Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

vinzen verlieren wir natürlich deren Steuerkraft und wehrfähige Mannschaft
und unser kleines Heer steht dann in ringsum überschwemmten Forts und
kann sich hier "doodspartelen", ohne daß der Feind deßhalb unsre Wasser¬
linien irgend uneinnehmbar finden wird. Den langen Widerstand wird der
Feind mit der Annexion Holland belohnen, um ähnlichen Angriffen für^die
Zukunft zu begegnen. Der Verfasser empfiehlt deßhalb die Versagung aller
Militairausgaben und die Resignation in die Erkenntniß, daß die Annexion
an Deutschland noch bei weitem besser sei, als unser kostspieliges Klein-Staatje-
Spielen. Das ist nun freilich kein Heilmittel. Denn Deutschland denkt nicht
an Annexion, und Niederland verzichtet um keinen Preis auf sein Staatje-
Spielen, sondern ruft entrüstet: Da sehe man wieder deutlich Preußens Rauh¬
pläne. Denn daß der dreiste Preisbewerber im geheimen Solde Bismarck's
steht, ist natürlich selbstverständlich. Auch ist dieser Abtrünnige noch anderweit
hart gestraft worden. Denn erstens hat er natürlich den Preis des patrio¬
tischen Komiti von Utrecht nicht erhalten. Zweitens aber sind die höchsten
militairischen Autoritäten Niederlands mit durchaus entgegengesetzten Ansichten
angetreten. Vor Allem General Knoop, der in seiner Schrift über den mili¬
tairischen Zustand Niederlands in 1871 ein rosenfarbenes Bild unserer Streit¬
kräfte entrollt, unter zahlreichen Seitenhieben gegen das verhaßte Preußen und
seinen im letzten Kriege kundgegebenen Barbarismus. -- Eine andere jüngere
militärische Autorität gibt zwar die Reformbedürftigkeit unsrer militärischen
Einrichtungen stellenweise zu, reclamirt für uns aber die Nationaltugend, einen
Jnfanteristen in einem Jahre vollständig kriegstüchtig auszubilden, während
der im Vergleich zu dem schlanken und beweglichen Niederländer vierschrötige und
schwerfällige Deutsche natürlich seine drei Jahre Dienstzeit fernerweit aufrecht
erhalten muß. -- Aber die kräftigste Zurückweisung der ketzerischen Ansichten
des obenangeführten Preisbewerbers finden wir jedenfalls in der Schrift des
Oberstlieutenants der Artillerie Zeegers-Beeckens, der ein Recept für die Ver¬
theidigung Niederlands gegen Deutschland aufstellt, welches sich dreist jenen
Jagdregeln der "Fliegenden Blätter" an die Seite stellen kann, wie man einen
Löwen, ein Kameel fängt und dergleichen. -- Herr Zeeger-Veeckens macht
nämlich Front gegen die auch in unsern strategischen Kreisen allmählig ge¬
meingültig gewordene Ansicht, daß sich die Mellinie nicht länger als wenige
Tage vertheidigen lasse. Herr Veeckens betrachtet vielmehr die Assel als die
natürliche Vertheidigungsbasis Niederlands und zwar so: Man besetzt das
ganze linke Melufer mit Geschützen und schießt auch wirklich damit soviel man
kann. Der Feind findet das unangenehm, und versucht das Feuer zu bewäl¬
tigen, damit verräth er sich und es ist nun wenigstens keine Ueberraschung mehr
zu fürchten, was schon sehr werthvoll ist. Natürlich bleibt das Uebergewicht
an Artilleriefeuer auf unserer Seite und macht dem Feinde das Schlagen von


vinzen verlieren wir natürlich deren Steuerkraft und wehrfähige Mannschaft
und unser kleines Heer steht dann in ringsum überschwemmten Forts und
kann sich hier „doodspartelen", ohne daß der Feind deßhalb unsre Wasser¬
linien irgend uneinnehmbar finden wird. Den langen Widerstand wird der
Feind mit der Annexion Holland belohnen, um ähnlichen Angriffen für^die
Zukunft zu begegnen. Der Verfasser empfiehlt deßhalb die Versagung aller
Militairausgaben und die Resignation in die Erkenntniß, daß die Annexion
an Deutschland noch bei weitem besser sei, als unser kostspieliges Klein-Staatje-
Spielen. Das ist nun freilich kein Heilmittel. Denn Deutschland denkt nicht
an Annexion, und Niederland verzichtet um keinen Preis auf sein Staatje-
Spielen, sondern ruft entrüstet: Da sehe man wieder deutlich Preußens Rauh¬
pläne. Denn daß der dreiste Preisbewerber im geheimen Solde Bismarck's
steht, ist natürlich selbstverständlich. Auch ist dieser Abtrünnige noch anderweit
hart gestraft worden. Denn erstens hat er natürlich den Preis des patrio¬
tischen Komiti von Utrecht nicht erhalten. Zweitens aber sind die höchsten
militairischen Autoritäten Niederlands mit durchaus entgegengesetzten Ansichten
