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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Nachdruck legt er auf die Einführung einer guten Einkommensteuer, der er
am Schluße des Werkes einen besonderen Abschnitt widmet, und auf die Re¬
form der Hypothekenbanken. Weiter tadelt er die oft zu extensive Bewirth¬
schaftung der Güter und plaidirt dafür, daß jedem fleißigen und sparsamen
Arbeiter die Möglichkeit gewährt werde, zugleich ein kleiner Grundeigenthü
mer zu werden, ohne aber irgendwie erschöpfende practische Vorschläge nach
dieser Richtung hin zu machen. Die Frage, ob die Arbeiter zum Eintritte
in Kranken- und Alterversorgungsecissen vom Staate zu zwingen seien, bejaht
der Verfasser für rohe Jnstleute, verneint sie aber für gebildete Arbeiter.
Unsere Stellung zu dieser Frage Präcisiren wir dahin, daß wir zwar durch'
aus kein Bedenken tragen, das Recht des Staates anzuerkennen, die Ver¬
fügungsfreiheit der Arbeiter über den Ertrag ihrer Arbeit in dieser Beziehung
theilweise zu beschränken, daß wir es aber z. B. für inconsequent halten,
wenn unsere derzeitige Gesetzgebung lediglich die Gewerbsgehülfen :c. zum
Eintritt in solche Cassen zwingt, obwohl sich diese zum Theil in weniger
drückenden Verhältnissen befinden, als die ländlichen Arbeiter und Tagelöhner,
für welche ein solcher Zwang nicht besteht.

Sehr richtig bezeichnet der Verfasser als einen Grundfehler der Realisten
die Ueberschätzung der Lohnfrage und weist darauf hin, daß eine bloße Lohn¬
erhöhung ohne Verbesserung der Wohnungsverhältnisse und der gesundheitswidri¬
gen Einrichtungen Nichts nützt. Dagegen halten wir den Versuch, die Be¬
denken zu widerlegen, welche gegen die Anthetlswirthschaft, die sogen, summa¬
rischen Tantiemen, erhoben worden sind, nur zum Theile für gelungen.

Bei Behandlung der socialen Frage der Gewerbe berührt der Verfasser
zunächst die Wohnungsnoth und die Frage der territorialen Volksvertheilung
oder der Decentralisation der Bevölkerung, sowie sie sich mit Rücksicht auf
die in bedauerlicher Weise zunehmende Entvölkerung des flachen Landes als
nothwendig herausstellt. In dieser Beziehung kommt derselbe zu dem Resul¬
tate, daß der Staat und die Commune nur wenig für diese Frage thun
könne. So hat sich bekanntlich auch der Congreß deutscher Volkswirthe in
der IX. Jahresversammlung über die Wohnungsfrage in großen Städten
ausgesprochen. Der Congreß nahm damals einstimmig die etwas allgemein
gefaßte Resolution um! daß die Wohnungsfrage in Städten nur gelöst wer¬
den könne, wenn es gelinge, die Herstellung der Bauten, namentlich auch der
kleineren und billigeren Wohnungen unter ^Berücksichtigung der nothwendigen.
Seitens des Staats festzustellenden Sanitätsbedingungen nach Maßgabe der
Bedürfnisse durch die Preisspeeulation zu beschaffen.

In Betreff der Nahrungs- und Lohnfrage weist Walcter schlagend die
Unrichtigkeit des von den Socialisten mit ganz besonderer Vorliebe citirten
"ehernen Lohngesetzes" nach, welche von Ricardo zuerst aufgestellt und später


Nachdruck legt er auf die Einführung einer guten Einkommensteuer, der er
am Schluße des Werkes einen besonderen Abschnitt widmet, und auf die Re¬
form der Hypothekenbanken. Weiter tadelt er die oft zu extensive Bewirth¬
schaftung der Güter und plaidirt dafür, daß jedem fleißigen und sparsamen
Arbeiter die Möglichkeit gewährt werde, zugleich ein kleiner Grundeigenthü
mer zu werden, ohne aber irgendwie erschöpfende practische Vorschläge nach
dieser Richtung hin zu machen. Die Frage, ob die Arbeiter zum Eintritte
in Kranken- und Alterversorgungsecissen vom Staate zu zwingen seien, bejaht
der Verfasser für rohe Jnstleute, verneint sie aber für gebildete Arbeiter.
Unsere Stellung zu dieser Frage Präcisiren wir dahin, daß wir zwar durch'
aus kein Bedenken tragen, das Recht des Staates anzuerkennen, die Ver¬
fügungsfreiheit der Arbeiter über den Ertrag ihrer Arbeit in dieser Beziehung
theilweise zu beschränken, daß wir es aber z. B. für inconsequent halten,
wenn unsere derzeitige Gesetzgebung lediglich die Gewerbsgehülfen :c. zum
Eintritt in solche Cassen zwingt, obwohl sich diese zum Theil in weniger
drückenden Verhältnissen befinden, als die ländlichen Arbeiter und Tagelöhner,
für welche ein solcher Zwang nicht besteht.

