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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Die conservative Republik in Frankreich und die nationale Monarchie
in Italien haben zwischen dem Gegensatz, der das Leben ihrer Nationen be¬
herrscht, einen schweren Stand. Wie soll die conservative Republik auf die
Dauer mit der Kirche in Frieden bleiben, ohne ihr zu dienen? ' Wie soll sie
dem fantastischen Beginnen der radicalen Republik wehren und doch ihre
Selbständigkeit gegen den Ultramontanismus behaupten? Dieselbe schwere
Frage ist der nationalen Monarchie in Italien gestellt.'

Ueberhoben ist dieser Frage nur der aus dem geistigen Boden des Protestan¬
tismus erwachsene Staat. Der Protestantismus hat die Völker, die ihn
aufgenommen haben, gelehrt, die sittliche Rettung weder von der äußeren
Wundernacht einer Kirche, noch von einem fantastischen Staatsexperiment zu
erwarten, sondern von der eigenen Arbeit im inneren Selbst, von der Rein¬
haltung der Staatsinstitutionen und ihrer gewissenhaften Behandlung, sei es
in Gehorsam, sei es in der Kritik.

Der Protestantismus ist es auch, der die abweichende, ja M entgegen¬
gesetzte Eigenthümlichkeit im eigenen Staatsinnern, wie von dem fremden Staate
ertragen und selbst pflegen lehrt, vorausgesetzt nur, daß sie gegen ihn nicht
die Waffen der Unterdrückung schmiedet. Die protestantische Universalität er¬
trägt und umfaßt die Mannigfaltigkeit der Geistesgestalten, die katholische
Universalität saugt diese Mannigfaltigkeit überall gleichmäßig auf. Sie be¬
günstigt überall den Föderalismus, die staatliche Zersplitterung, weil dies der
Staat in seiner Schwäche und Widerstandslosigkeit ist. Zur gelegenen Zeit
bedient sie sich zwar gern der großen weltlichen Apparate. Aber dieses Ver¬
hältniß bleibt ein Kriegszustand, wie das Verhältniß des Papstthums zu
Karl V. und seinen Nachfolgern und nicht minder zu Frankreichs allerchrist-
lichsten Königen zeigt, selbst dann, wenn die Minister dieser Könige Cardi¬
näle waren.

Ebenso wie das Papstthum liebt es die romanische Republik, sich als die
Sonne unter kleinen Planeten zu sehen.

Aus dem Gesagten ergiebt sich die große Bedeutung der kirchlichen Frage
für das deutsche Reich, und die doppelte Aufgabe desselben: dem Ultramon¬
tanismus die Macht der Gewissenserstickung zu entwinden, und dem Prote¬
stantismus die Lebenskraft wiederzugeben, die ihn in den Stand setzt zu ver¬
hüten, daß das moderne Leben bei seiner Vielgeschäftigkeit im Erwerben und
Erforschen den Quell alles geistigen Schaffens versiegen lasse.


Constantin Rößler.


Mit Ur. 14 beginnt diese Zeitschrift ein ne"es Quartal, welches
durch alle Buchhandlungen und Postämter des In- und Auslandes
zu beziehen ist.
Privatpersonen, gesellige Vereine, Lesegesellsckaften,
Kaffeehäuser und Conditoreien werden um gefällige Berücksichtigung
derselben freundlichst gebeten.
Leipzig, März 1873. Die Verlagshandlung.




Verantwortlicher Redacteur: Dr, Haus Blum.
Verlag von F. L. Herbig. -- Druck von Hitthcl K Legler in Leipzig.

Die conservative Republik in Frankreich und die nationale Monarchie
in Italien haben zwischen dem Gegensatz, der das Leben ihrer Nationen be¬
herrscht, einen schweren Stand. Wie soll die conservative Republik auf die
Dauer mit der Kirche in Frieden bleiben, ohne ihr zu dienen? ' Wie soll sie
dem fantastischen Beginnen der radicalen Republik wehren und doch ihre
Selbständigkeit gegen den Ultramontanismus behaupten? Dieselbe schwere
Frage ist der nationalen Monarchie in Italien gestellt.'

Ueberhoben ist dieser Frage nur der aus dem geistigen Boden des Protestan¬
tismus erwachsene Staat. Der Protestantismus hat die Völker, die ihn
aufgenommen haben, gelehrt, die sittliche Rettung weder von der äußeren
Wundernacht einer Kirche, noch von einem fantastischen Staatsexperiment zu
erwarten, sondern von der eigenen Arbeit im inneren Selbst, von der Rein¬
haltung der Staatsinstitutionen und ihrer gewissenhaften Behandlung, sei es
in Gehorsam, sei es in der Kritik.

Der Protestantismus ist es auch, der die abweichende, ja M entgegen¬
gesetzte Eigenthümlichkeit im eigenen Staatsinnern, wie von dem fremden Staate
ertragen und selbst pflegen lehrt, vorausgesetzt nur, daß sie gegen ihn nicht
die Waffen der Unterdrückung schmiedet. Die protestantische Universalität er¬
trägt und umfaßt die Mannigfaltigkeit der Geistesgestalten, die katholische
Universalität saugt diese Mannigfaltigkeit überall gleichmäßig auf. Sie be¬
günstigt überall den Föderalismus, die staatliche Zersplitterung, weil dies der
Staat in seiner Schwäche und Widerstandslosigkeit ist. Zur gelegenen Zeit
bedient sie sich zwar gern der großen weltlichen Apparate. Aber dieses Ver¬
hältniß bleibt ein Kriegszustand, wie das Verhältniß des Papstthums zu
Karl V. und seinen Nachfolgern und nicht minder zu Frankreichs allerchrist-
lichsten Königen zeigt, selbst dann, wenn die Minister dieser Könige Cardi¬
näle waren.

