Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sionär oder Kapitän eines Walfischfahrers ist. Ich bin jetzt persönlich be¬
kannt mit zweiundsiebzig Schiffskapitänen und neunundneunzig Missionären.
Die Kapitäne und Geistlichen bilden eine Hälfte der Bevölkerung, das dritte
Viertel besteht aus gemeinen Kanakas und fremden Kaufleuten mit ihren
Familien, und das letzte Viertel aus höhern Beamten der hawaiischen Ne¬
gierung. Und es giebt Katzen genug für alle miteinander -- jeder Kopf
kann drei Stück bekommen.

Neulich begegnete mir ein würdevoller Fremder in einer der Vorstädte
und sagte:

"Guten Morgen, Wohlehrwürden. Predigen ohne Zweifel in der stei¬
nernen Kirche da drüben?"

"Nein. Das nicht. Ich bin kein Prediger."

"El wirklich nicht, bitt' um Verzeihung, Kapitän. Hoffe, Sie haben
bei letzter Fangzeit gute Geschäfte gemacht. Wie viel Thran" --

"Thran? Wofür halten Sie mich? Ich bin kein Walfischjäger."

"O ich bitte tausendmal um Vergebung, Eurer Exellenz, Generalmajor
in den Haustruppen ohne Zweifel? Minister des Innern vermuthlich? Kriegs¬
minister? Erster Kammerherr? Commissär der königlichen --"

"Schnack! Ich bin kein Beamter. Ich stehe in keiner Weise mit der
Regierung in Verbindung."

"Na Gott stärke mich! Wer zur Schwerenoth sind Sie und was zur
Schwerenoth sind Sie denn dann. Und wie zum Teufel sind Sie hierher
gerathen, und wo zum Donnerwetter sind Sie hergekommen?"

"Ich bin nur eine Privatperson -- ein anspruchsloser Fremder -- vor
Kurzem aus Amerika eingetroffen."

"Nein? Also kein Missionär! Kein Walfischfahrer! Kein Mitglied
von Seiner Majestät Negierung. Nicht einmal Marineminister! Ach Himmel,
es ist zu beseligend, um wahr zu sein. Weh mir, ich träume wohl nur.
Und doch dieses edle, biedere Gesicht -- Diese gescheidten Denkeraugen, diese
massive Stirn unfähig zu -- zu allem Möglichen! Ihre Hand. Fremdling,
geben Sie mir ihre Hand, glänzender herrenloser Fund. Entschuldigen Sie
diese Thränen. Sechzehn lange Jahre habe ich geschmachtet nach einem Au¬
genblick wie dieser. --"

Hier übermannte ihn sein Gefühl und er fiel in Ohnmacht. Ich bedau¬
erte das arme Geschöpf von ganzem Herzen. Ich war tief gerührt. Ich
vergoß ein paar Zähren über ihm und küßte ihn statt seiner Mutter. Dann
nahm ich, was er an kleinem Gelde bei sich hatte und "schob ab".

Ich citirte immer noch mein Tagebuch.

Ich fand, daß die nationale Gesetzgebung aus einem halben Dutzend


sionär oder Kapitän eines Walfischfahrers ist. Ich bin jetzt persönlich be¬
kannt mit zweiundsiebzig Schiffskapitänen und neunundneunzig Missionären.
Die Kapitäne und Geistlichen bilden eine Hälfte der Bevölkerung, das dritte
Viertel besteht aus gemeinen Kanakas und fremden Kaufleuten mit ihren
Familien, und das letzte Viertel aus höhern Beamten der hawaiischen Ne¬
gierung. Und es giebt Katzen genug für alle miteinander — jeder Kopf
kann drei Stück bekommen.

Neulich begegnete mir ein würdevoller Fremder in einer der Vorstädte
und sagte:

„Guten Morgen, Wohlehrwürden. Predigen ohne Zweifel in der stei¬
nernen Kirche da drüben?"

„Nein. Das nicht. Ich bin kein Prediger."

„El wirklich nicht, bitt' um Verzeihung, Kapitän. Hoffe, Sie haben
bei letzter Fangzeit gute Geschäfte gemacht. Wie viel Thran" —

„Thran? Wofür halten Sie mich? Ich bin kein Walfischjäger."

„O ich bitte tausendmal um Vergebung, Eurer Exellenz, Generalmajor
in den Haustruppen ohne Zweifel? Minister des Innern vermuthlich? Kriegs¬
minister? Erster Kammerherr? Commissär der königlichen —"

„Schnack! Ich bin kein Beamter. Ich stehe in keiner Weise mit der
Regierung in Verbindung."

