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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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durch einen vollständigen Zollanschluß an Deutschland zu bieten. Uns ge¬
währe dieses Verhältniß die wichtigsten Vortheile für unsern Colonialhandel
und Colonialbesitz, welchem letzteren Dr. Toegel für den Fall unsrer Han-
delseinheit mit Deutschland sogar den Schutz deutscher Waffen in Aussicht
stellt. Und die scheinbare Einbuße an Souveränetät, welche dieses Verhältniß
uns auferlege, sei von den deutschen Kronen vor Gründung des deutschen
Reiches auch gebracht und verwunden worden. Der Grund aller dieser selt¬
samen Vorschläge ist am Schlüsse der Schrift wiederholt ausgesprochen: "Deutsch¬
land kann nicht zum zweiten Mal die Gefahr laufen, einen feindlichen Bru¬
derstamm in seinem Rücken zu haben, wenn seine Heere gezwungen werden,
sich in den Vogesen zu sammeln."

Will man diesen Grund gelten lassen, so müßte Deutschland auch von
dem "Bruderstamm" im Südosten d. h. von Oestreich und von den Stammes¬
vettern im skandinavischen Norden "Garantieen" zu fordern berechtigt sein,
welche die Wiederkehr der bet Ausbruch des letzten Krieges überall gegen
Deutschland gerichteten kriegsfröhlichen Anschläge ausschließen. Wohin würde
das aber führen? Einfach zu einer europäischen Coalition gegen Deutschland,
die durch jene "Garantieen" gerade ausgeschlossen werden soll. In dieser
Richtung auch hat sich, wenn wir recht urtheilen, noch niemals die Politik
Ihres Kanzlers bewegt. Die Garantieen für die friedliche Zurückhaltung der
Mindermächtigen in einem Kriege Deutschlands gegen Frankreich scheint uns
die Kunst seiner Politik vielmehr zu bieten in der gesammelten Kraft Deutsch¬
lands und dann in der stets mit großem Geschick erreichten moralischen und
diplomatischen Jsolirung seines Gegners. Die in der schätzbaren Schrift
Toegels für die Neutralität Niederlands empfohlene Garantie einer Zolleini¬
gung mit Deutschland leidet dagegen durchaus an dem Fehler der Unaus-
führbarkeit. Unsrer Empfindung wäre ein solcher Schritt gleichbedeutend mit
unsrer Mediatisirung. Wenn die deutschen Königreiche sich aus bitterer Noth¬
wendigkeit und aus Rücksichten für die Partieularsinanzen -- keineswegs aus
Nationalgefühl -- schließlich in die unbarmherzige Logik der deutschen Zoll¬
einheit fügen mußten, so sind unsere Verhältnisse denn doch himmelweit ver¬
schieden. Die Vortheile, die eine Zolleinigung mit Deutschland bieten könnte,
würden, bei der Stimmung des Landes, noch lieber in einer Handelseinheit
mit Frankreich und selbst England gesucht werden. Uns ist das gemeinsame
Stammesbewußtsein in vierhundertjähriger Trennung vom deutschen Reiche
verloren gegangen. Die Zeiten der Trennung füllen die stolzesten Blätter
unsrer Geschichte. Und wenn selbst der Altniederländer jemals sich dazu ver¬
stände, mit Deutschland auf Gedeih und Verderb Maskopei zu schließen:
könnte Deutschland jemals dazu die Hand bieten? Die größte Weisheit und
die größte Stärke der preußischen Handelspolitik hat von Anfang an in der


durch einen vollständigen Zollanschluß an Deutschland zu bieten. Uns ge¬
währe dieses Verhältniß die wichtigsten Vortheile für unsern Colonialhandel
und Colonialbesitz, welchem letzteren Dr. Toegel für den Fall unsrer Han-
delseinheit mit Deutschland sogar den Schutz deutscher Waffen in Aussicht
stellt. Und die scheinbare Einbuße an Souveränetät, welche dieses Verhältniß
uns auferlege, sei von den deutschen Kronen vor Gründung des deutschen
Reiches auch gebracht und verwunden worden. Der Grund aller dieser selt¬
samen Vorschläge ist am Schlüsse der Schrift wiederholt ausgesprochen: „Deutsch¬
land kann nicht zum zweiten Mal die Gefahr laufen, einen feindlichen Bru¬
derstamm in seinem Rücken zu haben, wenn seine Heere gezwungen werden,
sich in den Vogesen zu sammeln."

Will man diesen Grund gelten lassen, so müßte Deutschland auch von
dem „Bruderstamm" im Südosten d. h. von Oestreich und von den Stammes¬
vettern im skandinavischen Norden „Garantieen" zu fordern berechtigt sein,
welche die Wiederkehr der bet Ausbruch des letzten Krieges überall gegen
Deutschland gerichteten kriegsfröhlichen Anschläge ausschließen. Wohin würde
das aber führen? Einfach zu einer europäischen Coalition gegen Deutschland,
die durch jene „Garantieen" gerade ausgeschlossen werden soll. In dieser
Richtung auch hat sich, wenn wir recht urtheilen, noch niemals die Politik
Ihres Kanzlers bewegt. Die Garantieen für die friedliche Zurückhaltung der
Mindermächtigen in einem Kriege Deutschlands gegen Frankreich scheint uns
die Kunst seiner Politik vielmehr zu bieten in der gesammelten Kraft Deutsch¬
lands und dann in der stets mit großem Geschick erreichten moralischen und
diplomatischen Jsolirung seines Gegners. Die in der schätzbaren Schrift
Toegels für die Neutralität Niederlands empfohlene Garantie einer Zolleini¬
gung mit Deutschland leidet dagegen durchaus an dem Fehler der Unaus-
führbarkeit. Unsrer Empfindung wäre ein solcher Schritt gleichbedeutend mit
unsrer Mediatisirung. Wenn die deutschen Königreiche sich aus bitterer Noth¬
wendigkeit und aus Rücksichten für die Partieularsinanzen — keineswegs aus
Nationalgefühl — schließlich in die unbarmherzige Logik der deutschen Zoll¬
einheit fügen mußten, so sind unsere Verhältnisse denn doch himmelweit ver¬
schieden. Die Vortheile, die eine Zolleinigung mit Deutschland bieten könnte,
würden, bei der Stimmung des Landes, noch lieber in einer Handelseinheit
mit Frankreich und selbst England gesucht werden. Uns ist das gemeinsame
Stammesbewußtsein in vierhundertjähriger Trennung vom deutschen Reiche
verloren gegangen. Die Zeiten der Trennung füllen die stolzesten Blätter
unsrer Geschichte. Und wenn selbst der Altniederländer jemals sich dazu ver¬
stände, mit Deutschland auf Gedeih und Verderb Maskopei zu schließen:
könnte Deutschland jemals dazu die Hand bieten? Die größte Weisheit und
die größte Stärke der preußischen Handelspolitik hat von Anfang an in der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/518>, abgerufen am 24.08.2024.