Ebenso wie das Papstthum liebt es die romanische Republik, sich als die
Sonne unter kleinen Planeten zu sehen.

Aus dem Gesagten ergiebt sich die große Bedeutung der kirchlichen Frage
für das deutsche Reich, und die doppelte Aufgabe desselben: dem Ultramon¬
tanismus die Macht der Gewissenserstickung zu entwinden, und dem Prote¬
stantismus die Lebenskraft wiederzugeben, die ihn in den Stand setzt zu ver¬
hüten, daß das moderne Leben bei seiner Vielgeschäftigkeit im Erwerben und
Erforschen den Quell alles geistigen Schaffens versiegen lasse.


Constantin Rößler.


Mit Ur. 14 beginnt diese Zeitschrift ein ne«es Quartal, welches
durch alle Buchhandlungen und Postämter des In- und Auslandes
zu beziehen ist.
Privatpersonen, gesellige Vereine, Lesegesellsckaften,
Kaffeehäuser und Conditoreien werden um gefällige Berücksichtigung
derselben freundlichst gebeten.
Leipzig, März 1873. Die Verlagshandlung.




Verantwortlicher Redacteur: Dr, Haus Blum.
Verlag von F. L. Herbig. — Druck von Hitthcl K Legler in Leipzig.
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[0528] Die conservative Republik in Frankreich und die nationale Monarchie in Italien haben zwischen dem Gegensatz, der das Leben ihrer Nationen be¬ herrscht, einen schweren Stand. Wie soll die conservative Republik auf die Dauer mit der Kirche in Frieden bleiben, ohne ihr zu dienen? ' Wie soll sie dem fantastischen Beginnen der radicalen Republik wehren und doch ihre Selbständigkeit gegen den Ultramontanismus behaupten? Dieselbe schwere Frage ist der nationalen Monarchie in Italien gestellt.' Ueberhoben ist dieser Frage nur der aus dem geistigen Boden des Protestan¬ tismus erwachsene Staat. Der Protestantismus hat die Völker, die ihn aufgenommen haben, gelehrt, die sittliche Rettung weder von der äußeren Wundernacht einer Kirche, noch von einem fantastischen Staatsexperiment zu erwarten, sondern von der eigenen Arbeit im inneren Selbst, von der Rein¬ haltung der Staatsinstitutionen und ihrer gewissenhaften Behandlung, sei es in Gehorsam, sei es in der Kritik. Der Protestantismus ist es auch, der die abweichende, ja M entgegen¬ gesetzte Eigenthümlichkeit im eigenen Staatsinnern, wie von dem fremden Staate ertragen und selbst pflegen lehrt, vorausgesetzt nur, daß sie gegen ihn nicht die Waffen der Unterdrückung schmiedet. Die protestantische Universalität er¬ trägt und umfaßt die Mannigfaltigkeit der Geistesgestalten, die katholische Universalität saugt diese Mannigfaltigkeit überall gleichmäßig auf. Sie be¬ günstigt überall den Föderalismus, die staatliche Zersplitterung, weil dies der Staat in seiner Schwäche und Widerstandslosigkeit ist. Zur gelegenen Zeit bedient sie sich zwar gern der großen weltlichen Apparate. Aber dieses Ver¬ hältniß bleibt ein Kriegszustand, wie das Verhältniß des Papstthums zu Karl V. und seinen Nachfolgern und nicht minder zu Frankreichs allerchrist- lichsten Königen zeigt, selbst dann, wenn die Minister dieser Könige Cardi¬ näle waren. Ebenso wie das Papstthum liebt es die romanische Republik, sich als die Sonne unter kleinen Planeten zu sehen. Aus dem Gesagten ergiebt sich die große Bedeutung der kirchlichen Frage für das deutsche Reich, und die doppelte Aufgabe desselben: dem Ultramon¬ tanismus die Macht der Gewissenserstickung zu entwinden, und dem Prote¬ stantismus die Lebenskraft wiederzugeben, die ihn in den Stand setzt zu ver¬ hüten, daß das moderne Leben bei seiner Vielgeschäftigkeit im Erwerben und Erforschen den Quell alles geistigen Schaffens versiegen lasse. Constantin Rößler. Mit Ur. 14 beginnt diese Zeitschrift ein ne«es Quartal, welches durch alle Buchhandlungen und Postämter des In- und Auslandes zu beziehen ist. Privatpersonen, gesellige Vereine, Lesegesellsckaften, Kaffeehäuser und Conditoreien werden um gefällige Berücksichtigung derselben freundlichst gebeten. Leipzig, März 1873. Die Verlagshandlung. Verantwortlicher Redacteur: Dr, Haus Blum. Verlag von F. L. Herbig. — Druck von Hitthcl K Legler in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/528>, abgerufen am 24.08.2024.