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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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gänzlichen Verfalle, nachdem inmittelst dem Wechselmarkt eine mehr als ge-
fährliche Konkurrenz erwachsen war.

Um dem feindlichen Frankreich einen recht empfindlichen Schlag zu ver¬
setzen, beschloß nämlich Kaiser Karl V. den Wechselverkehr Lyon zu ent¬
reißen. Er etablirte 1537 auf burgundischen Boden, also unter seinem
Scepter, die Messe zu Besancon. Es gelang ihm, zu diesem Behufe die
Genueser, die nicht minder mit Frankreich ein Hühnchen zu pflücken hatten,
bei denen aber auch die handelspolitische Nebenbuhlerschaft gegen die in
Lyon mächtigen Florentiner ins Gewicht fiel, für die neue Messe zu gewinnen;
indem er ihnen werthvolle Vorrechte verlieh, ja eigentlich die Leitung anver¬
traute. Die Messe von Besancon wär eigens und ausschließlich für den Wechsel
bestimmt. Das heißt: Bis dahin nur als Hülfsgeschäft des Waarenhandels
angesehen, war er von nun an ein selbständiges Geldgeschäft. Im Jahre 1597
verlegten dann die Genueser diese, wie sie sagten, ihre Messe von Besancon
nach Piacenza. Herzog Rainutio Farnese hieß sie herzlich willkommen und
ließ sie noch unumschränkter schalten, als weiland Karl V. Warum aber
die Genueser nicht das stolze Genua wählten? Die Urwort ist leicht. Noch
lebte das Wucherdogma so sehr, daß die Ortsdistanz durchaus aufrecht
erhalten werden mußte. Wollten die Genueser zu Genua in Wechseln speku-
liren, so mußte nothwendig der Platz, auf den sie zogen, ein anderer sein
als ihre Stadt. Und dazu war Piacenza gelegen. Zu Anfang des 17. Jahr¬
hunderts war das eambium Meentinum der maßgebende Typus aller
echten Wechsel. Aber noch dasselbe Jahrhundert sah 1648 die Messe nach
Novi übersiedeln, ja überhaupt die Organisation und den Wechsel der Messe
der Vergessenheit entgegensinken. Nichtsdestoweniger darf das Institut der
Wechselmessen noch heute unser Interesse in Anspruch nehmen. Vielleicht ge¬
lingt es mir, davon einigermaßen zu überzeugen.

Die Ursache ihrer Entstehung wird von den Schriftstellern mit Verständniß
erklärt. Die Erschließung beider Indien, sagen sie, überschüttete Spanien und
Europa mit Gold und Silber. Bei dem Wachsthum des Handels hätte es
überall der lästigen Geldtransporte bedurft. Für die Bemühungen der Kauf¬
leute, sich diese zu ersparen, war nichts angemessener, als ein Mittelpunkt,
wie ihn die Messe darbot. Die vereinzelten Bankiers an den Hauptplätzen ver¬
mochten nicht mehr dem Bedürfniß zu genügen. Vor allem ließ sich am ein¬
zelnen Orte die Konjunctur, das Verhältniß von Angebot und Nachfrage
des Geldes, worauf es doch ankommt, unmöglich hinreichend taxiren. Seit
die Messe da ist, heißt es weiter, kann erst mit Sicherheit über die Meßbörse
hin Zahlung nach den fernsten Gegenden besorgt, kann erst auf der Messe
erkannt werden, wie es da oder dort mit dem Vorrath oder dem Mangel an
Geld aussieht. In Verbindung mit der Messe zu Piacenza existirte zu Genua
in der Bankiersstraße ein offenes Bureau für den Handel mit Meßwechseln.


gänzlichen Verfalle, nachdem inmittelst dem Wechselmarkt eine mehr als ge-
fährliche Konkurrenz erwachsen war.

Um dem feindlichen Frankreich einen recht empfindlichen Schlag zu ver¬
setzen, beschloß nämlich Kaiser Karl V. den Wechselverkehr Lyon zu ent¬
reißen. Er etablirte 1537 auf burgundischen Boden, also unter seinem
Scepter, die Messe zu Besancon. Es gelang ihm, zu diesem Behufe die
Genueser, die nicht minder mit Frankreich ein Hühnchen zu pflücken hatten,
bei denen aber auch die handelspolitische Nebenbuhlerschaft gegen die in
Lyon mächtigen Florentiner ins Gewicht fiel, für die neue Messe zu gewinnen;
indem er ihnen werthvolle Vorrechte verlieh, ja eigentlich die Leitung anver¬
traute. Die Messe von Besancon wär eigens und ausschließlich für den Wechsel
bestimmt. Das heißt: Bis dahin nur als Hülfsgeschäft des Waarenhandels
angesehen, war er von nun an ein selbständiges Geldgeschäft. Im Jahre 1597
verlegten dann die Genueser diese, wie sie sagten, ihre Messe von Besancon
nach Piacenza. Herzog Rainutio Farnese hieß sie herzlich willkommen und
ließ sie noch unumschränkter schalten, als weiland Karl V. Warum aber
die Genueser nicht das stolze Genua wählten? Die Urwort ist leicht. Noch
lebte das Wucherdogma so sehr, daß die Ortsdistanz durchaus aufrecht
erhalten werden mußte. Wollten die Genueser zu Genua in Wechseln speku-
liren, so mußte nothwendig der Platz, auf den sie zogen, ein anderer sein
als ihre Stadt. Und dazu war Piacenza gelegen. Zu Anfang des 17. Jahr¬
hunderts war das eambium Meentinum der maßgebende Typus aller
echten Wechsel. Aber noch dasselbe Jahrhundert sah 1648 die Messe nach
Novi übersiedeln, ja überhaupt die Organisation und den Wechsel der Messe
der Vergessenheit entgegensinken. Nichtsdestoweniger darf das Institut der
Wechselmessen noch heute unser Interesse in Anspruch nehmen. Vielleicht ge¬
lingt es mir, davon einigermaßen zu überzeugen.