Sehr richtig bezeichnet der Verfasser als einen Grundfehler der Realisten
die Ueberschätzung der Lohnfrage und weist darauf hin, daß eine bloße Lohn¬
erhöhung ohne Verbesserung der Wohnungsverhältnisse und der gesundheitswidri¬
gen Einrichtungen Nichts nützt. Dagegen halten wir den Versuch, die Be¬
denken zu widerlegen, welche gegen die Anthetlswirthschaft, die sogen, summa¬
rischen Tantiemen, erhoben worden sind, nur zum Theile für gelungen.

Bei Behandlung der socialen Frage der Gewerbe berührt der Verfasser
zunächst die Wohnungsnoth und die Frage der territorialen Volksvertheilung
oder der Decentralisation der Bevölkerung, sowie sie sich mit Rücksicht auf
die in bedauerlicher Weise zunehmende Entvölkerung des flachen Landes als
nothwendig herausstellt. In dieser Beziehung kommt derselbe zu dem Resul¬
tate, daß der Staat und die Commune nur wenig für diese Frage thun
könne. So hat sich bekanntlich auch der Congreß deutscher Volkswirthe in
der IX. Jahresversammlung über die Wohnungsfrage in großen Städten
ausgesprochen. Der Congreß nahm damals einstimmig die etwas allgemein
gefaßte Resolution um! daß die Wohnungsfrage in Städten nur gelöst wer¬
den könne, wenn es gelinge, die Herstellung der Bauten, namentlich auch der
kleineren und billigeren Wohnungen unter ^Berücksichtigung der nothwendigen.
Seitens des Staats festzustellenden Sanitätsbedingungen nach Maßgabe der
Bedürfnisse durch die Preisspeeulation zu beschaffen.

In Betreff der Nahrungs- und Lohnfrage weist Walcter schlagend die
Unrichtigkeit des von den Socialisten mit ganz besonderer Vorliebe citirten
„ehernen Lohngesetzes" nach, welche von Ricardo zuerst aufgestellt und später


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[0203] Nachdruck legt er auf die Einführung einer guten Einkommensteuer, der er am Schluße des Werkes einen besonderen Abschnitt widmet, und auf die Re¬ form der Hypothekenbanken. Weiter tadelt er die oft zu extensive Bewirth¬ schaftung der Güter und plaidirt dafür, daß jedem fleißigen und sparsamen Arbeiter die Möglichkeit gewährt werde, zugleich ein kleiner Grundeigenthü mer zu werden, ohne aber irgendwie erschöpfende practische Vorschläge nach dieser Richtung hin zu machen. Die Frage, ob die Arbeiter zum Eintritte in Kranken- und Alterversorgungsecissen vom Staate zu zwingen seien, bejaht der Verfasser für rohe Jnstleute, verneint sie aber für gebildete Arbeiter. Unsere Stellung zu dieser Frage Präcisiren wir dahin, daß wir zwar durch' aus kein Bedenken tragen, das Recht des Staates anzuerkennen, die Ver¬ fügungsfreiheit der Arbeiter über den Ertrag ihrer Arbeit in dieser Beziehung theilweise zu beschränken, daß wir es aber z. B. für inconsequent halten, wenn unsere derzeitige Gesetzgebung lediglich die Gewerbsgehülfen :c. zum Eintritt in solche Cassen zwingt, obwohl sich diese zum Theil in weniger drückenden Verhältnissen befinden, als die ländlichen Arbeiter und Tagelöhner, für welche ein solcher Zwang nicht besteht. Sehr richtig bezeichnet der Verfasser als einen Grundfehler der Realisten die Ueberschätzung der Lohnfrage und weist darauf hin, daß eine bloße Lohn¬ erhöhung ohne Verbesserung der Wohnungsverhältnisse und der gesundheitswidri¬ gen Einrichtungen Nichts nützt. Dagegen halten wir den Versuch, die Be¬ denken zu widerlegen, welche gegen die Anthetlswirthschaft, die sogen, summa¬ rischen Tantiemen, erhoben worden sind, nur zum Theile für gelungen. Bei Behandlung der socialen Frage der Gewerbe berührt der Verfasser zunächst die Wohnungsnoth und die Frage der territorialen Volksvertheilung oder der Decentralisation der Bevölkerung, sowie sie sich mit Rücksicht auf die in bedauerlicher Weise zunehmende Entvölkerung des flachen Landes als nothwendig herausstellt. In dieser Beziehung kommt derselbe zu dem Resul¬ tate, daß der Staat und die Commune nur wenig für diese Frage thun könne. So hat sich bekanntlich auch der Congreß deutscher Volkswirthe in der IX. Jahresversammlung über die Wohnungsfrage in großen Städten ausgesprochen. Der Congreß nahm damals einstimmig die etwas allgemein gefaßte Resolution um! daß die Wohnungsfrage in Städten nur gelöst wer¬ den könne, wenn es gelinge, die Herstellung der Bauten, namentlich auch der kleineren und billigeren Wohnungen unter ^Berücksichtigung der nothwendigen. Seitens des Staats festzustellenden Sanitätsbedingungen nach Maßgabe der Bedürfnisse durch die Preisspeeulation zu beschaffen. In Betreff der Nahrungs- und Lohnfrage weist Walcter schlagend die Unrichtigkeit des von den Socialisten mit ganz besonderer Vorliebe citirten „ehernen Lohngesetzes" nach, welche von Ricardo zuerst aufgestellt und später

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/203>, abgerufen am 06.02.2025.