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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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und Menschen in gleicher Weise herab, indem sie das Schicksal zum' tückischen
Henkersknecht macht, der die Menschen, nachdem sie seiner souveränen Laune eine
Weile zum Spielball gedient, in eine unentrinnbare Schlinge lockt. Gleichge -
wogen, sahen wir, sind da, wo es sich um eine echte Ehe handelt, die Rechte
der Eltern und der Kinder schon darum nicht, weil Staat und Gesellschaft
mit ihrem ehrwürdigeren Rechte dazwischentreten und die Wagschale auf die
Seite der Kinder neigen. Doch auch ohne diese Betrachtung, auch für die,
in deren Bewußtsein sich dies Gewicht nicht fühlbar macht, müßte es einen
Ausweg aus dem Dilemma geben. Nur daß Othello und Desdemona, Ro¬
meo und Julie ihn in der tragischen Befangenheit ihrer Leidenschaft nicht
gefunden haben.

Ehe wir aber diesen Weg aufsuchen, sind wir unsern Helden noch eine Ehren¬
erklärung schuldig, Wenn schon alle echte Liebe, auch die der einfachsten
Gemüther, ein besseres Recht hat als Borurtheil und verblendete Abneigung
die kein Elternmund ehrwürdiger machen kann, als treue Herzensneigung ist;
wenn die wahre Ehe stets ein innigeres Verhältniß ist und darum eine
höhere Pflicht begründet, als selbst das Band kindlicher Pietät: so gilt das
im höchsten Grade von der Liebe in ihrer idealen Erscheinung. Wer dieser
Untersuchung bisher gefolgt wäre mit dem Gefühl, daß ihn Etwas darin
ähnlich prosaisch anmuthet, wie hier und da die Kritik von Gervinus und
Ulrict, den hätte seine Empfindung wohl nicht getäuscht. Ideale Menschen,
erhaben durch Seelenadel und Schönheit, die sich in Liebe finden, gehören zu
einander. Das weiß selbst der Sinn des Volkes zu schätzen, das Freude
hat, wenn solch ein seltenes Paar verbunden wird, und gerührt trauert, wo
Schicksal oder Menschenhand ein so schönes Band zerreißt. Beide finden
Ihresgleichen nicht wieder und können von einander nicht lassen: dies Ge¬
fühl waltet in Beiden wie eine Schicksalsmacht. Daß sie die Einzigen sind,
das leiht ihrem Bunde das gewaltige Recht und den vollen Glanz der Poesie.
Es ist eine ästhetische Blasphemie, Abälard von Heloise zu trennen, zwischen
Hero und Leander zu treten, Romeo und Julie Entsagung zu predigen, Des¬
demona vor Othello zu warnen.

Und es wird zugleich ein ethisches Verbrechen, wenn zwei Menschen von
so ausgeprägtem, seltenem Adel des Charakters sich gesunden haben wie der
Mohr und die holde Venetianerin. Auch Ulrici ist es nicht entgangen, wie
nothwendig die Beiden zusammengehören "Ein Mann von hohem Geist,
von großer Energie des Charakters, von ausgezeichneter Thatkraft.....
ein solcher ist Othello. Einem solchen Manne aber muß das Weib, das er
wählt, gleichgeartet, gleichedel, gleichgroß in echter Weiblichkeit zur Seite stehen;
sonst kann es zu keiner wahren, vollgültigen Ehe kommen.
Ein Othello kann nur eine Desdemona, Desdemona nur einen


und Menschen in gleicher Weise herab, indem sie das Schicksal zum' tückischen
Henkersknecht macht, der die Menschen, nachdem sie seiner souveränen Laune eine
Weile zum Spielball gedient, in eine unentrinnbare Schlinge lockt. Gleichge -
wogen, sahen wir, sind da, wo es sich um eine echte Ehe handelt, die Rechte
der Eltern und der Kinder schon darum nicht, weil Staat und Gesellschaft
mit ihrem ehrwürdigeren Rechte dazwischentreten und die Wagschale auf die
Seite der Kinder neigen. Doch auch ohne diese Betrachtung, auch für die,
in deren Bewußtsein sich dies Gewicht nicht fühlbar macht, müßte es einen
Ausweg aus dem Dilemma geben. Nur daß Othello und Desdemona, Ro¬
meo und Julie ihn in der tragischen Befangenheit ihrer Leidenschaft nicht
gefunden haben.

