Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.Das Meiste für eine bessere Erziehung seiner Unterthanen, namentlich Zu Anfange des 18. Jahrhunderts, mehr noch im weitern Verlauf In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts --nachdem die Wissenschaft und die Allein gerade das, was damals in Deutschland für Hebung des Volksschul¬ Das Meiste für eine bessere Erziehung seiner Unterthanen, namentlich Zu Anfange des 18. Jahrhunderts, mehr noch im weitern Verlauf In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts —nachdem die Wissenschaft und die Allein gerade das, was damals in Deutschland für Hebung des Volksschul¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0156" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192959"/> <p xml:id="ID_470"> Das Meiste für eine bessere Erziehung seiner Unterthanen, namentlich<lb/> des die große Mehrzahl derselben bildenden Bauernstandes, that Herzog Ernst<lb/> der Fromme von Sachsen-Gotha. Schon 1642 hatte er regelmäßige Katechi-<lb/> sationen in den Schulen angeordnet und zum Gebrauche dabei einen „Kurzen<lb/> Unterricht", eine Art von Bauernkatechismus, ausarbeiten lassen, der neben<lb/> den Grundlehren der Religion und der Moral auch allerhand theoretische und<lb/> praktische Anweisungen zur Kenntniß der Natur und ihrer gewöhnlichsten Er¬<lb/> scheinungen, insbesondere der in die Landwirthschaft einschlagenden, zur Kennt¬<lb/> niß des menschlichen Körpers, zur Gesundheitslehre, zur Hauswirthschaft, aber<lb/> auch zur Gesetzeskunde u. dergl. enthielt. So mochte es vielleicht nicht gar<lb/> zu übertrieben sein, wenn man damals halb im Scherz halb im Ernst zu<lb/> sagen Pflegte, daß der Landmann im Gothaischen gelehrter sei, als anderwärts<lb/> der Edelmann — was freilich immer noch nicht allzuviel bedeuten wollte.<lb/> Ließ doch derselbe Herzog Ernst auch schon die ersten statistischen Erhebungen<lb/> über die Zustände seines Landes machen, wozu er die Tabellen (Fragebogen)<lb/> zum Theil mit eigener Hand ausarbeitete, die wieder eingegangenen durchsah<lb/> und beziehentlich mit neuen Fragen versehen abermals hinausgab!</p><lb/> <p xml:id="ID_471"> Zu Anfange des 18. Jahrhunderts, mehr noch im weitern Verlauf<lb/> desselben, finden dann neue Anläufe zur Hebung des Volksschulwesens auf dem<lb/> Lande statt. 1722 erscheint für Brandenburg-Preußen ein „Patent" zu diesem<lb/> Zwecke, die erste einer längern Reihe von Schulordnungen und Maßregeln zur<lb/> Verbesserung des Unterrichts, die in diesem Lande während des vorigen Jahr¬<lb/> hunderts auseinander folgten (1738, 1741, 1763, 1782. 1787). In Sachsen<lb/> und Württemberg begnügte man sich vor der Hand noch mit den für ihre<lb/> Zeit trefflichen, nun freilich veralteten Schulordnungen von 1660 und 1862,<lb/> that aber im einzelnen Manches für Verbesserung des Zustandes der Schule<lb/> und ihrer Lehrer.</p><lb/> <p xml:id="ID_472"> In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts —nachdem die Wissenschaft und die<lb/> allgemeine Bildung auch auf diesem Gebiete vorgearbeitet hatte und nachdem<lb/> der durch Friedrich den Großen in Schwang gebrachte „aufgeklärte Despo¬<lb/> tismus" unter allen für bessere Regungen oder mindestens für einen edleren<lb/> Ehrgeiz nicht ganz unempfängliche Fürsten zur Tagesparole geworden war—<lb/> sehen wir dann einen förmlichen Wettlauf deutscher Regierungen, und zwar<lb/> geistlicher wie weltlicher, nach den Zielen einer Hebung der Volksbildung.<lb/> Ja, bei diesem Wettlauf stehen sogar solche Namen zum Theil mit in erster<lb/> Reihe, die wir heut an ganz anderer Stelle zu erblicken gewohnt sind, wie<lb/> das Bisthum Fulda und die mecklenburgischen Länder.</p><lb/> <p xml:id="ID_473"> Allein gerade das, was damals in Deutschland für Hebung des Volksschul¬<lb/> wesens geschah, enthüllt uns nur um so greller den trostlosen Zustand, worin<lb/> sich dieses größtenteils noch befand, so wie die Unzulänglichkeit der meisten der<lb/> getroffenen Maßregeln, jenem so verwahrlosten Zustande gründlich abzuhelfen.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0156]
