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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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nationalen Ausdehnung und Beschränkung des deutschen Zollvereins be¬
standen. Heterogene Elemente hat Preußen der deutschen Zolleinheit stets
nachdrücklich fern gehalten. Kaum ein Nachbarstaat hat Deutschland auf dem
Wege nach der Handelseinheit perfider gestört, als der kleinliche Krämergeist
Niederlands. Wenn Deutschland unsere Missethaten auf diesem Gebiete auch
vielleicht längst vergessen hat, so sorgen doch Männer wie Treitschke dafür --
in seiner Abhandlung über "die Anfänge des deutschen Zollvereins" in den
Preußischen Jahrbüchern -- daß sie den Gebildeten im Gedächtniß beharren.
Und am wenigsten können wir bei der preußischen Regierung ein Vergessen
der unholden Strebungen unsrer Sonderpolitik, oder einen Bruch mit der
streng nationalen Begrenzung des deutschen Zollvereins erwarten. Bei
einer Handelseinheit mit Deutschland müßte unser Einnahmebudget aus den
Zöllen und Verbrauchssteuern in Berlin im Reichsbudget festgestellt werden.
Die Abgeordneten von Amsterdam und Utrecht müßten Sitz und Stimme im
deutschen Reichstag erhalten, da auf diesen die Befugnisse des deutschen Zoll¬
parlaments übergegangen sind. Deutsche Truppen, vielleicht auch einmal ver¬
heiratete Landwehrleute, müßten sich an der Seite des Auswurfs von Europa
in unsern Coloniallegionen, für die Erhaltung unsres Kolonialbesitzes schla¬
gen. Ungeheuerliche Consequenzen nach allen Seiten!

Nein, die Niederländer, welche es mit ihrem Lande ehrlich meinen, werden
den Segen der Toegel'schen Schrift gerade da suchen, wo sie die Schwärmer
unter uns am schmerzlichsten trifft: in dem Nachweis der Widerstandsunfähig-
kett unsres Landes im großen Kriege. Sie werden daraus die Lehre schöpfen,
daß die höchsten Aufgaben unsres Gemeinwesens anderswo liegen als in der
Vergeudung von Millionen für eine klägliche Scheingröße im Frieden und
Kriege. Wir reden durchaus nicht einer weichlichen Wehrlosmachung unsres
Landes das Wort. Aber die Ernüchterung, den Verzicht auf längst hinfällige
Prätensionen, die energische Bewältigung der Fülle von Pflichten und Kul¬
turaufgaben, welche uns die Gegenwart darbietet, statt der romantischen
Träume einer verklungenen großen Vergangenheit: das ist die Lehre, welche
uns derartige Schriften predigen. Möge sie bald beherzigt werden!




Dom deutschen Aeichstag und vom preußischen Landtag.

Der Reichstag hat in dieser Woche, nachdem er in der vergangenen, was
kaum der Erwähnung bedarf, sein früheres Präsidium wiedererwählt, begreif¬
licher Weise nur erste Lesungen vorgenommen. Da diese Lesungen nur vorbe-


nationalen Ausdehnung und Beschränkung des deutschen Zollvereins be¬
standen. Heterogene Elemente hat Preußen der deutschen Zolleinheit stets
nachdrücklich fern gehalten. Kaum ein Nachbarstaat hat Deutschland auf dem
Wege nach der Handelseinheit perfider gestört, als der kleinliche Krämergeist
Niederlands. Wenn Deutschland unsere Missethaten auf diesem Gebiete auch
vielleicht längst vergessen hat, so sorgen doch Männer wie Treitschke dafür —
in seiner Abhandlung über „die Anfänge des deutschen Zollvereins" in den
Preußischen Jahrbüchern — daß sie den Gebildeten im Gedächtniß beharren.
Und am wenigsten können wir bei der preußischen Regierung ein Vergessen
der unholden Strebungen unsrer Sonderpolitik, oder einen Bruch mit der
streng nationalen Begrenzung des deutschen Zollvereins erwarten. Bei
einer Handelseinheit mit Deutschland müßte unser Einnahmebudget aus den
Zöllen und Verbrauchssteuern in Berlin im Reichsbudget festgestellt werden.
Die Abgeordneten von Amsterdam und Utrecht müßten Sitz und Stimme im
deutschen Reichstag erhalten, da auf diesen die Befugnisse des deutschen Zoll¬
parlaments übergegangen sind. Deutsche Truppen, vielleicht auch einmal ver¬
heiratete Landwehrleute, müßten sich an der Seite des Auswurfs von Europa
in unsern Coloniallegionen, für die Erhaltung unsres Kolonialbesitzes schla¬
gen. Ungeheuerliche Consequenzen nach allen Seiten!