Die Ursache ihrer Entstehung wird von den Schriftstellern mit Verständniß
erklärt. Die Erschließung beider Indien, sagen sie, überschüttete Spanien und
Europa mit Gold und Silber. Bei dem Wachsthum des Handels hätte es
überall der lästigen Geldtransporte bedurft. Für die Bemühungen der Kauf¬
leute, sich diese zu ersparen, war nichts angemessener, als ein Mittelpunkt,
wie ihn die Messe darbot. Die vereinzelten Bankiers an den Hauptplätzen ver¬
mochten nicht mehr dem Bedürfniß zu genügen. Vor allem ließ sich am ein¬
zelnen Orte die Konjunctur, das Verhältniß von Angebot und Nachfrage
des Geldes, worauf es doch ankommt, unmöglich hinreichend taxiren. Seit
die Messe da ist, heißt es weiter, kann erst mit Sicherheit über die Meßbörse
hin Zahlung nach den fernsten Gegenden besorgt, kann erst auf der Messe
erkannt werden, wie es da oder dort mit dem Vorrath oder dem Mangel an
Geld aussieht. In Verbindung mit der Messe zu Piacenza existirte zu Genua
in der Bankiersstraße ein offenes Bureau für den Handel mit Meßwechseln.


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[0496] gänzlichen Verfalle, nachdem inmittelst dem Wechselmarkt eine mehr als ge- fährliche Konkurrenz erwachsen war. Um dem feindlichen Frankreich einen recht empfindlichen Schlag zu ver¬ setzen, beschloß nämlich Kaiser Karl V. den Wechselverkehr Lyon zu ent¬ reißen. Er etablirte 1537 auf burgundischen Boden, also unter seinem Scepter, die Messe zu Besancon. Es gelang ihm, zu diesem Behufe die Genueser, die nicht minder mit Frankreich ein Hühnchen zu pflücken hatten, bei denen aber auch die handelspolitische Nebenbuhlerschaft gegen die in Lyon mächtigen Florentiner ins Gewicht fiel, für die neue Messe zu gewinnen; indem er ihnen werthvolle Vorrechte verlieh, ja eigentlich die Leitung anver¬ traute. Die Messe von Besancon wär eigens und ausschließlich für den Wechsel bestimmt. Das heißt: Bis dahin nur als Hülfsgeschäft des Waarenhandels angesehen, war er von nun an ein selbständiges Geldgeschäft. Im Jahre 1597 verlegten dann die Genueser diese, wie sie sagten, ihre Messe von Besancon nach Piacenza. Herzog Rainutio Farnese hieß sie herzlich willkommen und ließ sie noch unumschränkter schalten, als weiland Karl V. Warum aber die Genueser nicht das stolze Genua wählten? Die Urwort ist leicht. Noch lebte das Wucherdogma so sehr, daß die Ortsdistanz durchaus aufrecht erhalten werden mußte. Wollten die Genueser zu Genua in Wechseln speku- liren, so mußte nothwendig der Platz, auf den sie zogen, ein anderer sein als ihre Stadt. Und dazu war Piacenza gelegen. Zu Anfang des 17. Jahr¬ hunderts war das eambium Meentinum der maßgebende Typus aller echten Wechsel. Aber noch dasselbe Jahrhundert sah 1648 die Messe nach Novi übersiedeln, ja überhaupt die Organisation und den Wechsel der Messe der Vergessenheit entgegensinken. Nichtsdestoweniger darf das Institut der Wechselmessen noch heute unser Interesse in Anspruch nehmen. Vielleicht ge¬ lingt es mir, davon einigermaßen zu überzeugen. Die Ursache ihrer Entstehung wird von den Schriftstellern mit Verständniß erklärt. Die Erschließung beider Indien, sagen sie, überschüttete Spanien und Europa mit Gold und Silber. Bei dem Wachsthum des Handels hätte es überall der lästigen Geldtransporte bedurft. Für die Bemühungen der Kauf¬ leute, sich diese zu ersparen, war nichts angemessener, als ein Mittelpunkt, wie ihn die Messe darbot. Die vereinzelten Bankiers an den Hauptplätzen ver¬ mochten nicht mehr dem Bedürfniß zu genügen. Vor allem ließ sich am ein¬ zelnen Orte die Konjunctur, das Verhältniß von Angebot und Nachfrage des Geldes, worauf es doch ankommt, unmöglich hinreichend taxiren. Seit die Messe da ist, heißt es weiter, kann erst mit Sicherheit über die Meßbörse hin Zahlung nach den fernsten Gegenden besorgt, kann erst auf der Messe erkannt werden, wie es da oder dort mit dem Vorrath oder dem Mangel an Geld aussieht. In Verbindung mit der Messe zu Piacenza existirte zu Genua in der Bankiersstraße ein offenes Bureau für den Handel mit Meßwechseln.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/496>, abgerufen am 24.08.2024.