Das Meiste für eine bessere Erziehung seiner Unterthanen, namentlich
des die große Mehrzahl derselben bildenden Bauernstandes, that Herzog Ernst
der Fromme von Sachsen-Gotha. Schon 1642 hatte er regelmäßige Katechi-
sationen in den Schulen angeordnet und zum Gebrauche dabei einen „Kurzen
Unterricht", eine Art von Bauernkatechismus, ausarbeiten lassen, der neben
den Grundlehren der Religion und der Moral auch allerhand theoretische und
praktische Anweisungen zur Kenntniß der Natur und ihrer gewöhnlichsten Er¬
scheinungen, insbesondere der in die Landwirthschaft einschlagenden, zur Kennt¬
niß des menschlichen Körpers, zur Gesundheitslehre, zur Hauswirthschaft, aber
auch zur Gesetzeskunde u. dergl. enthielt. So mochte es vielleicht nicht gar
zu übertrieben sein, wenn man damals halb im Scherz halb im Ernst zu
sagen Pflegte, daß der Landmann im Gothaischen gelehrter sei, als anderwärts
der Edelmann — was freilich immer noch nicht allzuviel bedeuten wollte.
Ließ doch derselbe Herzog Ernst auch schon die ersten statistischen Erhebungen
über die Zustände seines Landes machen, wozu er die Tabellen (Fragebogen)
zum Theil mit eigener Hand ausarbeitete, die wieder eingegangenen durchsah
und beziehentlich mit neuen Fragen versehen abermals hinausgab!
Zu Anfange des 18. Jahrhunderts, mehr noch im weitern Verlauf
desselben, finden dann neue Anläufe zur Hebung des Volksschulwesens auf dem
Lande statt. 1722 erscheint für Brandenburg-Preußen ein „Patent" zu diesem
Zwecke, die erste einer längern Reihe von Schulordnungen und Maßregeln zur
Verbesserung des Unterrichts, die in diesem Lande während des vorigen Jahr¬
hunderts auseinander folgten (1738, 1741, 1763, 1782. 1787). In Sachsen
und Württemberg begnügte man sich vor der Hand noch mit den für ihre
Zeit trefflichen, nun freilich veralteten Schulordnungen von 1660 und 1862,
that aber im einzelnen Manches für Verbesserung des Zustandes der Schule
und ihrer Lehrer.
In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts —nachdem die Wissenschaft und die
allgemeine Bildung auch auf diesem Gebiete vorgearbeitet hatte und nachdem
der durch Friedrich den Großen in Schwang gebrachte „aufgeklärte Despo¬
tismus" unter allen für bessere Regungen oder mindestens für einen edleren
Ehrgeiz nicht ganz unempfängliche Fürsten zur Tagesparole geworden war—
sehen wir dann einen förmlichen Wettlauf deutscher Regierungen, und zwar
geistlicher wie weltlicher, nach den Zielen einer Hebung der Volksbildung.
Ja, bei diesem Wettlauf stehen sogar solche Namen zum Theil mit in erster
Reihe, die wir heut an ganz anderer Stelle zu erblicken gewohnt sind, wie
das Bisthum Fulda und die mecklenburgischen Länder.
Allein gerade das, was damals in Deutschland für Hebung des Volksschul¬
wesens geschah, enthüllt uns nur um so greller den trostlosen Zustand, worin
sich dieses größtenteils noch befand, so wie die Unzulänglichkeit der meisten der
getroffenen Maßregeln, jenem so verwahrlosten Zustande gründlich abzuhelfen.
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