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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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die Schule des Lebens, insbesondere durch die harten Stöße des Flücht¬
lingslebens dieser kindlichen Stücken und Schrullen los und ein ganzer
Mann geworden, den wir uns viel lieber unter den Lebenden als unter den
Schatten denken. Vielleicht würde es ihm dann auch vergönnt sein, einige
Borurtheile und Sonderbarkeiten ganz abzustreifen, die sich bei ihm aus der
umnebelten Vergangenheit in das klare Licht der Gegenwart so mit
fortgeschleppt haben, wie es uns wunderlichen Menschenkindern ja insgemein
zu ergehen pflegt. Dahin rechnen wir z. B. seine starke Idiosynkrasie gegen
einen Mann, mit dem er in allen Fundamenten seiner heiligsten Ueberzeugung
völlig übereinstimmt, gegen Mathy. Er sigurirt^auch noch in dem Sommer¬
tagebuch von 1872 unter demselben schmeichelhaften Titel: "Judas Mathy",
den er sich am 8. April 1848 auf dem Bahnhof von Constanz durch die Ver¬
haftung Ficklers erworben. Eben solche Atavismen, um in dem jetzt beliebten
Kauderwelsch zu reden, sind die hier und da eingestreuten Ausfälle gegen die
zwei nützlichsten pädagogischen Institute der deutschen Volkserziehung, gegen
den preußischen Zopf und die preußische Korporalität. Da schlägt denn doch
das ideale Bummlerthum unserer guten süddeutschen Landsleute etwas stark
über die Schnur. Denn unser würdiger Freund ist sonst gescheidt genug um
die Tüchtigkeit des preußischen Wesens, die gesunde Kraft des preußischen
Staatsgeistes nach ihrem ganzen Werthe zu verstehen, d. h. zu erkennen, daß
nur durch sie allein die deutsche Nation vor der völligen Verlumpung gerettet und
auf eine Bahn gebracht worden ist, auf der ihr, falls sie nur selbst will, das höchste
Ziel zu erreichen vom Schicksal verstattet wird. Aber es spuken auch bei ihm
noch die alten Phrasen von der Verpreußung Deutschlands, ja sogar noch et¬
was von jenem komischen Hochmuth mancher Süddeutschen, die sich, wie einst das
Manuscript aus Süddeutschland oder die Helden der Allemania von 1816 als
das eigentliche reine Deutschland dunkle. Daher auch bei ihm manche andere min¬
destens phantastische Vorstellungen über die Zustände im Norden hegen, die doch
so leicht durch eine Reise dahin und einen Aufenthalt von einigen Wochen um
Land und Leute von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen, berichtigt werden
könnten. Dazu entschließt sich freilich ein ächter Süddeutscher unendlich schwerer,
als zu der doppelt oder vierfach so langen Fahrt nach Paris oder Nom oder Nea¬
pel, vielleicht auch, weil es doch gar zu unbequem und beschämend ist, sich eines
gründlichen Irrthums überführt zu fehen. Denn bisher ist uns noch kein ein-
ziger unserer speciellen Landsleute aus dem Süden vorgekommen -- voraus¬
gesetzt natürlich, daß es ein ehrliches Gemüth und kein schwarzer oder rother
Molch war -- der nicht in diesem Falle völlig bekehrt zurückgekommen wäre und
umgekehrt vielleicht des Guten etwas zu viel in überschwänglichem Preise des
Nordens gethan hätte. Jedenfalls ist das aber nützlicher und wird der famo¬
sen Mainbrücke die immer noch sehr nöthige Festigkeit viel sicherer geben, als


die Schule des Lebens, insbesondere durch die harten Stöße des Flücht¬
lingslebens dieser kindlichen Stücken und Schrullen los und ein ganzer
Mann geworden, den wir uns viel lieber unter den Lebenden als unter den
Schatten denken. Vielleicht würde es ihm dann auch vergönnt sein, einige
Borurtheile und Sonderbarkeiten ganz abzustreifen, die sich bei ihm aus der
umnebelten Vergangenheit in das klare Licht der Gegenwart so mit
fortgeschleppt haben, wie es uns wunderlichen Menschenkindern ja insgemein
zu ergehen pflegt. Dahin rechnen wir z. B. seine starke Idiosynkrasie gegen
einen Mann, mit dem er in allen Fundamenten seiner heiligsten Ueberzeugung
völlig übereinstimmt, gegen Mathy. Er sigurirt^auch noch in dem Sommer¬
tagebuch von 1872 unter demselben schmeichelhaften Titel: „Judas Mathy",
den er sich am 8. April 1848 auf dem Bahnhof von Constanz durch die Ver¬
haftung Ficklers erworben. Eben solche Atavismen, um in dem jetzt beliebten
Kauderwelsch zu reden, sind die hier und da eingestreuten Ausfälle gegen die
zwei nützlichsten pädagogischen Institute der deutschen Volkserziehung, gegen
den preußischen Zopf und die preußische Korporalität. Da schlägt denn doch
das ideale Bummlerthum unserer guten süddeutschen Landsleute etwas stark
über die Schnur. Denn unser würdiger Freund ist sonst gescheidt genug um
die Tüchtigkeit des preußischen Wesens, die gesunde Kraft des preußischen
Staatsgeistes nach ihrem ganzen Werthe zu verstehen, d. h. zu erkennen, daß
nur durch sie allein die deutsche Nation vor der völligen Verlumpung gerettet und
