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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. II. Band.

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trat an die Stelle des alten Regime. Die neuen Minister waren sämmtlich
alte Bekannte Biedermann's und haben ihn oft in wichtigen Dingen zu Rathe
gezogen. Vor Oberländer's Berufung hatte v. d. Pfordten sogar Biedermann
dem König mit für das Portefeuille des Kultus genannt. Aber nie hat
Biedermann in diesen Tagen und später, wo weit radikalere Naturen als die
seine, sich in Aemter, Würden und Staatsversorgungen lancirten, aus seiner
Vertrautheit mit den Männern der Regierung Vortheil für sich gezogen.
Nicht einmal eine Aufhebung des lächerlichen Verbotes seiner staatsrechtlichen
Vorlesungen suchte er zu erwirken. Er ließ ruhig den ihm ohne sein Zuthun
zuerst angebotenen Posten eines Vertrauensmannes der sächsischen Regierung
beim Bundestage mit dem radikalen Führer der Kammeropposition Todt besetzen,
und später, nach Todt's Abberufung, durch den Geheimen Rath Kohlschütter
-- dem man diesen wichtigen Posten anvertraute "weil er leidend war und sich
dort weniger anzustrengen brauchte!" Auf Biedermann's Rath vertauschte
v. d. Pfordten sein Portefeuille des Innern gegen dasjenige des Kultus
mit Oberländer. Ein anderer dringender Rath Biedermann's an Oberländer,
den er noch in der letzten Stunde vor der Abreise zum Vorparlament nach
Frankfurt diesem gab, ging dahin, doch ja die wichtige Verständigung über das
Wahlgesetz, über welches zwischen Oberländer, Braun und Georgi Meinungs¬
verschiedenheiten bestanden, zur Vorbedingung seines Eintritts in das Mini¬
sterium zu machen. Leider wurde dieser gute Rath nicht befolgt, und der
Zwiespalt trat zu einer Zeit" hervor, wo er verhängnißvoll für die Wirksam¬
keit des Ministeriums und die ganze neue Ordnung der Dinge wurde. Den
hauptsächlichsten Dienst leistete Biedermann aber dem neuen Ministerium
durch Annahme einer vorübergehenden diplomatischen Mission nach Berlin in
Betreff des wichtigen Conferenzprojectes der süddeutschen Regierungen. Vor
Allem war es v. d. Pfordten, der Biedermann zur Annahme dieser Sendung
veranlaßte. Der Minister hatte schon wenige Tage zuvor, als Biedermann
ihm sein Programm in der deutschen Frage entwickelte, seine politische März¬
weisheit in das rathlose Geständniß zusammengepreßt: "Uns ist jede Ver¬
fassung recht, welche uns die Republik vom Leibe hält." Kurz vor der Ab¬
reise nach Berlin wurde Biedermann dem König durch v. d. Pfordten vor¬
gestellt. Hier war es, wo der König sich überzeugte, daß der echte Bieder¬
mann nicht so wüst drein schaue, wie der eingebildete. Herr v. d. Pfordten
führte ihn beim Könige ein. Der König sagte: "Ich glaube, daß sie ein
conservativer Mann sind und es aufrichtig meinen. Ich habe in diesen
letzten vierzehn Tagen vieles hinter mich werfen müssen, aber ich sehe
jetzt ein, daß es so besser ist. und werde dabei beharren!" Und als Bieder¬
mann hierauf erwiederte, er zweifle nicht an einer ruhigen und gedeih¬
lichen Entwicklung Sachsens, sobald nur die deutsche Frage eine baldige


trat an die Stelle des alten Regime. Die neuen Minister waren sämmtlich
alte Bekannte Biedermann's und haben ihn oft in wichtigen Dingen zu Rathe
gezogen. Vor Oberländer's Berufung hatte v. d. Pfordten sogar Biedermann
dem König mit für das Portefeuille des Kultus genannt. Aber nie hat
Biedermann in diesen Tagen und später, wo weit radikalere Naturen als die
seine, sich in Aemter, Würden und Staatsversorgungen lancirten, aus seiner
Vertrautheit mit den Männern der Regierung Vortheil für sich gezogen.
Nicht einmal eine Aufhebung des lächerlichen Verbotes seiner staatsrechtlichen
Vorlesungen suchte er zu erwirken. Er ließ ruhig den ihm ohne sein Zuthun
zuerst angebotenen Posten eines Vertrauensmannes der sächsischen Regierung
beim Bundestage mit dem radikalen Führer der Kammeropposition Todt besetzen,
und später, nach Todt's Abberufung, durch den Geheimen Rath Kohlschütter
— dem man diesen wichtigen Posten anvertraute „weil er leidend war und sich
dort weniger anzustrengen brauchte!" Auf Biedermann's Rath vertauschte
v. d. Pfordten sein Portefeuille des Innern gegen dasjenige des Kultus
mit Oberländer. Ein anderer dringender Rath Biedermann's an Oberländer,
den er noch in der letzten Stunde vor der Abreise zum Vorparlament nach
Frankfurt diesem gab, ging dahin, doch ja die wichtige Verständigung über das
Wahlgesetz, über welches zwischen Oberländer, Braun und Georgi Meinungs¬
verschiedenheiten bestanden, zur Vorbedingung seines Eintritts in das Mini¬
sterium zu machen. Leider wurde dieser gute Rath nicht befolgt, und der
Zwiespalt trat zu einer Zeit" hervor, wo er verhängnißvoll für die Wirksam¬
keit des Ministeriums und die ganze neue Ordnung der Dinge wurde. Den
hauptsächlichsten Dienst leistete Biedermann aber dem neuen Ministerium
durch Annahme einer vorübergehenden diplomatischen Mission nach Berlin in
Betreff des wichtigen Conferenzprojectes der süddeutschen Regierungen. Vor
Allem war es v. d. Pfordten, der Biedermann zur Annahme dieser Sendung
veranlaßte. Der Minister hatte schon wenige Tage zuvor, als Biedermann
ihm sein Programm in der deutschen Frage entwickelte, seine politische März¬
weisheit in das rathlose Geständniß zusammengepreßt: „Uns ist jede Ver¬
fassung recht, welche uns die Republik vom Leibe hält." Kurz vor der Ab¬
reise nach Berlin wurde Biedermann dem König durch v. d. Pfordten vor¬
gestellt. Hier war es, wo der König sich überzeugte, daß der echte Bieder¬
mann nicht so wüst drein schaue, wie der eingebildete. Herr v. d. Pfordten
führte ihn beim Könige ein. Der König sagte: „Ich glaube, daß sie ein
conservativer Mann sind und es aufrichtig meinen. Ich habe in diesen
letzten vierzehn Tagen vieles hinter mich werfen müssen, aber ich sehe
jetzt ein, daß es so besser ist. und werde dabei beharren!" Und als Bieder¬
mann hierauf erwiederte, er zweifle nicht an einer ruhigen und gedeih¬
lichen Entwicklung Sachsens, sobald nur die deutsche Frage eine baldige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_129525/378>, abgerufen am 11.01.2025.