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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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sein konnte, selbst wenn sie es gewollt hätte, so darf man ihr daraus keinen
Vorwurf machen.

Mit dem politischen Character der Aristophaneischen Komödie hängt
nun weiter der sociale auf das engste zusammen. Der antike Dichter behan¬
delt auch Probleme, die einzelne Schichten der Gesellschaft bewegen, er läßt
Sitten und Gebräuche, oder besser Unsitten und Laster der verschiedensten
Stände und Individuen Revue passiren, er hat ein scharfes Auge für alle
Entartung in Tracht, in Lebensweise, in Haltung. Um nur einiges anzudeu¬
ten, so üben die EMesiazusen an den kommunistischen Ideen, die schon jene
Zeit bewegten, und unter denen die Frauenemancipation sowie die Frauen-
und Gütergemeinschaft in erster Reihe standen, eine vernichtende Kritik.
Ebenso enthalten die Thesmophoriazusen eine derbe Characteristik der Wei¬
ber, ihres Treibens und ihrer Denkungsart. Im Plutus oder Reichthum
wird das allgemein menschliche Thema vom Verhältniß zwischen Glück und
Verdienst oder zwischen Reichthum und Tüchtigkeit eingehend erörtert. --
Das sind einige von den Stücken mit socialem Grundcharacter; aber wie
sind auch alle anderen Komödien förmlich gesättigt mit Ausfällen auf die
Lebensweise innerhalb und außerhalb des Hauses!

Bei Platen ist auch hiervon so gut wie gar nichts zu finden. Auch
das sociale Leben hat er nicht ausgebeutet. Denn wenn er einmal Rousseau
deswegen verspottet, weil er, der große Pädagoge, seine Kinder in's Findel¬
haus geschickt habe, und wenn er ein andermal das Reimer'sche Löschpapier
in des braven Ritter's Erd- und Völkerkunde tadelt, so kann man doch des¬
halb dem Ganzen keinen socialen Character vindiciren.

Der ätherische Dichter nimmt ferner Stellung zur Philosophie seiner
Zeit. Wer hätte nicht die Wolken gelesen oder wenigstes von ihnen
gehört, in denen der sophistischen Bildung und namentlich dem Sokrates, der
hier als ihr Hauptvertreter erscheint, in so toller Weise der Proceß gemacht
wird! Mit nicht geringerem Interesse verfolgt der Poet, der so recht im
Mittelpunkte des athenischen Lebens steht, pädagogische und religiöse Fragen.
Erzieher und Priester, Zeichendeuter und Opferschauer, Götter und Halb¬
götter werden in taufenden von brillanten Wendungen und ganzen Scenen
dem lachenden Publikum vorgeführt.

In diesen Dingen bleibt Platen nicht ganz hinter seinem Vorbilde
zurück. Er kommt wiederholt auf die Philosophen seiner Zeit zu sprechen,
und namentlich sind Hegel, Krug, Fries und Hinrichs die Zielscheiben seines
Witzes. Fries wird zu den metaphysischen Wäseherfrauen gerechnet, im Col-
legium bei Krug ist es so langweilig, wie ehemals bei Gottsched, Hinrichs heißt
gar ein Obertollhausüberschnappungsnarrenschiff, und die Hegel'sche Schule,
der Platen, ein Anhänger Schelling's, schon im Schatze des Rhampsinit eins


sein konnte, selbst wenn sie es gewollt hätte, so darf man ihr daraus keinen
Vorwurf machen.

Mit dem politischen Character der Aristophaneischen Komödie hängt
nun weiter der sociale auf das engste zusammen. Der antike Dichter behan¬
delt auch Probleme, die einzelne Schichten der Gesellschaft bewegen, er läßt
Sitten und Gebräuche, oder besser Unsitten und Laster der verschiedensten
Stände und Individuen Revue passiren, er hat ein scharfes Auge für alle
Entartung in Tracht, in Lebensweise, in Haltung. Um nur einiges anzudeu¬
ten, so üben die EMesiazusen an den kommunistischen Ideen, die schon jene
Zeit bewegten, und unter denen die Frauenemancipation sowie die Frauen-
und Gütergemeinschaft in erster Reihe standen, eine vernichtende Kritik.
Ebenso enthalten die Thesmophoriazusen eine derbe Characteristik der Wei¬
ber, ihres Treibens und ihrer Denkungsart. Im Plutus oder Reichthum
wird das allgemein menschliche Thema vom Verhältniß zwischen Glück und
Verdienst oder zwischen Reichthum und Tüchtigkeit eingehend erörtert. —
Das sind einige von den Stücken mit socialem Grundcharacter; aber wie
sind auch alle anderen Komödien förmlich gesättigt mit Ausfällen auf die
Lebensweise innerhalb und außerhalb des Hauses!

Bei Platen ist auch hiervon so gut wie gar nichts zu finden. Auch
das sociale Leben hat er nicht ausgebeutet. Denn wenn er einmal Rousseau
deswegen verspottet, weil er, der große Pädagoge, seine Kinder in's Findel¬
haus geschickt habe, und wenn er ein andermal das Reimer'sche Löschpapier
in des braven Ritter's Erd- und Völkerkunde tadelt, so kann man doch des¬
halb dem Ganzen keinen socialen Character vindiciren.

Der ätherische Dichter nimmt ferner Stellung zur Philosophie seiner
Zeit. Wer hätte nicht die Wolken gelesen oder wenigstes von ihnen
gehört, in denen der sophistischen Bildung und namentlich dem Sokrates, der
hier als ihr Hauptvertreter erscheint, in so toller Weise der Proceß gemacht
wird! Mit nicht geringerem Interesse verfolgt der Poet, der so recht im
Mittelpunkte des athenischen Lebens steht, pädagogische und religiöse Fragen.
Erzieher und Priester, Zeichendeuter und Opferschauer, Götter und Halb¬
götter werden in taufenden von brillanten Wendungen und ganzen Scenen
dem lachenden Publikum vorgeführt.

In diesen Dingen bleibt Platen nicht ganz hinter seinem Vorbilde
zurück. Er kommt wiederholt auf die Philosophen seiner Zeit zu sprechen,
und namentlich sind Hegel, Krug, Fries und Hinrichs die Zielscheiben seines
Witzes. Fries wird zu den metaphysischen Wäseherfrauen gerechnet, im Col-
legium bei Krug ist es so langweilig, wie ehemals bei Gottsched, Hinrichs heißt
gar ein Obertollhausüberschnappungsnarrenschiff, und die Hegel'sche Schule,
der Platen, ein Anhänger Schelling's, schon im Schatze des Rhampsinit eins


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/214>, abgerufen am 06.02.2025.