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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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streichen. Nicht zu rechnen, daß auch noch sonst durch das Beisammensein so
Vieler während der Messe reiche Gelegenheit zu Übertragungen und Kompen¬
sationen lediglich durch Umschreibung gegeben war. Was das heißt, wissen
wir heute ganz genau. Aber auch jene Zeit begriff es. Mit Emphase rühmt
der Jesuit Azorius, in den Augen der Juristen einer der besten Kenner
des Wechselwesens, als das Merkwürdigste an der Messe, daß fast ohne alles
Baargeld eine solche Menge von Geschäften durch bloße Umschreibung abgewickelt
werde. -- Nach dem Resultate der Notirungen und Ausgleichungen in jenem
Memorial hatte dann ferner ein Jeder die Bilanz zu ziehen und dem Meßma¬
gistrat einzureichen. Sie schloß entweder mit einer Avance, einem Aktivsaldo,
oder mit einem Manco, Passivsaldo. Der letztere war binnen acht Tagen zu
decken. Meist geschah das durch neue Wechselausstellung. Sonst drohte Fallit-
erklärung. Man sieht, die Bereinigung der Bilanzen wurde gleichsam als
eine öffentliche Angelegenheit der Messe behandelt.

Der zweite Tag war bestimmt für die Fixirung des Preises oder Kurses
der Wechsel, welche von der Messe nach irgend einem Orte hin, oder
von Messe zu Messe ausgestellt wurden. Hierin erblickten selbst die Juristen
die wichtigste Aufgabe der Messe. Dieser Kursfestsetzung korrespondirte in den
bedeutenden Plätzen, die mit der Messe in Verkehr standen, wie namentlich
Genua, eine Tarifirung des rechten Durchschnittskurses, welche von dazu er¬
wählten Notabeln mit den nach der Messe hinlaufenden Wechseln vorgenommen
wurde. Was weiter sich noch anschloß an den übrigen Tagen: öffentlicher
Ausruf der Schuldner, die Bezahlung der Passivsaldo's, die, wie bereits
bemerkt, fast niemals durch baares Geld, sondern wieder durch Wechsel geschah,
Protestaufnahmen, Exekutionen nach einem sehr kurzen Verfahren, welches
das "meßartig erpedirt" in ganz Italien sprüchwörtlich machte, erscheint zwar
nicht unwichtig; aber doch auch nicht, wie später lange irrig geglaubt wurde,
als die Wesenheit, ja nicht einmal als eine Eigenthümlichkeit des Wechsels.
Dagegen war die öffentliche Kursbestimmung etwas durchaus Wesentliches.
Alle berechtigten Meßbesucher wurden zu diesem Behufe mit ihrer Ansicht ge¬
hört und hatten nach bestem Wissen mit abzustimmen. Durch die Geschäfts¬
leute der verschiedenen Städte und Länder gewann man so den Ueberblick über
die allgemeinen und die besonderen Geldverhältnisse. Man sah. ob und wo
Ueberfluß oder Mangel des baaren Geldes, Angebot oder Nachfrage nach
Wechseln herrschte.

Darnach hauptsächlich richtete sich jetzt die Preisbildung, während die
früher maßgebenden Momente, Entfernung des Zahlungsortes vom Orte der
Ausstellung, die Gefahr des Transportes, kurz die J'lec der im Wechsel
steckenden Arbeit des Bankiers, zwar noch mit Berücksichtigung fand, aber


streichen. Nicht zu rechnen, daß auch noch sonst durch das Beisammensein so
Vieler während der Messe reiche Gelegenheit zu Übertragungen und Kompen¬
sationen lediglich durch Umschreibung gegeben war. Was das heißt, wissen
wir heute ganz genau. Aber auch jene Zeit begriff es. Mit Emphase rühmt
der Jesuit Azorius, in den Augen der Juristen einer der besten Kenner
des Wechselwesens, als das Merkwürdigste an der Messe, daß fast ohne alles
Baargeld eine solche Menge von Geschäften durch bloße Umschreibung abgewickelt
werde. — Nach dem Resultate der Notirungen und Ausgleichungen in jenem
Memorial hatte dann ferner ein Jeder die Bilanz zu ziehen und dem Meßma¬
gistrat einzureichen. Sie schloß entweder mit einer Avance, einem Aktivsaldo,
oder mit einem Manco, Passivsaldo. Der letztere war binnen acht Tagen zu
decken. Meist geschah das durch neue Wechselausstellung. Sonst drohte Fallit-
erklärung. Man sieht, die Bereinigung der Bilanzen wurde gleichsam als
eine öffentliche Angelegenheit der Messe behandelt.

