Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.Das vorstehend Bemerkte bezieht sich zunächst nur auf die Jury im Ci- Als dann das Gottesurtheil mehr und mehr seinen Credit einbüßte und So hat in der That die Jury in Strafsachen keinen eigentlich gesetzlichen Das vorstehend Bemerkte bezieht sich zunächst nur auf die Jury im Ci- Als dann das Gottesurtheil mehr und mehr seinen Credit einbüßte und So hat in der That die Jury in Strafsachen keinen eigentlich gesetzlichen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0106" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192909"/> <p xml:id="ID_295"> Das vorstehend Bemerkte bezieht sich zunächst nur auf die Jury im Ci-<lb/> vilprvccsse, die urtheilende Jury in Strafsachen ist bedeutend jünger und hat<lb/> auch erst später ihre Ausbildung empfangen. Indeß entstammt auch die<lb/> Strafjury dem Rechte der fränkischen Monarchie. Die Grafen oder die könig¬<lb/> lichen Sendboten wählen eine Anzahl glaubhafter Männer aus den einzelnen<lb/> Bezirken aus, beeidigen sie und lassen sie auf den Eid alle Gesetzesverletzungen<lb/> und deren Urheber angeben, von denen sie sichere Kunde haben. Der solcher¬<lb/> gestalt von der Rügejury Bezüchtigte mußte anfangs wie ein anderer Ange¬<lb/> klagter sich von der erhobenen Beschuldigung reinigen und nach normannisch-<lb/> englischem Rechte blieb auf solche Beschuldigung, die als im Namen des Königs<lb/> erhoben galt, dem Inäietaws nur die Berufung auf das eigentliche Gottes¬<lb/> urtheil. Während nun die schnelle Einbürgerung der Civiljurh in England<lb/> zum großen Theile zurückzuführen ist auf die bessere Lage, welche sie den un¬<lb/> terdrückten Angelsachsen im Vergleiche zu dem Kampfbeweise gewährte, waren<lb/> bei der Rügejury die Könige unmittelbar selbst mit ihren fiscalischen Rechten<lb/> interessirt, worüber die uns überlieferten Jnstructionen an die reisenden Richter<lb/> Aufschlüsse geben, und zugleich der herrschende Stamm der Normannen: der<lb/> feindselige Gegensatz, in welchem die Angelsachsen zu ihnen standen, reizte zu<lb/> heimlicher Gewaltthat, und nur durch inquisitorische Maßregeln war bei dem<lb/> straffen Zusammenhalten der Angelsachsen ein wirksamer strafrechtlicher Schutz<lb/> zu erreichen: wie man früher schon die Gesammtbürgschaft der Gemeinde für<lb/> begangene Frevel benutzt hatte, so benutzten die Normannen auch die Ge-<lb/> sammtzeugenaussage.</p><lb/> <p xml:id="ID_296"> Als dann das Gottesurtheil mehr und mehr seinen Credit einbüßte und<lb/> das lateranensische Concil 1213 die Mitwirkung der Geistlichkeit dabei unter¬<lb/> sagte, blieb gesetzlich der durch die Anzeige der Rügejury begonnene Proceß<lb/> ohne Entscheidung. Die königlichen Richter erhielten daher die Instruction,<lb/> die Bczüchtigten zur Unterwerfung unter den Spruch einer zweiten Jury zu<lb/> veranlassen, wie denn auch in Civilsachen, auch da, wo anfangs die auf einzelne<lb/> wichtige Fälle beschränkte Civiljury nicht gesetzlich eintrat, die Parteien doch<lb/> oft freiwillig dem Spruche einer lurata, sich unterwarfen. Die Richter führten<lb/> diese Instruktion dadurch aus, daß sie die Angeklagten bei unzureichender Be¬<lb/> kleidung und Beköstigung im Gefängniß bis zur Unterwerfung unter den<lb/> Spruch der Jury schmachten ließen, sie, wenn sie widerspänstig waren, lang¬<lb/> sam zu Tode quälten.</p><lb/> <p xml:id="ID_297" next="#ID_298"> So hat in der That die Jury in Strafsachen keinen eigentlich gesetzlichen<lb/> Ursprung, und lange Zeit hindurch waren die Geschworenen auch sehr abhängig<lb/> von den Richtern. Die ursprüngliche Auffassung, daß die Geschworenen Beweis¬<lb/> mittel in der Hand des Richters seien, wirkte noch lange nach, ebenso wie<lb/> die Ansicht, daß die Berufung auf die Urtheilsjury nur eine besondere dem</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0106]