angetreten. Vor Allem General Knoop, der in seiner Schrift über den mili¬
tairischen Zustand Niederlands in 1871 ein rosenfarbenes Bild unserer Streit¬
kräfte entrollt, unter zahlreichen Seitenhieben gegen das verhaßte Preußen und
seinen im letzten Kriege kundgegebenen Barbarismus. — Eine andere jüngere
militärische Autorität gibt zwar die Reformbedürftigkeit unsrer militärischen
Einrichtungen stellenweise zu, reclamirt für uns aber die Nationaltugend, einen
Jnfanteristen in einem Jahre vollständig kriegstüchtig auszubilden, während
der im Vergleich zu dem schlanken und beweglichen Niederländer vierschrötige und
schwerfällige Deutsche natürlich seine drei Jahre Dienstzeit fernerweit aufrecht
erhalten muß. — Aber die kräftigste Zurückweisung der ketzerischen Ansichten
des obenangeführten Preisbewerbers finden wir jedenfalls in der Schrift des
Oberstlieutenants der Artillerie Zeegers-Beeckens, der ein Recept für die Ver¬
theidigung Niederlands gegen Deutschland aufstellt, welches sich dreist jenen
Jagdregeln der „Fliegenden Blätter" an die Seite stellen kann, wie man einen
Löwen, ein Kameel fängt und dergleichen. — Herr Zeeger-Veeckens macht
nämlich Front gegen die auch in unsern strategischen Kreisen allmählig ge¬
meingültig gewordene Ansicht, daß sich die Mellinie nicht länger als wenige
Tage vertheidigen lasse. Herr Veeckens betrachtet vielmehr die Assel als die
natürliche Vertheidigungsbasis Niederlands und zwar so: Man besetzt das
ganze linke Melufer mit Geschützen und schießt auch wirklich damit soviel man
kann. Der Feind findet das unangenehm, und versucht das Feuer zu bewäl¬
tigen, damit verräth er sich und es ist nun wenigstens keine Ueberraschung mehr
zu fürchten, was schon sehr werthvoll ist. Natürlich bleibt das Uebergewicht
an Artilleriefeuer auf unserer Seite und macht dem Feinde das Schlagen von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0515" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/129507"/>
          <p xml:id="ID_1619" prev="#ID_1618" next="#ID_1620"> vinzen verlieren wir natürlich deren Steuerkraft und wehrfähige Mannschaft<lb/>
und unser kleines Heer steht dann in ringsum überschwemmten Forts und<lb/>
kann sich hier &#x201E;doodspartelen", ohne daß der Feind deßhalb unsre Wasser¬<lb/>
linien irgend uneinnehmbar finden wird. Den langen Widerstand wird der<lb/>
Feind mit der Annexion Holland belohnen, um ähnlichen Angriffen für^die<lb/>
Zukunft zu begegnen. Der Verfasser empfiehlt deßhalb die Versagung aller<lb/>
Militairausgaben und die Resignation in die Erkenntniß, daß die Annexion<lb/>
an Deutschland noch bei weitem besser sei, als unser kostspieliges Klein-Staatje-<lb/>
Spielen. Das ist nun freilich kein Heilmittel. Denn Deutschland denkt nicht<lb/>
an Annexion, und Niederland verzichtet um keinen Preis auf sein Staatje-<lb/>
Spielen, sondern ruft entrüstet: Da sehe man wieder deutlich Preußens Rauh¬<lb/>
pläne. Denn daß der dreiste Preisbewerber im geheimen Solde Bismarck's<lb/>
steht, ist natürlich selbstverständlich. Auch ist dieser Abtrünnige noch anderweit<lb/>
hart gestraft worden. Denn erstens hat er natürlich den Preis des patrio¬<lb/>
tischen Komiti von Utrecht nicht erhalten. Zweitens aber sind die höchsten<lb/>
militairischen Autoritäten Niederlands mit durchaus entgegengesetzten Ansichten<lb/>
angetreten. Vor Allem General Knoop, der in seiner Schrift über den mili¬<lb/>
tairischen Zustand Niederlands in 1871 ein rosenfarbenes Bild unserer Streit¬<lb/>
kräfte entrollt, unter zahlreichen Seitenhieben gegen das verhaßte Preußen und<lb/>
seinen im letzten Kriege kundgegebenen Barbarismus. &#x2014; Eine andere jüngere<lb/>
militärische Autorität gibt zwar die Reformbedürftigkeit unsrer militärischen<lb/>
Einrichtungen stellenweise zu, reclamirt für uns aber die Nationaltugend, einen<lb/>
Jnfanteristen in einem Jahre vollständig kriegstüchtig auszubilden, während<lb/>
der im Vergleich zu dem schlanken und beweglichen Niederländer vierschrötige und<lb/>
schwerfällige Deutsche natürlich seine drei Jahre Dienstzeit fernerweit aufrecht<lb/>
erhalten muß. &#x2014; Aber die kräftigste Zurückweisung der ketzerischen Ansichten<lb/>
des obenangeführten Preisbewerbers finden wir jedenfalls in der Schrift des<lb/>