Ehe wir aber diesen Weg aufsuchen, sind wir unsern Helden noch eine Ehren¬
erklärung schuldig, Wenn schon alle echte Liebe, auch die der einfachsten
Gemüther, ein besseres Recht hat als Borurtheil und verblendete Abneigung
die kein Elternmund ehrwürdiger machen kann, als treue Herzensneigung ist;
wenn die wahre Ehe stets ein innigeres Verhältniß ist und darum eine
höhere Pflicht begründet, als selbst das Band kindlicher Pietät: so gilt das
im höchsten Grade von der Liebe in ihrer idealen Erscheinung. Wer dieser
Untersuchung bisher gefolgt wäre mit dem Gefühl, daß ihn Etwas darin
ähnlich prosaisch anmuthet, wie hier und da die Kritik von Gervinus und
Ulrict, den hätte seine Empfindung wohl nicht getäuscht. Ideale Menschen,
erhaben durch Seelenadel und Schönheit, die sich in Liebe finden, gehören zu
einander. Das weiß selbst der Sinn des Volkes zu schätzen, das Freude
hat, wenn solch ein seltenes Paar verbunden wird, und gerührt trauert, wo
Schicksal oder Menschenhand ein so schönes Band zerreißt. Beide finden
Ihresgleichen nicht wieder und können von einander nicht lassen: dies Ge¬
fühl waltet in Beiden wie eine Schicksalsmacht. Daß sie die Einzigen sind,
das leiht ihrem Bunde das gewaltige Recht und den vollen Glanz der Poesie.
Es ist eine ästhetische Blasphemie, Abälard von Heloise zu trennen, zwischen
Hero und Leander zu treten, Romeo und Julie Entsagung zu predigen, Des¬
demona vor Othello zu warnen.

Und es wird zugleich ein ethisches Verbrechen, wenn zwei Menschen von
so ausgeprägtem, seltenem Adel des Charakters sich gesunden haben wie der
Mohr und die holde Venetianerin. Auch Ulrici ist es nicht entgangen, wie
nothwendig die Beiden zusammengehören „Ein Mann von hohem Geist,
von großer Energie des Charakters, von ausgezeichneter Thatkraft.....
ein solcher ist Othello. Einem solchen Manne aber muß das Weib, das er
wählt, gleichgeartet, gleichedel, gleichgroß in echter Weiblichkeit zur Seite stehen;
sonst kann es zu keiner wahren, vollgültigen Ehe kommen.
Ein Othello kann nur eine Desdemona, Desdemona nur einen


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[0136] und Menschen in gleicher Weise herab, indem sie das Schicksal zum' tückischen Henkersknecht macht, der die Menschen, nachdem sie seiner souveränen Laune eine Weile zum Spielball gedient, in eine unentrinnbare Schlinge lockt. Gleichge - wogen, sahen wir, sind da, wo es sich um eine echte Ehe handelt, die Rechte der Eltern und der Kinder schon darum nicht, weil Staat und Gesellschaft mit ihrem ehrwürdigeren Rechte dazwischentreten und die Wagschale auf die Seite der Kinder neigen. Doch auch ohne diese Betrachtung, auch für die, in deren Bewußtsein sich dies Gewicht nicht fühlbar macht, müßte es einen Ausweg aus dem Dilemma geben. Nur daß Othello und Desdemona, Ro¬ meo und Julie ihn in der tragischen Befangenheit ihrer Leidenschaft nicht gefunden haben. Ehe wir aber diesen Weg aufsuchen, sind wir unsern Helden noch eine Ehren¬ erklärung schuldig, Wenn schon alle echte Liebe, auch die der einfachsten Gemüther, ein besseres Recht hat als Borurtheil und verblendete Abneigung die kein Elternmund ehrwürdiger machen kann, als treue Herzensneigung ist; wenn die wahre Ehe stets ein innigeres Verhältniß ist und darum eine höhere Pflicht begründet, als selbst das Band kindlicher Pietät: so gilt das im höchsten Grade von der Liebe in ihrer idealen Erscheinung. Wer dieser Untersuchung bisher gefolgt wäre mit dem Gefühl, daß ihn Etwas darin ähnlich prosaisch anmuthet, wie hier und da die Kritik von Gervinus und Ulrict, den hätte seine Empfindung wohl nicht getäuscht. Ideale Menschen, erhaben durch Seelenadel und Schönheit, die sich in Liebe finden, gehören zu einander. Das weiß selbst der Sinn des Volkes zu schätzen, das Freude hat, wenn solch ein seltenes Paar verbunden wird, und gerührt trauert, wo Schicksal oder Menschenhand ein so schönes Band zerreißt. Beide finden Ihresgleichen nicht wieder und können von einander nicht lassen: dies Ge¬ fühl waltet in Beiden wie eine Schicksalsmacht. Daß sie die Einzigen sind, das leiht ihrem Bunde das gewaltige Recht und den vollen Glanz der Poesie. Es ist eine ästhetische Blasphemie, Abälard von Heloise zu trennen, zwischen Hero und Leander zu treten, Romeo und Julie Entsagung zu predigen, Des¬ demona vor Othello zu warnen. Und es wird zugleich ein ethisches Verbrechen, wenn zwei Menschen von so ausgeprägtem, seltenem Adel des Charakters sich gesunden haben wie der Mohr und die holde Venetianerin. Auch Ulrici ist es nicht entgangen, wie nothwendig die Beiden zusammengehören „Ein Mann von hohem Geist, von großer Energie des Charakters, von ausgezeichneter Thatkraft..... ein solcher ist Othello. Einem solchen Manne aber muß das Weib, das er wählt, gleichgeartet, gleichedel, gleichgroß in echter Weiblichkeit zur Seite stehen; sonst kann es zu keiner wahren, vollgültigen Ehe kommen. Ein Othello kann nur eine Desdemona, Desdemona nur einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/136>, abgerufen am 06.02.2025.