Der zweite Tag war bestimmt für die Fixirung des Preises oder Kurses
der Wechsel, welche von der Messe nach irgend einem Orte hin, oder
von Messe zu Messe ausgestellt wurden. Hierin erblickten selbst die Juristen
die wichtigste Aufgabe der Messe. Dieser Kursfestsetzung korrespondirte in den
bedeutenden Plätzen, die mit der Messe in Verkehr standen, wie namentlich
Genua, eine Tarifirung des rechten Durchschnittskurses, welche von dazu er¬
wählten Notabeln mit den nach der Messe hinlaufenden Wechseln vorgenommen
wurde. Was weiter sich noch anschloß an den übrigen Tagen: öffentlicher
Ausruf der Schuldner, die Bezahlung der Passivsaldo's, die, wie bereits
bemerkt, fast niemals durch baares Geld, sondern wieder durch Wechsel geschah,
Protestaufnahmen, Exekutionen nach einem sehr kurzen Verfahren, welches
das „meßartig erpedirt" in ganz Italien sprüchwörtlich machte, erscheint zwar
nicht unwichtig; aber doch auch nicht, wie später lange irrig geglaubt wurde,
als die Wesenheit, ja nicht einmal als eine Eigenthümlichkeit des Wechsels.
Dagegen war die öffentliche Kursbestimmung etwas durchaus Wesentliches.
Alle berechtigten Meßbesucher wurden zu diesem Behufe mit ihrer Ansicht ge¬
hört und hatten nach bestem Wissen mit abzustimmen. Durch die Geschäfts¬
leute der verschiedenen Städte und Länder gewann man so den Ueberblick über
die allgemeinen und die besonderen Geldverhältnisse. Man sah. ob und wo
Ueberfluß oder Mangel des baaren Geldes, Angebot oder Nachfrage nach
Wechseln herrschte.

Darnach hauptsächlich richtete sich jetzt die Preisbildung, während die
früher maßgebenden Momente, Entfernung des Zahlungsortes vom Orte der
Ausstellung, die Gefahr des Transportes, kurz die J'lec der im Wechsel
steckenden Arbeit des Bankiers, zwar noch mit Berücksichtigung fand, aber


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[0499] streichen. Nicht zu rechnen, daß auch noch sonst durch das Beisammensein so Vieler während der Messe reiche Gelegenheit zu Übertragungen und Kompen¬ sationen lediglich durch Umschreibung gegeben war. Was das heißt, wissen wir heute ganz genau. Aber auch jene Zeit begriff es. Mit Emphase rühmt der Jesuit Azorius, in den Augen der Juristen einer der besten Kenner des Wechselwesens, als das Merkwürdigste an der Messe, daß fast ohne alles Baargeld eine solche Menge von Geschäften durch bloße Umschreibung abgewickelt werde. — Nach dem Resultate der Notirungen und Ausgleichungen in jenem Memorial hatte dann ferner ein Jeder die Bilanz zu ziehen und dem Meßma¬ gistrat einzureichen. Sie schloß entweder mit einer Avance, einem Aktivsaldo, oder mit einem Manco, Passivsaldo. Der letztere war binnen acht Tagen zu decken. Meist geschah das durch neue Wechselausstellung. Sonst drohte Fallit- erklärung. Man sieht, die Bereinigung der Bilanzen wurde gleichsam als eine öffentliche Angelegenheit der Messe behandelt. Der zweite Tag war bestimmt für die Fixirung des Preises oder Kurses der Wechsel, welche von der Messe nach irgend einem Orte hin, oder von Messe zu Messe ausgestellt wurden. Hierin erblickten selbst die Juristen die wichtigste Aufgabe der Messe. Dieser Kursfestsetzung korrespondirte in den bedeutenden Plätzen, die mit der Messe in Verkehr standen, wie namentlich Genua, eine Tarifirung des rechten Durchschnittskurses, welche von dazu er¬ wählten Notabeln mit den nach der Messe hinlaufenden Wechseln vorgenommen wurde. Was weiter sich noch anschloß an den übrigen Tagen: öffentlicher Ausruf der Schuldner, die Bezahlung der Passivsaldo's, die, wie bereits bemerkt, fast niemals durch baares Geld, sondern wieder durch Wechsel geschah, Protestaufnahmen, Exekutionen nach einem sehr kurzen Verfahren, welches das „meßartig erpedirt" in ganz Italien sprüchwörtlich machte, erscheint zwar nicht unwichtig; aber doch auch nicht, wie später lange irrig geglaubt wurde, als die Wesenheit, ja nicht einmal als eine Eigenthümlichkeit des Wechsels. Dagegen war die öffentliche Kursbestimmung etwas durchaus Wesentliches. Alle berechtigten Meßbesucher wurden zu diesem Behufe mit ihrer Ansicht ge¬ hört und hatten nach bestem Wissen mit abzustimmen. Durch die Geschäfts¬ leute der verschiedenen Städte und Länder gewann man so den Ueberblick über die allgemeinen und die besonderen Geldverhältnisse. Man sah. ob und wo Ueberfluß oder Mangel des baaren Geldes, Angebot oder Nachfrage nach Wechseln herrschte. Darnach hauptsächlich richtete sich jetzt die Preisbildung, während die früher maßgebenden Momente, Entfernung des Zahlungsortes vom Orte der Ausstellung, die Gefahr des Transportes, kurz die J'lec der im Wechsel steckenden Arbeit des Bankiers, zwar noch mit Berücksichtigung fand, aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/499>, abgerufen am 24.08.2024.