Nein, die Niederländer, welche es mit ihrem Lande ehrlich meinen, werden
den Segen der Toegel'schen Schrift gerade da suchen, wo sie die Schwärmer
unter uns am schmerzlichsten trifft: in dem Nachweis der Widerstandsunfähig-
kett unsres Landes im großen Kriege. Sie werden daraus die Lehre schöpfen,
daß die höchsten Aufgaben unsres Gemeinwesens anderswo liegen als in der
Vergeudung von Millionen für eine klägliche Scheingröße im Frieden und
Kriege. Wir reden durchaus nicht einer weichlichen Wehrlosmachung unsres
Landes das Wort. Aber die Ernüchterung, den Verzicht auf längst hinfällige
Prätensionen, die energische Bewältigung der Fülle von Pflichten und Kul¬
turaufgaben, welche uns die Gegenwart darbietet, statt der romantischen
Träume einer verklungenen großen Vergangenheit: das ist die Lehre, welche
uns derartige Schriften predigen. Möge sie bald beherzigt werden!




Dom deutschen Aeichstag und vom preußischen Landtag.

Der Reichstag hat in dieser Woche, nachdem er in der vergangenen, was
kaum der Erwähnung bedarf, sein früheres Präsidium wiedererwählt, begreif¬
licher Weise nur erste Lesungen vorgenommen. Da diese Lesungen nur vorbe-


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[0519] nationalen Ausdehnung und Beschränkung des deutschen Zollvereins be¬ standen. Heterogene Elemente hat Preußen der deutschen Zolleinheit stets nachdrücklich fern gehalten. Kaum ein Nachbarstaat hat Deutschland auf dem Wege nach der Handelseinheit perfider gestört, als der kleinliche Krämergeist Niederlands. Wenn Deutschland unsere Missethaten auf diesem Gebiete auch vielleicht längst vergessen hat, so sorgen doch Männer wie Treitschke dafür — in seiner Abhandlung über „die Anfänge des deutschen Zollvereins" in den Preußischen Jahrbüchern — daß sie den Gebildeten im Gedächtniß beharren. Und am wenigsten können wir bei der preußischen Regierung ein Vergessen der unholden Strebungen unsrer Sonderpolitik, oder einen Bruch mit der streng nationalen Begrenzung des deutschen Zollvereins erwarten. Bei einer Handelseinheit mit Deutschland müßte unser Einnahmebudget aus den Zöllen und Verbrauchssteuern in Berlin im Reichsbudget festgestellt werden. Die Abgeordneten von Amsterdam und Utrecht müßten Sitz und Stimme im deutschen Reichstag erhalten, da auf diesen die Befugnisse des deutschen Zoll¬ parlaments übergegangen sind. Deutsche Truppen, vielleicht auch einmal ver¬ heiratete Landwehrleute, müßten sich an der Seite des Auswurfs von Europa in unsern Coloniallegionen, für die Erhaltung unsres Kolonialbesitzes schla¬ gen. Ungeheuerliche Consequenzen nach allen Seiten! Nein, die Niederländer, welche es mit ihrem Lande ehrlich meinen, werden den Segen der Toegel'schen Schrift gerade da suchen, wo sie die Schwärmer unter uns am schmerzlichsten trifft: in dem Nachweis der Widerstandsunfähig- kett unsres Landes im großen Kriege. Sie werden daraus die Lehre schöpfen, daß die höchsten Aufgaben unsres Gemeinwesens anderswo liegen als in der Vergeudung von Millionen für eine klägliche Scheingröße im Frieden und Kriege. Wir reden durchaus nicht einer weichlichen Wehrlosmachung unsres Landes das Wort. Aber die Ernüchterung, den Verzicht auf längst hinfällige Prätensionen, die energische Bewältigung der Fülle von Pflichten und Kul¬ turaufgaben, welche uns die Gegenwart darbietet, statt der romantischen Träume einer verklungenen großen Vergangenheit: das ist die Lehre, welche uns derartige Schriften predigen. Möge sie bald beherzigt werden! Dom deutschen Aeichstag und vom preußischen Landtag. Der Reichstag hat in dieser Woche, nachdem er in der vergangenen, was kaum der Erwähnung bedarf, sein früheres Präsidium wiedererwählt, begreif¬ licher Weise nur erste Lesungen vorgenommen. Da diese Lesungen nur vorbe-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/519>, abgerufen am 24.08.2024.