„Na Gott stärke mich! Wer zur Schwerenoth sind Sie und was zur
Schwerenoth sind Sie denn dann. Und wie zum Teufel sind Sie hierher
gerathen, und wo zum Donnerwetter sind Sie hergekommen?"

„Ich bin nur eine Privatperson — ein anspruchsloser Fremder — vor
Kurzem aus Amerika eingetroffen."

„Nein? Also kein Missionär! Kein Walfischfahrer! Kein Mitglied
von Seiner Majestät Negierung. Nicht einmal Marineminister! Ach Himmel,
es ist zu beseligend, um wahr zu sein. Weh mir, ich träume wohl nur.
Und doch dieses edle, biedere Gesicht — Diese gescheidten Denkeraugen, diese
massive Stirn unfähig zu — zu allem Möglichen! Ihre Hand. Fremdling,
geben Sie mir ihre Hand, glänzender herrenloser Fund. Entschuldigen Sie
diese Thränen. Sechzehn lange Jahre habe ich geschmachtet nach einem Au¬
genblick wie dieser. —"

Hier übermannte ihn sein Gefühl und er fiel in Ohnmacht. Ich bedau¬
erte das arme Geschöpf von ganzem Herzen. Ich war tief gerührt. Ich
vergoß ein paar Zähren über ihm und küßte ihn statt seiner Mutter. Dann
nahm ich, was er an kleinem Gelde bei sich hatte und „schob ab".

Ich citirte immer noch mein Tagebuch.

