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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Weßhalb? Einmal ist jene Zeit gegenüber den früheren Perioden dadurch im
Vortheil, daß uns ein reiches Detail aller äußerlichen Dinge, die Gewohnheit
und Art des täglichen Lebens in ihr hinlänglich bekannt ist. Sodann aber
ist das Leben jener Zeit von dem großen Principienstreite auf religiösem Ge¬
biete, von dem Gegensatze modernen und mittelalterlichen Denkens und Füh-
lens überall erfüllt. Eine Saite, die auch in unserer Seele immer wieder an¬
klingt, verflicht sich mit allen und jeden Erscheinungen jener Zeit. Darin
wurzelt unser Mitempfinden und Mitleiden mit diesen vergangenen Menschen.

Und wie nun unter den Fürsten und Figuren des öffentlichen Lebens
von Deutschland in jenem Jahrhundert Moritz von Sachsen eine ganz eigen
geartete Erscheinung in der Geschichte selbst ist, so hat er gerade vieles an
sich, was einen historischen Dichter zu dramatischem Versuche reizen muß.
Das historische Problem, ihn zu ergründen, hat mich vielfach beschäftigt.
Dem Historiker ist es versagt, auf Vermuthungen, auf eigene Combinationen
ein historisches Urtheil zu stützen; und dem historischen Moritz ganz und
definitiv beizukommen, wird bei der Lage der Dinge kaum möglich sein. Ich
erinnere an die Charakteristik, die ich vor Kurzem in diesen Blättern gegeben.
Dem Historiker fehlt in der Kette von Moritz' Unternehmungen das letzte
Glied: was Moritz nach dem Passauer Vertrage, was er 1553 erstrebt und
gewollt, ist ein Räthsel, für das eine Lösung herbeizuschaffen mir geradezu
unmöglich aussieht. Damit ist uns Historikern aber die Basis für unser
Schlußurtheil entzogen. Die letzten Ziele seines Lebens hüllen sich für uns
in Dunkel ein. Da -- ich leugne es nicht -- habe ich oft den Wunsch und
das Verlangen gehabt, ein Dichter möge dies Dunkel uns erhellen; ein Dich¬
ter möge diese so dramatische Figur aus recht eingehendem historischem Stu¬
dium auffassen, die bekannten historischen Momente und Motive seiner Action
recht tief und energisch auf sich wirken lassen und dann mit dichterischem
Geiste das Fehlende ergänzen und zu einem historisch-poetischen Ganzen gestalten.

Wie vieles ist doch in der Geschichte schon enthalten, das Anstoß und
Material zu dramatischem Dichtwerke gleichsam darbietet! Ein großer politi¬
scher Zug, eine Mannigfaltigkeit politischer Handlung, von einem Gedanken
beseelt und in innerer Einheit zusammengehalten; eine persönliche Meister¬
schaft und Überlegenheit des Helden über seine Umgebung und seine Ge¬
nossen: große Erfolge im Leben, durch einen plötzlichen frühen Niedergang
vor der Reife abgeschnitten und vereitelt. Dazu kommt die warme lebendige
persönliche Art des Helden, der Gegensatz des politischen Rechenmeisters zu
dem leichtfertigen Sausewind, -- dieser Gegensatz in einer und derselben Per¬
sönlichkeit eines schönen, ritterlichen Jünglings. Und sieht man auf das po¬
litische hin, so treten die beiden Züge des politischen Charakters hervor, die
gerade in ihrer Verbindung zu dichterischer Verwerthung sich eignen: der hef-


Weßhalb? Einmal ist jene Zeit gegenüber den früheren Perioden dadurch im
Vortheil, daß uns ein reiches Detail aller äußerlichen Dinge, die Gewohnheit
und Art des täglichen Lebens in ihr hinlänglich bekannt ist. Sodann aber
ist das Leben jener Zeit von dem großen Principienstreite auf religiösem Ge¬
biete, von dem Gegensatze modernen und mittelalterlichen Denkens und Füh-
lens überall erfüllt. Eine Saite, die auch in unserer Seele immer wieder an¬
klingt, verflicht sich mit allen und jeden Erscheinungen jener Zeit. Darin
wurzelt unser Mitempfinden und Mitleiden mit diesen vergangenen Menschen.

Und wie nun unter den Fürsten und Figuren des öffentlichen Lebens
von Deutschland in jenem Jahrhundert Moritz von Sachsen eine ganz eigen
geartete Erscheinung in der Geschichte selbst ist, so hat er gerade vieles an
sich, was einen historischen Dichter zu dramatischem Versuche reizen muß.
Das historische Problem, ihn zu ergründen, hat mich vielfach beschäftigt.
Dem Historiker ist es versagt, auf Vermuthungen, auf eigene Combinationen
ein historisches Urtheil zu stützen; und dem historischen Moritz ganz und
definitiv beizukommen, wird bei der Lage der Dinge kaum möglich sein. Ich
erinnere an die Charakteristik, die ich vor Kurzem in diesen Blättern gegeben.
Dem Historiker fehlt in der Kette von Moritz' Unternehmungen das letzte
Glied: was Moritz nach dem Passauer Vertrage, was er 1553 erstrebt und
gewollt, ist ein Räthsel, für das eine Lösung herbeizuschaffen mir geradezu
unmöglich aussieht. Damit ist uns Historikern aber die Basis für unser
Schlußurtheil entzogen. Die letzten Ziele seines Lebens hüllen sich für uns
in Dunkel ein. Da — ich leugne es nicht — habe ich oft den Wunsch und
das Verlangen gehabt, ein Dichter möge dies Dunkel uns erhellen; ein Dich¬
ter möge diese so dramatische Figur aus recht eingehendem historischem Stu¬
dium auffassen, die bekannten historischen Momente und Motive seiner Action
recht tief und energisch auf sich wirken lassen und dann mit dichterischem
Geiste das Fehlende ergänzen und zu einem historisch-poetischen Ganzen gestalten.

Wie vieles ist doch in der Geschichte schon enthalten, das Anstoß und
Material zu dramatischem Dichtwerke gleichsam darbietet! Ein großer politi¬
scher Zug, eine Mannigfaltigkeit politischer Handlung, von einem Gedanken
beseelt und in innerer Einheit zusammengehalten; eine persönliche Meister¬
schaft und Überlegenheit des Helden über seine Umgebung und seine Ge¬
nossen: große Erfolge im Leben, durch einen plötzlichen frühen Niedergang
vor der Reife abgeschnitten und vereitelt. Dazu kommt die warme lebendige
persönliche Art des Helden, der Gegensatz des politischen Rechenmeisters zu
dem leichtfertigen Sausewind, — dieser Gegensatz in einer und derselben Per¬
sönlichkeit eines schönen, ritterlichen Jünglings. Und sieht man auf das po¬
litische hin, so treten die beiden Züge des politischen Charakters hervor, die
gerade in ihrer Verbindung zu dichterischer Verwerthung sich eignen: der hef-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/52>, abgerufen am 24.08.2024.