auf eine Bahn gebracht worden ist, auf der ihr, falls sie nur selbst will, das höchste
Ziel zu erreichen vom Schicksal verstattet wird. Aber es spuken auch bei ihm
noch die alten Phrasen von der Verpreußung Deutschlands, ja sogar noch et¬
was von jenem komischen Hochmuth mancher Süddeutschen, die sich, wie einst das
Manuscript aus Süddeutschland oder die Helden der Allemania von 1816 als
das eigentliche reine Deutschland dunkle. Daher auch bei ihm manche andere min¬
destens phantastische Vorstellungen über die Zustände im Norden hegen, die doch
so leicht durch eine Reise dahin und einen Aufenthalt von einigen Wochen um
Land und Leute von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen, berichtigt werden
könnten. Dazu entschließt sich freilich ein ächter Süddeutscher unendlich schwerer,
als zu der doppelt oder vierfach so langen Fahrt nach Paris oder Nom oder Nea¬
pel, vielleicht auch, weil es doch gar zu unbequem und beschämend ist, sich eines
gründlichen Irrthums überführt zu fehen. Denn bisher ist uns noch kein ein-
ziger unserer speciellen Landsleute aus dem Süden vorgekommen — voraus¬
gesetzt natürlich, daß es ein ehrliches Gemüth und kein schwarzer oder rother
Molch war — der nicht in diesem Falle völlig bekehrt zurückgekommen wäre und
umgekehrt vielleicht des Guten etwas zu viel in überschwänglichem Preise des
Nordens gethan hätte. Jedenfalls ist das aber nützlicher und wird der famo¬
sen Mainbrücke die immer noch sehr nöthige Festigkeit viel sicherer geben, als


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[0511] die Schule des Lebens, insbesondere durch die harten Stöße des Flücht¬ lingslebens dieser kindlichen Stücken und Schrullen los und ein ganzer Mann geworden, den wir uns viel lieber unter den Lebenden als unter den Schatten denken. Vielleicht würde es ihm dann auch vergönnt sein, einige Borurtheile und Sonderbarkeiten ganz abzustreifen, die sich bei ihm aus der umnebelten Vergangenheit in das klare Licht der Gegenwart so mit fortgeschleppt haben, wie es uns wunderlichen Menschenkindern ja insgemein zu ergehen pflegt. Dahin rechnen wir z. B. seine starke Idiosynkrasie gegen einen Mann, mit dem er in allen Fundamenten seiner heiligsten Ueberzeugung völlig übereinstimmt, gegen Mathy. Er sigurirt^auch noch in dem Sommer¬ tagebuch von 1872 unter demselben schmeichelhaften Titel: „Judas Mathy", den er sich am 8. April 1848 auf dem Bahnhof von Constanz durch die Ver¬ haftung Ficklers erworben. Eben solche Atavismen, um in dem jetzt beliebten Kauderwelsch zu reden, sind die hier und da eingestreuten Ausfälle gegen die zwei nützlichsten pädagogischen Institute der deutschen Volkserziehung, gegen den preußischen Zopf und die preußische Korporalität. Da schlägt denn doch das ideale Bummlerthum unserer guten süddeutschen Landsleute etwas stark über die Schnur. Denn unser würdiger Freund ist sonst gescheidt genug um die Tüchtigkeit des preußischen Wesens, die gesunde Kraft des preußischen Staatsgeistes nach ihrem ganzen Werthe zu verstehen, d. h. zu erkennen, daß nur durch sie allein die deutsche Nation vor der völligen Verlumpung gerettet und auf eine Bahn gebracht worden ist, auf der ihr, falls sie nur selbst will, das höchste Ziel zu erreichen vom Schicksal verstattet wird. Aber es spuken auch bei ihm noch die alten Phrasen von der Verpreußung Deutschlands, ja sogar noch et¬ was von jenem komischen Hochmuth mancher Süddeutschen, die sich, wie einst das Manuscript aus Süddeutschland oder die Helden der Allemania von 1816 als das eigentliche reine Deutschland dunkle. Daher auch bei ihm manche andere min¬ destens phantastische Vorstellungen über die Zustände im Norden hegen, die doch so leicht durch eine Reise dahin und einen Aufenthalt von einigen Wochen um Land und Leute von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen, berichtigt werden könnten. Dazu entschließt sich freilich ein ächter Süddeutscher unendlich schwerer, als zu der doppelt oder vierfach so langen Fahrt nach Paris oder Nom oder Nea¬ pel, vielleicht auch, weil es doch gar zu unbequem und beschämend ist, sich eines gründlichen Irrthums überführt zu fehen. Denn bisher ist uns noch kein ein- ziger unserer speciellen Landsleute aus dem Süden vorgekommen — voraus¬ gesetzt natürlich, daß es ein ehrliches Gemüth und kein schwarzer oder rother Molch war — der nicht in diesem Falle völlig bekehrt zurückgekommen wäre und umgekehrt vielleicht des Guten etwas zu viel in überschwänglichem Preise des Nordens gethan hätte. Jedenfalls ist das aber nützlicher und wird der famo¬ sen Mainbrücke die immer noch sehr nöthige Festigkeit viel sicherer geben, als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/511>, abgerufen am 24.08.2024.