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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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tige rücksichtslose Ehrgeiz, der nach politischer Macht und Bedeutung hin¬
strebt, und die zähe und nachhaltige Behauptung und Vertheidigung des pro¬
testantischen Principes. Man braucht diese von dem Historiker gegebenen
Daten nur zu nehmen, die Werkstücke in einander zu fügen, -- und ein
Held des historischen Drama, wie es effeetvollere wenige giebt, steht da!-

"Eine Natur, deren Gleichen wir in Deutschland nicht finden; einen
Menschen von Fleisch und Blut" hat Ranke ihn genannt und sein Wesen
in so meisterhafter Weise charakterifirt, daß alle späteren Schilderungen nur
wie bloße Abbilder des unerreichten Urbildes aussehen. Wie überhaupt in den
historischen Portraits, welche Ranke's Meisterhand gezeichnet und colorire hat,
eine noch unerschöpfte Fülle historischer Dramen enthalten sein dürfte, so ist
auch der Keim des hier vorliegenden Trauerspieles im eingehenden Studium
Ranke'scher Geschichtsschreibung zu suchen. Und das dürfen wir hier bezeu¬
gen, "Fleisch und Blut" jener vergangenen Zeiten leben bei Kruse wieder
auf zu wirklichem Leben. Er ist tief in das Verständniß jener Zeit eingedrungen:
in Großem und Kleinem bekundet sich der historische Sinn des Dramatikers.

Ob "Moritz von Sachsen" schon oft und in welcher Weise dramatisch
bearbeitet gewesen, -- ich besitze nicht genug literarische Kenntnisse, dies zu
beantworten.*) Mir liegt zum Vergleiche allein das Stück von Robert Prutz
vor, das seiner Zeit einiges Aufsehen erregt und 1844 von der Berliner Hof-
bühne durch Königlichen Befehl nach einmaliger Aufführung entfernt worden
ist. Es sollte in der Vorführung des Markgrafen Albrecht Alcibiades als
eines Angehörigen der preußischen Herrscherfamilie ein Anstoß gefunden wor¬
den sein. Seltsamer wie dies seltsame Gebahren des Berliner Hofes klingt
uns das Anerbieten des Dichters, diese anstößige Figur aus seinem Drama
zu streichen: geholfen hat es ihm nichts. Wie es sich nun auch damit ver¬
halten mag, der innere Werth des Stückes ist doch nur ein geringer! Ja, es
kostet jedem einige Ueberwindung, die vagen und phrasenhaften Declamationen
des Stückes nur ruhig durchzulesen. Welche geistige Kluft uns von der vor¬
märzlichen Literatur trennt, wird aus einem derartigen Leseversuche ersichtlich.
Eine Gemeinschaft zwischen -Prutz und Kruse besteht nicht: aus anderer Wurzel
ist Kruse's Drama hervorgewachsen.

Kruse steht auf dem Boden der Resultate der neueren historischen Wissen¬
schaft. Er gestaltet im wesentlichen diejenige Auffassung des historischen Mo¬
ritz zu dichterischem Gebilde, welche den Lesern dieser Blätter aus Ur. öl
(1872) bekannt ist. Wie lebensvoller, wie plastischer aber ist dieser historisch¬
poetische Moritz, als es der rein historische ist und jemals werden kann!

Die erste Einführung des Helden, die ganze Exposition im ersten Akte



*) Erst neulich haben wir eine Besprechung zehn verschiedener dramatischer Moritze, unter
welchen derjenige des Recensenten der naturgetreueste sein sollte, zurückgesendet. AberRomiua
D. Red. sullt oaiosa.

tige rücksichtslose Ehrgeiz, der nach politischer Macht und Bedeutung hin¬
strebt, und die zähe und nachhaltige Behauptung und Vertheidigung des pro¬
testantischen Principes. Man braucht diese von dem Historiker gegebenen
Daten nur zu nehmen, die Werkstücke in einander zu fügen, — und ein
Held des historischen Drama, wie es effeetvollere wenige giebt, steht da!-

„Eine Natur, deren Gleichen wir in Deutschland nicht finden; einen
Menschen von Fleisch und Blut" hat Ranke ihn genannt und sein Wesen
in so meisterhafter Weise charakterifirt, daß alle späteren Schilderungen nur
wie bloße Abbilder des unerreichten Urbildes aussehen. Wie überhaupt in den
historischen Portraits, welche Ranke's Meisterhand gezeichnet und colorire hat,
eine noch unerschöpfte Fülle historischer Dramen enthalten sein dürfte, so ist
auch der Keim des hier vorliegenden Trauerspieles im eingehenden Studium
Ranke'scher Geschichtsschreibung zu suchen. Und das dürfen wir hier bezeu¬
gen, „Fleisch und Blut" jener vergangenen Zeiten leben bei Kruse wieder
auf zu wirklichem Leben. Er ist tief in das Verständniß jener Zeit eingedrungen:
in Großem und Kleinem bekundet sich der historische Sinn des Dramatikers.