Ich fand, daß die nationale Gesetzgebung aus einem halben Dutzend


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0112" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192915"/>
            <p xml:id="ID_317" prev="#ID_316"> sionär oder Kapitän eines Walfischfahrers ist. Ich bin jetzt persönlich be¬<lb/>
kannt mit zweiundsiebzig Schiffskapitänen und neunundneunzig Missionären.<lb/>
Die Kapitäne und Geistlichen bilden eine Hälfte der Bevölkerung, das dritte<lb/>
Viertel besteht aus gemeinen Kanakas und fremden Kaufleuten mit ihren<lb/>
Familien, und das letzte Viertel aus höhern Beamten der hawaiischen Ne¬<lb/>
gierung. Und es giebt Katzen genug für alle miteinander &#x2014; jeder Kopf<lb/>
kann drei Stück bekommen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_318"> Neulich begegnete mir ein würdevoller Fremder in einer der Vorstädte<lb/>
und sagte:</p><lb/>
            <p xml:id="ID_319"> &#x201E;Guten Morgen, Wohlehrwürden. Predigen ohne Zweifel in der stei¬<lb/>
nernen Kirche da drüben?"</p><lb/>
            <p xml:id="ID_320"> &#x201E;Nein. Das nicht. Ich bin kein Prediger."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_321"> &#x201E;El wirklich nicht, bitt' um Verzeihung, Kapitän. Hoffe, Sie haben<lb/>
bei letzter Fangzeit gute Geschäfte gemacht. Wie viel Thran" &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_322"> &#x201E;Thran? Wofür halten Sie mich? Ich bin kein Walfischjäger."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_323"> &#x201E;O ich bitte tausendmal um Vergebung, Eurer Exellenz, Generalmajor<lb/>
in den Haustruppen ohne Zweifel? Minister des Innern vermuthlich? Kriegs¬<lb/>
minister? Erster Kammerherr? Commissär der königlichen &#x2014;"</p><lb/>
            <p xml:id="ID_324"> &#x201E;Schnack! Ich bin kein Beamter. Ich stehe in keiner Weise mit der<lb/>
Regierung in Verbindung."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_325"> &#x201E;Na Gott stärke mich! Wer zur Schwerenoth sind Sie und was zur<lb/>
Schwerenoth sind Sie denn dann. Und wie zum Teufel sind Sie hierher<lb/>
gerathen, und wo zum Donnerwetter sind Sie hergekommen?"</p><lb/>
            <p xml:id="ID_326"> &#x201E;Ich bin nur eine Privatperson &#x2014; ein anspruchsloser Fremder &#x2014; vor<lb/>
Kurzem aus Amerika eingetroffen."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_327"> &#x201E;Nein? Also kein Missionär! Kein Walfischfahrer! Kein Mitglied<lb/>
von Seiner Majestät Negierung. Nicht einmal Marineminister! Ach Himmel,<lb/>
es ist zu beseligend, um wahr zu sein. Weh mir, ich träume wohl nur.<lb/>
Und doch dieses edle, biedere Gesicht &#x2014; Diese gescheidten Denkeraugen, diese<lb/>
massive Stirn unfähig zu &#x2014; zu allem Möglichen! Ihre Hand. Fremdling,<lb/>
geben Sie mir ihre Hand, glänzender herrenloser Fund. Entschuldigen Sie<lb/>
diese Thränen. Sechzehn lange Jahre habe ich geschmachtet nach einem Au¬<lb/>
genblick wie dieser. &#x2014;"</p><lb/>
            <p xml:id="ID_328"> Hier übermannte ihn sein Gefühl und er fiel in Ohnmacht. Ich bedau¬<lb/>
erte das arme Geschöpf von ganzem Herzen. Ich war tief gerührt. Ich<lb/>
vergoß ein paar Zähren über ihm und küßte ihn statt seiner Mutter. Dann<lb/>
nahm ich, was er an kleinem Gelde bei sich hatte und &#x201E;schob ab".</p><lb/>
            <p xml:id="ID_329"> Ich citirte immer noch mein Tagebuch.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_330" next="#ID_331"> Ich fand, daß die nationale Gesetzgebung aus einem halben Dutzend</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0112] sionär oder Kapitän eines Walfischfahrers ist. Ich bin jetzt persönlich be¬ kannt mit zweiundsiebzig Schiffskapitänen und neunundneunzig Missionären. Die Kapitäne und Geistlichen bilden eine Hälfte der Bevölkerung, das dritte Viertel besteht aus gemeinen Kanakas und fremden Kaufleuten mit ihren Familien, und das letzte Viertel aus höhern Beamten der hawaiischen Ne¬ gierung. Und es giebt Katzen genug für alle miteinander — jeder Kopf kann drei Stück bekommen. Neulich begegnete mir ein würdevoller Fremder in einer der Vorstädte und sagte: „Guten Morgen, Wohlehrwürden. Predigen ohne Zweifel in der stei¬ nernen Kirche da drüben?" „Nein. Das nicht. Ich bin kein Prediger." „El wirklich nicht, bitt' um Verzeihung, Kapitän. Hoffe, Sie haben bei letzter Fangzeit gute Geschäfte gemacht. Wie viel Thran" — „Thran? Wofür halten Sie mich? Ich bin kein Walfischjäger." „O ich bitte tausendmal um Vergebung, Eurer Exellenz, Generalmajor in den Haustruppen ohne Zweifel? Minister des Innern vermuthlich? Kriegs¬ minister? Erster Kammerherr? Commissär der königlichen —" „Schnack! Ich bin kein Beamter. Ich stehe in keiner Weise mit der Regierung in Verbindung." „Na Gott stärke mich! Wer zur Schwerenoth sind Sie und was zur Schwerenoth sind Sie denn dann. Und wie zum Teufel sind Sie hierher gerathen, und wo zum Donnerwetter sind Sie hergekommen?" „Ich bin nur eine Privatperson — ein anspruchsloser Fremder — vor Kurzem aus Amerika eingetroffen." „Nein? Also kein Missionär! Kein Walfischfahrer! Kein Mitglied von Seiner Majestät Negierung. Nicht einmal Marineminister! Ach Himmel, es ist zu beseligend, um wahr zu sein. Weh mir, ich träume wohl nur. Und doch dieses edle, biedere Gesicht — Diese gescheidten Denkeraugen, diese massive Stirn unfähig zu — zu allem Möglichen! Ihre Hand. Fremdling, geben Sie mir ihre Hand, glänzender herrenloser Fund. Entschuldigen Sie diese Thränen. Sechzehn lange Jahre habe ich geschmachtet nach einem Au¬ genblick wie dieser. —" Hier übermannte ihn sein Gefühl und er fiel in Ohnmacht. Ich bedau¬ erte das arme Geschöpf von ganzem Herzen. Ich war tief gerührt. Ich vergoß ein paar Zähren über ihm und küßte ihn statt seiner Mutter. Dann nahm ich, was er an kleinem Gelde bei sich hatte und „schob ab". Ich citirte immer noch mein Tagebuch. Ich fand, daß die nationale Gesetzgebung aus einem halben Dutzend

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/112
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/112>, abgerufen am 06.02.2025.