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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Schuld, aus ihr hauptsächlich, Desdemona's Untergang ab. "Der Dichter",
behauptet Gervinus, "meinte den Tod der Desdemona als ein Opfer, das den
Manen des im Gram gestorbenen Vaters gebracht wurde/' Richtiger ur¬
theilt Ulrici: "Ihre Ehe hat mit einem Unrecht begonnen. Allein dieser
Makel würde für sich allein nicht hinreichen, um ihr den Untergang zu be¬
reiten; er bildet vielmehr nur die tragische Basis, auf der sie von Anfang an
steht. Aeußere Verhältnisse und Umstände können eine echte Ehe wohl äußer¬
lich stören und trennen, aber nicht innerlich vernichten. Das kann nur ge¬
schehen durch Auflösung ihres inneren Bandes, durch Erschütterung der ur¬
sprünglichen Liebe, der Achtung und des Vertrauens." Schärfer ausge¬
drückt: eine Ehe kann nur zerstört werden durch das, was gegen
die Ehe gefehlt wird, gegen ihren Geist, ihr Gesetz.

Hat hier Ulrici, allein von allen Erklärern, die tiefere Auffassung ge¬
streift, so versäumt er doch, aus diesem Grundsatz die richtigen Folgerungen
zu ziehen. Und auch sonst in mancher Hinsicht erscheint das, was er und An¬
dere über den Charakter Desdemona's und die damit aufs innigste verwachsene
Idee des Dramas sagen , einseitig und unzulänglich.

Die Seele der Ehe ist die Treue, die Blüthe der Treue aber das Ver¬
trauen. Darin rächt sich der Mangel an Offenheit gegen einen liebevollen
Vater, daß die Erinnerung daran den ersten scharfen Stachel des Mi߬
trauens in die Brust Othello's senkt. Dies Mißtrauen nun, an sich nicht
unheilbar, wird durch die Unbesonnenheit, 'die Unvorsichtigkeit Desdemona's
verschlimmert; Fehler, dick einem Vorzug Desdemona's entspringen, ihrer
Unschuld, und einem Mangel, ihrer Unerfahrenheit. Dieser Mangel ist häufig,
aber nicht nothwendig mit jenem Vorzug verbunden. Er ist verbunden mit
der niederen Art der Unschuld, nicht mit der höheren. Nichtwissen ist die Un¬
schuld des Kindes, bewußte Reinheit die der Frau. Und Desdemona's Un¬
schuld hat einen Zug, der an die Unerfahrenheit des Kindes gemahnt. Sie,
die Venetianerin jener sittenlosen Zeit, fragt, ob es Frauen giebt, die das be¬
gehen, weß man sie beschuldigt; sie kann sich das nicht denken. Aber auch
in anderen Beziehungen wird in ihr das Kind dem Schicksal des Weibes ge¬
fährlich. Es gebricht ihr an weiblicher Würde und an Muth. Sie
hätte es nicht ertragen dürfen, von ihrem Gatten, gar vor Fremden, beschimpft
und geschlagen zu werden. Kein Mensch darf sich von wem auch mit grober,
unverdienter Verachtung seiner Menschenrechte behandeln lassen. Um seiner
selbst willen nicht, denn diese Rechte müssen ihm heilig sein; aber auch um
des Andern willen nicht, dem es an der Seele schadet, wenn seine Rohheit
ungeahndet bleibt. Geahndet durfte sie ja hier werden mit den feinsten, gei¬
stigsten, weiblichsten Mitteln. Ein Blick tiefgekränkter Frauenwürde -- ein
Wort wie das des jungen Eid an seinen Bater:


Schuld, aus ihr hauptsächlich, Desdemona's Untergang ab. „Der Dichter",
behauptet Gervinus, „meinte den Tod der Desdemona als ein Opfer, das den
Manen des im Gram gestorbenen Vaters gebracht wurde/' Richtiger ur¬
theilt Ulrici: „Ihre Ehe hat mit einem Unrecht begonnen. Allein dieser
Makel würde für sich allein nicht hinreichen, um ihr den Untergang zu be¬
reiten; er bildet vielmehr nur die tragische Basis, auf der sie von Anfang an
steht. Aeußere Verhältnisse und Umstände können eine echte Ehe wohl äußer¬
lich stören und trennen, aber nicht innerlich vernichten. Das kann nur ge¬
schehen durch Auflösung ihres inneren Bandes, durch Erschütterung der ur¬
sprünglichen Liebe, der Achtung und des Vertrauens." Schärfer ausge¬
drückt: eine Ehe kann nur zerstört werden durch das, was gegen
die Ehe gefehlt wird, gegen ihren Geist, ihr Gesetz.

Hat hier Ulrici, allein von allen Erklärern, die tiefere Auffassung ge¬
streift, so versäumt er doch, aus diesem Grundsatz die richtigen Folgerungen
zu ziehen. Und auch sonst in mancher Hinsicht erscheint das, was er und An¬
dere über den Charakter Desdemona's und die damit aufs innigste verwachsene
Idee des Dramas sagen , einseitig und unzulänglich.

Die Seele der Ehe ist die Treue, die Blüthe der Treue aber das Ver¬
trauen. Darin rächt sich der Mangel an Offenheit gegen einen liebevollen
Vater, daß die Erinnerung daran den ersten scharfen Stachel des Mi߬
trauens in die Brust Othello's senkt. Dies Mißtrauen nun, an sich nicht
unheilbar, wird durch die Unbesonnenheit, 'die Unvorsichtigkeit Desdemona's
verschlimmert; Fehler, dick einem Vorzug Desdemona's entspringen, ihrer
Unschuld, und einem Mangel, ihrer Unerfahrenheit. Dieser Mangel ist häufig,
aber nicht nothwendig mit jenem Vorzug verbunden. Er ist verbunden mit
der niederen Art der Unschuld, nicht mit der höheren. Nichtwissen ist die Un¬
schuld des Kindes, bewußte Reinheit die der Frau. Und Desdemona's Un¬
schuld hat einen Zug, der an die Unerfahrenheit des Kindes gemahnt. Sie,
die Venetianerin jener sittenlosen Zeit, fragt, ob es Frauen giebt, die das be¬
gehen, weß man sie beschuldigt; sie kann sich das nicht denken. Aber auch
in anderen Beziehungen wird in ihr das Kind dem Schicksal des Weibes ge¬
fährlich. Es gebricht ihr an weiblicher Würde und an Muth. Sie
hätte es nicht ertragen dürfen, von ihrem Gatten, gar vor Fremden, beschimpft
und geschlagen zu werden. Kein Mensch darf sich von wem auch mit grober,
unverdienter Verachtung seiner Menschenrechte behandeln lassen. Um seiner
selbst willen nicht, denn diese Rechte müssen ihm heilig sein; aber auch um
des Andern willen nicht, dem es an der Seele schadet, wenn seine Rohheit
ungeahndet bleibt. Geahndet durfte sie ja hier werden mit den feinsten, gei¬
stigsten, weiblichsten Mitteln. Ein Blick tiefgekränkter Frauenwürde — ein
Wort wie das des jungen Eid an seinen Bater:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/138>, abgerufen am 06.02.2025.