Das vorstehend Bemerkte bezieht sich zunächst nur auf die Jury im Ci-
vilprvccsse, die urtheilende Jury in Strafsachen ist bedeutend jünger und hat
auch erst später ihre Ausbildung empfangen. Indeß entstammt auch die
Strafjury dem Rechte der fränkischen Monarchie. Die Grafen oder die könig¬
lichen Sendboten wählen eine Anzahl glaubhafter Männer aus den einzelnen
Bezirken aus, beeidigen sie und lassen sie auf den Eid alle Gesetzesverletzungen
und deren Urheber angeben, von denen sie sichere Kunde haben. Der solcher¬
gestalt von der Rügejury Bezüchtigte mußte anfangs wie ein anderer Ange¬
klagter sich von der erhobenen Beschuldigung reinigen und nach normannisch-
englischem Rechte blieb auf solche Beschuldigung, die als im Namen des Königs
erhoben galt, dem Inäietaws nur die Berufung auf das eigentliche Gottes¬
urtheil. Während nun die schnelle Einbürgerung der Civiljurh in England
zum großen Theile zurückzuführen ist auf die bessere Lage, welche sie den un¬
terdrückten Angelsachsen im Vergleiche zu dem Kampfbeweise gewährte, waren
bei der Rügejury die Könige unmittelbar selbst mit ihren fiscalischen Rechten
interessirt, worüber die uns überlieferten Jnstructionen an die reisenden Richter
Aufschlüsse geben, und zugleich der herrschende Stamm der Normannen: der
feindselige Gegensatz, in welchem die Angelsachsen zu ihnen standen, reizte zu
heimlicher Gewaltthat, und nur durch inquisitorische Maßregeln war bei dem
straffen Zusammenhalten der Angelsachsen ein wirksamer strafrechtlicher Schutz
zu erreichen: wie man früher schon die Gesammtbürgschaft der Gemeinde für
begangene Frevel benutzt hatte, so benutzten die Normannen auch die Ge-
sammtzeugenaussage.
Als dann das Gottesurtheil mehr und mehr seinen Credit einbüßte und
das lateranensische Concil 1213 die Mitwirkung der Geistlichkeit dabei unter¬
sagte, blieb gesetzlich der durch die Anzeige der Rügejury begonnene Proceß
ohne Entscheidung. Die königlichen Richter erhielten daher die Instruction,
die Bczüchtigten zur Unterwerfung unter den Spruch einer zweiten Jury zu
veranlassen, wie denn auch in Civilsachen, auch da, wo anfangs die auf einzelne
wichtige Fälle beschränkte Civiljury nicht gesetzlich eintrat, die Parteien doch
oft freiwillig dem Spruche einer lurata, sich unterwarfen. Die Richter führten
diese Instruktion dadurch aus, daß sie die Angeklagten bei unzureichender Be¬
kleidung und Beköstigung im Gefängniß bis zur Unterwerfung unter den
Spruch der Jury schmachten ließen, sie, wenn sie widerspänstig waren, lang¬
sam zu Tode quälten.
So hat in der That die Jury in Strafsachen keinen eigentlich gesetzlichen
Ursprung, und lange Zeit hindurch waren die Geschworenen auch sehr abhängig
von den Richtern. Die ursprüngliche Auffassung, daß die Geschworenen Beweis¬
mittel in der Hand des Richters seien, wirkte noch lange nach, ebenso wie
die Ansicht, daß die Berufung auf die Urtheilsjury nur eine besondere dem
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