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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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manu's wiedererstandene Zeitschrift für die deutschen Mundarten, so haben wir
eine so stattliche Reihe aufzuweisen/wie wenig andere Einzelwissenschaften.

Will man daraus einen Schluß ziehen auf den gegenwärtigen Betrieb
der deutschen Philologie, so kann das nur ein erfreulicher sein. Nur gris-
grämiger Eigensinn und dünkelhafte Vornehmthuerei wird sich die Augen ge¬
gen die Thatsache verschließen, daß die Wissenschaft, die wir im engsten Sinne
und in jedem Sinne eine deutsche nennen, zu keiner Zeit so viel Pfleger und
Anhänger gefunden hat wie heute. Auch auf sie drücken, wie sich von selbst
versteht, die Zustände unseres Buchhandels und zuletzt die Verschroben¬
heit aller ökonomischen Verhältnisse in Deutschland. Gar mancher fleißige
Mann möchte für ein deutsch-philologisches Werk einen Verleger haben,
findet aber keinen, gar mancher treffliche literarische Plan bleibt unausgeführt
oder kommt ins Stocken, weil die äußeren Subsistenzbedingungen nicht zu¬
reichen. Aber welche Specialwissenschaft wäre nicht zu denselben Klagen berechtigt?
Glänzende Erfolge, wie sie jetzt einzelne naturwissenschaftliche Bücher erzielen,
beweisen noch nicht, daß die gesammte Literatur des Faches sich in besserer Lage
befinde als die des unseren. Von Geschichte, Jurisprudenz, Theologie, klas¬
sischer Philologie oder gar von der Philosophie ist es ohnehin gerathener in
dieser Beziehung ganz zu schweigen und doch kann Niemand leugnen, daß
fast in allen den genannten Fächern sehr viel und in gewisser Hinsicht auch
sehr tüchtig gearbeitet wird. Die allgemeine literarische Hypertrophie, an der
Deutschland schon seit der Reformationszeit kränkelt, und seit ISO Jahren
ernstlich leidet, äußert sich in jedem einzelnen Falle für den gerade Betroffenen
sehr unangenehm, doch wird dadurch an dem Factum selbst nichts geändert,
so wenig wie derartige Einzelerfahrungen irgend einen heilenden Einfluß aus
das Grundübel zu haben vermögen. Nur eine Radicalcur könnte hier helfen.
Sie liegt aber nicht in der Macht des Einzelnen oder vieler Einzelnen und
wird auch nicht durch Vorgänge von momentan revolutionärem Einfluß, wie
etwa der letzte große Buchdruckerstrike zu Wege gebracht werden. Wir müssen
uns dabei der Zeit selbst und ihrer freilich nicht sehr sanft wirkenden und
noch weniger in verständiger und geregelter Beschränkung auf den eigentlichen
Sitz des Uebels operirenden Heilkraft verlassen, denn daß eine gründliche
Aenderung in diesen äußeren Existenzbedingungen der gesammten deutschen
Literatur eintreten muß, darüber sind alle, die aus eigener Erfahrung sich ei¬
nige Sachkenntniß erworben haben, einverstanden. Schade nur, daß das
Wissen überall so wenig zu dem Besserwerden hilft.

Trotz alledem sind die Aspecten der neuen deutsch-philologischen Zeitschrift,
deren Titel wir oben hingeschrieben haben, nicht ungünstig. Sie wird bei
einigem Glück, was zu allen Dingen als erstes gehört, und einigem Geschick
ihrer Leitung, gerade so gut ihren Weg machen wie ihre älteren Schwestern.


manu's wiedererstandene Zeitschrift für die deutschen Mundarten, so haben wir
eine so stattliche Reihe aufzuweisen/wie wenig andere Einzelwissenschaften.

Will man daraus einen Schluß ziehen auf den gegenwärtigen Betrieb
der deutschen Philologie, so kann das nur ein erfreulicher sein. Nur gris-
grämiger Eigensinn und dünkelhafte Vornehmthuerei wird sich die Augen ge¬
gen die Thatsache verschließen, daß die Wissenschaft, die wir im engsten Sinne
und in jedem Sinne eine deutsche nennen, zu keiner Zeit so viel Pfleger und
Anhänger gefunden hat wie heute. Auch auf sie drücken, wie sich von selbst
versteht, die Zustände unseres Buchhandels und zuletzt die Verschroben¬
heit aller ökonomischen Verhältnisse in Deutschland. Gar mancher fleißige
Mann möchte für ein deutsch-philologisches Werk einen Verleger haben,
findet aber keinen, gar mancher treffliche literarische Plan bleibt unausgeführt
oder kommt ins Stocken, weil die äußeren Subsistenzbedingungen nicht zu¬
reichen. Aber welche Specialwissenschaft wäre nicht zu denselben Klagen berechtigt?
Glänzende Erfolge, wie sie jetzt einzelne naturwissenschaftliche Bücher erzielen,
beweisen noch nicht, daß die gesammte Literatur des Faches sich in besserer Lage
befinde als die des unseren. Von Geschichte, Jurisprudenz, Theologie, klas¬
sischer Philologie oder gar von der Philosophie ist es ohnehin gerathener in
dieser Beziehung ganz zu schweigen und doch kann Niemand leugnen, daß
fast in allen den genannten Fächern sehr viel und in gewisser Hinsicht auch
sehr tüchtig gearbeitet wird. Die allgemeine literarische Hypertrophie, an der
Deutschland schon seit der Reformationszeit kränkelt, und seit ISO Jahren
ernstlich leidet, äußert sich in jedem einzelnen Falle für den gerade Betroffenen
sehr unangenehm, doch wird dadurch an dem Factum selbst nichts geändert,
so wenig wie derartige Einzelerfahrungen irgend einen heilenden Einfluß aus
das Grundübel zu haben vermögen. Nur eine Radicalcur könnte hier helfen.
Sie liegt aber nicht in der Macht des Einzelnen oder vieler Einzelnen und
wird auch nicht durch Vorgänge von momentan revolutionärem Einfluß, wie
etwa der letzte große Buchdruckerstrike zu Wege gebracht werden. Wir müssen
uns dabei der Zeit selbst und ihrer freilich nicht sehr sanft wirkenden und
noch weniger in verständiger und geregelter Beschränkung auf den eigentlichen
Sitz des Uebels operirenden Heilkraft verlassen, denn daß eine gründliche
Aenderung in diesen äußeren Existenzbedingungen der gesammten deutschen
Literatur eintreten muß, darüber sind alle, die aus eigener Erfahrung sich ei¬
nige Sachkenntniß erworben haben, einverstanden. Schade nur, daß das
Wissen überall so wenig zu dem Besserwerden hilft.

Trotz alledem sind die Aspecten der neuen deutsch-philologischen Zeitschrift,
deren Titel wir oben hingeschrieben haben, nicht ungünstig. Sie wird bei
einigem Glück, was zu allen Dingen als erstes gehört, und einigem Geschick
ihrer Leitung, gerade so gut ihren Weg machen wie ihre älteren Schwestern.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/120>, abgerufen am 05.02.2025.