuck's bekannter Empfänglichkeit für alles Poetisch?


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[0215] auszuwischen versucht hatte, wird wiederholt wegen ihrer spitzfindigen Dia¬ lektik und ihrer Lehre vom Begriff verspottet. Für besonders gelungen wird Niemand diese Angriffe halten. Sind das Blößen, die sich jene Männer oder ihre Systeme gegeben haben, die hier der Dichter vor den Augen seines Volkes aufzudecken sich gedrungen fühlt? Nichts weniger als dieß, es sind zum großen Theile ihre starken Seiten. Der Dichter hat sich in der Wahl seines Gegenstandes vergriffen; er wird nicht nur jenen Philosophen nicht gerecht, sondern er hat auch Momente betont, die fast gar nichts Ko¬ misches an sich haben. Auf poetische Kritik versteht sich Platen, wie wir später sehen werden, auf philosophische nicht, er würde sonst nicht dem Chöre im Romantischen Oedipus die absurden Worte in den -Mund legen: Weltweise, heran! und gelagert im Kreis Lernt nun Tiefsimi! Und ein Hinrichs hier, Und ein Hinrichs dort, ehrfürchtig und still, Mag schmiegen das Haube An die duftigen Zeh'n des Dichters! Aristophanes ist auch Poet und nicht Philosoph; auch bei ihm finden sich Mißverständnisse und Irrthümer; aber seine antiphilosophische Richtung wurzelt in patriotischen Gefühlen, in der Ueberzeugung von der Gemein¬ schädlichkeit der Spekulation. Darum ist es auch kein kleinliches Makeln wie bei Platen, sondern ein lustiger Vernichtungskampf; die bleichen Denker der Philosophen Schulen werden nicht so obenhin berührt, sondern förmlich in die Pfanne gehauen. Die religiösen Interessen finden gleichfalls bei Platen keine eingehende Berücksichtigung. Den Pfaffen wird UnVersöhnlichkeit nachgesagt, von den Heroen biblischer Silbenstecherei heißt es, sie machten sich durch eigenen Wust das Paradies zur Wüste, auf Strenggläubige, Scheinheilige und Frömmler wird verächtlich herabgesehen u. d. in. Auch hier kann sich Platen mit Ari¬ stophanes nicht messen. Als dieser dichtete, da war auch der alte Glaube, die alte Götterwelt in voller Auflösung begriffen, und Stoff für ernste und heitere Kritik gab es in Hülle und Fülle Dem modernen Dichter war kein so großer Spielraum gelassen, und selbst auf diesem hat er sich nicht immer glücklich bewegt; man erinnere sich nur des bekannten Ausfalles aufTholuck: Und da's so viel Calvine gibt, durch ihre Strenge wohlbekannt, So werde wöchentlich ein stoft Tragödien öffentlich verbrannt: Die Flamme schlage hoch empor, und mächtig lodernd schwangre sie Tholuck's gelehrte Stubenluft mit einem Hauch von Poesie, ' Verwandte vor dem trüben Blick des ganz «seelischen Kumpans Die co'gar Fröste von Berlin in einen Frühling Canaans! Das ist eine bei Tholuck's bekannter Empfänglichkeit für alles Poetisch?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/215>, abgerufen am 06.02.2025.