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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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namentlich der Volksschule, hinaus, theils durch vorbereitende Anstalten, wie
die Kindergärten, theils durch solche, welche das in der Volksschule begonnene
Werk weiterführen, wie die Fortbildungsschulen, endlich die Förderung der
allgemeinen Volksbildung in allen, ganz besonders aber den zahlreichsten und
zugleich durch ihre sociale Stellung und ihre mehr mechanische Berufsthätigkeit
einer solchen Anregung am meisten bedürftigen Klassen der Gesellschaft durch
Bildungsvereine und sonstige Einrichtungen der verschiedensten Art -- das sind
die humanen Ziele dieses erfreulichen Wettlaufs der Staats- und Gemeinde¬
behörden wie der Privaten.

Angesichts dieser wohlthuenden Erscheinung, die freilich, je mehr allseitig
guten Willen der Besserung auf dem so hochwichtigen Gebiete sie bedeutet
desto mehr auch enthüllt, wie viel noch zu bessern ist, mag es vielleicht nicht
unzweckmäßig sein, einen Blick rückwärts zu werfen aus den Zustand des
Unterrichts- und Erziehungswesens in einer frühern Zeit, und das Damals
mit dem Jetzt zu vergleichen. Nicht etwa, um uns stolz zu rühmen "wie
wir's jetzt so herrlich weit gebracht", oder gar im Gefühle eingebildeter Voll¬
kommenheit in jenem Streben nachzulassen und die Hände träg in den Schooß
zu legen -- wir werden uns überzeugen, daß in Bezug auf gewisse Grund¬
mängel und Bedürfnisse unseres öffentlichen Erziehungswesens wir zum Theil
noch vor denselben Aufgaben stehen, an welchen schon vor hundert Jahren
begeisterte Menschenfreunde und aufgeklärte Pädagogen wetteifernd sich versuchten
--- nein! um vielmehr Bescheidenheit in Betreff des Erreichten, Ausdauer
und Geduld in Betreff des noch zu Erreichenden zu lernen, wenn wir sehen,
welche Anstrengungen schon damals rhach denselben Zielen hin gemacht wurden,
und wie oft der Sifyphusstein, scheinbar glücklich auf den Gipfel des Berges
gehoben, immer wieder herabrollte und ein Wiederbeginnen des mühsamen
Werkes nöthig machte.

Versuchen wir denn, zu einem Bilde des deutschen Schul- und Erziehungs¬
wesens im vorigen Jahrhundert einige Züge zu liefern, zum allergrößten Theil
unmittelbar aus zeitgenössischen Quellen geschöpft!

Bald nach dem 30jährigen Kriege sehen wir manche deutsche Fürsten und
manche Magistrate größerer Städte dem Erziehungswesen eine regere Aufmerk¬
samkeit zuwenden. Die furchtbare Verwüstung, welche dieser langwierige Krieg,
wie in den materiellen, so auch in den geistigen und sittlichen Zuständen des
deutschen Volks allerwärts angerichtet, mußte jeder nicht ganz gefühllosen
Regierung eine erhöhte Sorgfalt für diesen Theil der öffentlichen Wohlfahrt
nahelegen. In mehreren deutschen Ländern und Städten entstanden neue Schul¬
ordnungen: in Braunschweig unter dem trefflichen August 1651, in Gotha
unter Ernst dem Frommen 16S2, in Hessen 1686. im Herzogthum Magdeburg
1658, in Hamburg sogar schon 1636, in Lübeck 1662, u. s. w.


namentlich der Volksschule, hinaus, theils durch vorbereitende Anstalten, wie
die Kindergärten, theils durch solche, welche das in der Volksschule begonnene
Werk weiterführen, wie die Fortbildungsschulen, endlich die Förderung der
allgemeinen Volksbildung in allen, ganz besonders aber den zahlreichsten und
zugleich durch ihre sociale Stellung und ihre mehr mechanische Berufsthätigkeit
einer solchen Anregung am meisten bedürftigen Klassen der Gesellschaft durch
Bildungsvereine und sonstige Einrichtungen der verschiedensten Art — das sind
die humanen Ziele dieses erfreulichen Wettlaufs der Staats- und Gemeinde¬
behörden wie der Privaten.

Angesichts dieser wohlthuenden Erscheinung, die freilich, je mehr allseitig
guten Willen der Besserung auf dem so hochwichtigen Gebiete sie bedeutet
desto mehr auch enthüllt, wie viel noch zu bessern ist, mag es vielleicht nicht
unzweckmäßig sein, einen Blick rückwärts zu werfen aus den Zustand des
Unterrichts- und Erziehungswesens in einer frühern Zeit, und das Damals
mit dem Jetzt zu vergleichen. Nicht etwa, um uns stolz zu rühmen „wie
wir's jetzt so herrlich weit gebracht", oder gar im Gefühle eingebildeter Voll¬
kommenheit in jenem Streben nachzulassen und die Hände träg in den Schooß
zu legen — wir werden uns überzeugen, daß in Bezug auf gewisse Grund¬
mängel und Bedürfnisse unseres öffentlichen Erziehungswesens wir zum Theil
noch vor denselben Aufgaben stehen, an welchen schon vor hundert Jahren
begeisterte Menschenfreunde und aufgeklärte Pädagogen wetteifernd sich versuchten
—- nein! um vielmehr Bescheidenheit in Betreff des Erreichten, Ausdauer
und Geduld in Betreff des noch zu Erreichenden zu lernen, wenn wir sehen,
welche Anstrengungen schon damals rhach denselben Zielen hin gemacht wurden,
und wie oft der Sifyphusstein, scheinbar glücklich auf den Gipfel des Berges
gehoben, immer wieder herabrollte und ein Wiederbeginnen des mühsamen
Werkes nöthig machte.

Versuchen wir denn, zu einem Bilde des deutschen Schul- und Erziehungs¬
wesens im vorigen Jahrhundert einige Züge zu liefern, zum allergrößten Theil
unmittelbar aus zeitgenössischen Quellen geschöpft!

Bald nach dem 30jährigen Kriege sehen wir manche deutsche Fürsten und
manche Magistrate größerer Städte dem Erziehungswesen eine regere Aufmerk¬
samkeit zuwenden. Die furchtbare Verwüstung, welche dieser langwierige Krieg,
wie in den materiellen, so auch in den geistigen und sittlichen Zuständen des
deutschen Volks allerwärts angerichtet, mußte jeder nicht ganz gefühllosen
Regierung eine erhöhte Sorgfalt für diesen Theil der öffentlichen Wohlfahrt
nahelegen. In mehreren deutschen Ländern und Städten entstanden neue Schul¬
ordnungen: in Braunschweig unter dem trefflichen August 1651, in Gotha
unter Ernst dem Frommen 16S2, in Hessen 1686. im Herzogthum Magdeburg
1658, in Hamburg sogar schon 1636, in Lübeck 1662, u. s. w.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/155>, abgerufen am 05.02.2025.