Ob „Moritz von Sachsen" schon oft und in welcher Weise dramatisch
bearbeitet gewesen, — ich besitze nicht genug literarische Kenntnisse, dies zu
beantworten.*) Mir liegt zum Vergleiche allein das Stück von Robert Prutz
vor, das seiner Zeit einiges Aufsehen erregt und 1844 von der Berliner Hof-
bühne durch Königlichen Befehl nach einmaliger Aufführung entfernt worden
ist. Es sollte in der Vorführung des Markgrafen Albrecht Alcibiades als
eines Angehörigen der preußischen Herrscherfamilie ein Anstoß gefunden wor¬
den sein. Seltsamer wie dies seltsame Gebahren des Berliner Hofes klingt
uns das Anerbieten des Dichters, diese anstößige Figur aus seinem Drama
zu streichen: geholfen hat es ihm nichts. Wie es sich nun auch damit ver¬
halten mag, der innere Werth des Stückes ist doch nur ein geringer! Ja, es
kostet jedem einige Ueberwindung, die vagen und phrasenhaften Declamationen
des Stückes nur ruhig durchzulesen. Welche geistige Kluft uns von der vor¬
märzlichen Literatur trennt, wird aus einem derartigen Leseversuche ersichtlich.
Eine Gemeinschaft zwischen -Prutz und Kruse besteht nicht: aus anderer Wurzel
ist Kruse's Drama hervorgewachsen.

Kruse steht auf dem Boden der Resultate der neueren historischen Wissen¬
schaft. Er gestaltet im wesentlichen diejenige Auffassung des historischen Mo¬
ritz zu dichterischem Gebilde, welche den Lesern dieser Blätter aus Ur. öl
(1872) bekannt ist. Wie lebensvoller, wie plastischer aber ist dieser historisch¬
poetische Moritz, als es der rein historische ist und jemals werden kann!

Die erste Einführung des Helden, die ganze Exposition im ersten Akte



*) Erst neulich haben wir eine Besprechung zehn verschiedener dramatischer Moritze, unter
welchen derjenige des Recensenten der naturgetreueste sein sollte, zurückgesendet. AberRomiua
D. Red. sullt oaiosa.
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[0053] tige rücksichtslose Ehrgeiz, der nach politischer Macht und Bedeutung hin¬ strebt, und die zähe und nachhaltige Behauptung und Vertheidigung des pro¬ testantischen Principes. Man braucht diese von dem Historiker gegebenen Daten nur zu nehmen, die Werkstücke in einander zu fügen, — und ein Held des historischen Drama, wie es effeetvollere wenige giebt, steht da!- „Eine Natur, deren Gleichen wir in Deutschland nicht finden; einen Menschen von Fleisch und Blut" hat Ranke ihn genannt und sein Wesen in so meisterhafter Weise charakterifirt, daß alle späteren Schilderungen nur wie bloße Abbilder des unerreichten Urbildes aussehen. Wie überhaupt in den historischen Portraits, welche Ranke's Meisterhand gezeichnet und colorire hat, eine noch unerschöpfte Fülle historischer Dramen enthalten sein dürfte, so ist auch der Keim des hier vorliegenden Trauerspieles im eingehenden Studium Ranke'scher Geschichtsschreibung zu suchen. Und das dürfen wir hier bezeu¬ gen, „Fleisch und Blut" jener vergangenen Zeiten leben bei Kruse wieder auf zu wirklichem Leben. Er ist tief in das Verständniß jener Zeit eingedrungen: in Großem und Kleinem bekundet sich der historische Sinn des Dramatikers. Ob „Moritz von Sachsen" schon oft und in welcher Weise dramatisch bearbeitet gewesen, — ich besitze nicht genug literarische Kenntnisse, dies zu beantworten.*) Mir liegt zum Vergleiche allein das Stück von Robert Prutz vor, das seiner Zeit einiges Aufsehen erregt und 1844 von der Berliner Hof- bühne durch Königlichen Befehl nach einmaliger Aufführung entfernt worden ist. Es sollte in der Vorführung des Markgrafen Albrecht Alcibiades als eines Angehörigen der preußischen Herrscherfamilie ein Anstoß gefunden wor¬ den sein. Seltsamer wie dies seltsame Gebahren des Berliner Hofes klingt uns das Anerbieten des Dichters, diese anstößige Figur aus seinem Drama zu streichen: geholfen hat es ihm nichts. Wie es sich nun auch damit ver¬ halten mag, der innere Werth des Stückes ist doch nur ein geringer! Ja, es kostet jedem einige Ueberwindung, die vagen und phrasenhaften Declamationen des Stückes nur ruhig durchzulesen. Welche geistige Kluft uns von der vor¬ märzlichen Literatur trennt, wird aus einem derartigen Leseversuche ersichtlich. Eine Gemeinschaft zwischen -Prutz und Kruse besteht nicht: aus anderer Wurzel ist Kruse's Drama hervorgewachsen. Kruse steht auf dem Boden der Resultate der neueren historischen Wissen¬ schaft. Er gestaltet im wesentlichen diejenige Auffassung des historischen Mo¬ ritz zu dichterischem Gebilde, welche den Lesern dieser Blätter aus Ur. öl (1872) bekannt ist. Wie lebensvoller, wie plastischer aber ist dieser historisch¬ poetische Moritz, als es der rein historische ist und jemals werden kann! Die erste Einführung des Helden, die ganze Exposition im ersten Akte *) Erst neulich haben wir eine Besprechung zehn verschiedener dramatischer Moritze, unter welchen derjenige des Recensenten der naturgetreueste sein sollte, zurückgesendet. AberRomiua D. Red. sullt oaiosa.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/53>, abgerufen am 25.08.2024.