Oberstlieutenants der Artillerie Zeegers-Beeckens, der ein Recept für die Ver¬<lb/>
theidigung Niederlands gegen Deutschland aufstellt, welches sich dreist jenen<lb/>
Jagdregeln der &#x201E;Fliegenden Blätter" an die Seite stellen kann, wie man einen<lb/>
Löwen, ein Kameel fängt und dergleichen. &#x2014; Herr Zeeger-Veeckens macht<lb/>
nämlich Front gegen die auch in unsern strategischen Kreisen allmählig ge¬<lb/>
meingültig gewordene Ansicht, daß sich die Mellinie nicht länger als wenige<lb/>
Tage vertheidigen lasse. Herr Veeckens betrachtet vielmehr die Assel als die<lb/>
natürliche Vertheidigungsbasis Niederlands und zwar so: Man besetzt das<lb/>
ganze linke Melufer mit Geschützen und schießt auch wirklich damit soviel man<lb/>
kann. Der Feind findet das unangenehm, und versucht das Feuer zu bewäl¬<lb/>
tigen, damit verräth er sich und es ist nun wenigstens keine Ueberraschung mehr<lb/>
zu fürchten, was schon sehr werthvoll ist. Natürlich bleibt das Uebergewicht<lb/>
an Artilleriefeuer auf unserer Seite und macht dem Feinde das Schlagen von</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0515] vinzen verlieren wir natürlich deren Steuerkraft und wehrfähige Mannschaft und unser kleines Heer steht dann in ringsum überschwemmten Forts und kann sich hier „doodspartelen", ohne daß der Feind deßhalb unsre Wasser¬ linien irgend uneinnehmbar finden wird. Den langen Widerstand wird der Feind mit der Annexion Holland belohnen, um ähnlichen Angriffen für^die Zukunft zu begegnen. Der Verfasser empfiehlt deßhalb die Versagung aller Militairausgaben und die Resignation in die Erkenntniß, daß die Annexion an Deutschland noch bei weitem besser sei, als unser kostspieliges Klein-Staatje- Spielen. Das ist nun freilich kein Heilmittel. Denn Deutschland denkt nicht an Annexion, und Niederland verzichtet um keinen Preis auf sein Staatje- Spielen, sondern ruft entrüstet: Da sehe man wieder deutlich Preußens Rauh¬ pläne. Denn daß der dreiste Preisbewerber im geheimen Solde Bismarck's steht, ist natürlich selbstverständlich. Auch ist dieser Abtrünnige noch anderweit hart gestraft worden. Denn erstens hat er natürlich den Preis des patrio¬ tischen Komiti von Utrecht nicht erhalten. Zweitens aber sind die höchsten militairischen Autoritäten Niederlands mit durchaus entgegengesetzten Ansichten angetreten. Vor Allem General Knoop, der in seiner Schrift über den mili¬ tairischen Zustand Niederlands in 1871 ein rosenfarbenes Bild unserer Streit¬ kräfte entrollt, unter zahlreichen Seitenhieben gegen das verhaßte Preußen und seinen im letzten Kriege kundgegebenen Barbarismus. — Eine andere jüngere militärische Autorität gibt zwar die Reformbedürftigkeit unsrer militärischen Einrichtungen stellenweise zu, reclamirt für uns aber die Nationaltugend, einen Jnfanteristen in einem Jahre vollständig kriegstüchtig auszubilden, während der im Vergleich zu dem schlanken und beweglichen Niederländer vierschrötige und schwerfällige Deutsche natürlich seine drei Jahre Dienstzeit fernerweit aufrecht erhalten muß. — Aber die kräftigste Zurückweisung der ketzerischen Ansichten des obenangeführten Preisbewerbers finden wir jedenfalls in der Schrift des Oberstlieutenants der Artillerie Zeegers-Beeckens, der ein Recept für die Ver¬ theidigung Niederlands gegen Deutschland aufstellt, welches sich dreist jenen Jagdregeln der „Fliegenden Blätter" an die Seite stellen kann, wie man einen Löwen, ein Kameel fängt und dergleichen. — Herr Zeeger-Veeckens macht nämlich Front gegen die auch in unsern strategischen Kreisen allmählig ge¬ meingültig gewordene Ansicht, daß sich die Mellinie nicht länger als wenige Tage vertheidigen lasse. Herr Veeckens betrachtet vielmehr die Assel als die natürliche Vertheidigungsbasis Niederlands und zwar so: Man besetzt das ganze linke Melufer mit Geschützen und schießt auch wirklich damit soviel man kann. Der Feind findet das unangenehm, und versucht das Feuer zu bewäl¬ tigen, damit verräth er sich und es ist nun wenigstens keine Ueberraschung mehr zu fürchten, was schon sehr werthvoll ist. Natürlich bleibt das Uebergewicht an Artilleriefeuer auf unserer Seite und macht dem Feinde das Schlagen von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/515
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/515>, abgerufen am 24.08.2024.