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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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zu ersparen. Man verschaffte sich von dem Wechsler des einen Ortes eine
Anweisung auf das Comtoir desselben Hauses oder eines Geschäftsfreundes
am andern Orte. Bezeichnendermaßen sind einige der ältesten Exemplare
Wechsel zwischen Italien und Alexandrien, Tunis und tgi. Der Aufmerk¬
samkeit der Schriftsteller entging es keineswegs, daß je mehr sich der Handel
ausbreitete und die Entfernungen zunahmen, Ersatz der direkten Zahlung
durch Briefübertragung immer nothwendiger wurde.

Allein die Schwierigkeit des Transports baarer Münze, die Sorge vor
Wegelagerern und Piraten, die Unsicherheit des öffentlichen Wesens erklärt
wohl den Gebrauch der Anweisung, aber noch nicht speziell den des Wechsels.
Um diesen zu erzeugen bedürfte es noch eines besonderen Bodens und einer
besonderen Luft. Dieser Boden war der Zustand des Geldes, d. i. nach da¬
maligen Begriffen: die Münzen, -- anderes Geld kannte man noch nicht,
als gemünztes, -- diese Luft das kanonische Verbot des Zinswuchers, welches
als Glaubens- und Rechtsgesetz unbedingte Herrschaft ausübte.

Jeder Territorialherr, groß oder klein, hatte Kraft seiner Souveränität
das Recht, Münzen zu schlagen. Durch Verleihung oder Verjährung kam
dasselbe noch in viele andere Hände. Daraus entsprang eine Vielheit der
Münzen, mit der verglichen die Mannigfaltigkeit, über welche wir uns noch
vor einigen Jahrzehnten bei einer Reise durch Deutschland oder durch die
Schweiz scandalisirten, gering erscheint. Da gab es goldene und silberne
Gulden, Ducaten, Livres, Scudi und wie sie alle heißen, viele Arten wieder
mit allerlei lokalen und territorialen Abänderungen vorkommend. Diese gleich¬
benannte Münze hatte häufig an verschiedenen Orten eine verschiedene Bedeutung.
Mit der Buntschecktgkeit ging aber überdies Hand in Hand eine große Unzu-
verlässigkeit des Edelmetallgehaltes. Nach der herrschenden kanonischen Lehre
lag das Wesen des Geldes in der äußeren Präge. Wozu sie der Münzherr
durch sein Werthzeichen machte, das mußte sie im Umkreis seiner Macht gel¬
ten. Wie verführerisch daher, die Münzen an Gold und Silber geringhal¬
tiger zu fabriziren! Die Unterthanen mußten sie ja doch für Ducaten, Scudi,
Gulden nehmen. Es ist hier nicht der Ort, den Umfang, die Folgen, die
häufig wiederholten Klagen über diese Kalamität der Münzverschlechterung,
die im 14. Jahrhundert besonders arg war, näher darzustellen. Unserem
Zwecke genügt es, zu erkennen, daß daraus unerträgliche Werthschwankungen
und große Schwierigkeiten der Werthausgleichung hervorgingen. Der Zwang,
den Nominalwerth zu respektiren, reichte nur bis an die Grenze des Terri¬
toriums. Selbst in diesem, wegen der Vielheit der kursierenden Münzen, jeden¬
falls aber im Verkehre mit fremden Orten, hatte der Kaufmann sehr zu über¬
legen, welche Münze für seine Geschäfte nothwendig, nach dem Verhältniß
der verschiedenen Sorten untereinander, oder nach Maßgabe des erkannten


zu ersparen. Man verschaffte sich von dem Wechsler des einen Ortes eine
Anweisung auf das Comtoir desselben Hauses oder eines Geschäftsfreundes
am andern Orte. Bezeichnendermaßen sind einige der ältesten Exemplare
Wechsel zwischen Italien und Alexandrien, Tunis und tgi. Der Aufmerk¬
samkeit der Schriftsteller entging es keineswegs, daß je mehr sich der Handel
ausbreitete und die Entfernungen zunahmen, Ersatz der direkten Zahlung
durch Briefübertragung immer nothwendiger wurde.

Allein die Schwierigkeit des Transports baarer Münze, die Sorge vor
Wegelagerern und Piraten, die Unsicherheit des öffentlichen Wesens erklärt
wohl den Gebrauch der Anweisung, aber noch nicht speziell den des Wechsels.
Um diesen zu erzeugen bedürfte es noch eines besonderen Bodens und einer
besonderen Luft. Dieser Boden war der Zustand des Geldes, d. i. nach da¬
maligen Begriffen: die Münzen, — anderes Geld kannte man noch nicht,
als gemünztes, — diese Luft das kanonische Verbot des Zinswuchers, welches
als Glaubens- und Rechtsgesetz unbedingte Herrschaft ausübte.

Jeder Territorialherr, groß oder klein, hatte Kraft seiner Souveränität
das Recht, Münzen zu schlagen. Durch Verleihung oder Verjährung kam
dasselbe noch in viele andere Hände. Daraus entsprang eine Vielheit der
Münzen, mit der verglichen die Mannigfaltigkeit, über welche wir uns noch
vor einigen Jahrzehnten bei einer Reise durch Deutschland oder durch die
Schweiz scandalisirten, gering erscheint. Da gab es goldene und silberne
Gulden, Ducaten, Livres, Scudi und wie sie alle heißen, viele Arten wieder
mit allerlei lokalen und territorialen Abänderungen vorkommend. Diese gleich¬
benannte Münze hatte häufig an verschiedenen Orten eine verschiedene Bedeutung.
Mit der Buntschecktgkeit ging aber überdies Hand in Hand eine große Unzu-
verlässigkeit des Edelmetallgehaltes. Nach der herrschenden kanonischen Lehre
lag das Wesen des Geldes in der äußeren Präge. Wozu sie der Münzherr
durch sein Werthzeichen machte, das mußte sie im Umkreis seiner Macht gel¬
ten. Wie verführerisch daher, die Münzen an Gold und Silber geringhal¬
tiger zu fabriziren! Die Unterthanen mußten sie ja doch für Ducaten, Scudi,
Gulden nehmen. Es ist hier nicht der Ort, den Umfang, die Folgen, die
häufig wiederholten Klagen über diese Kalamität der Münzverschlechterung,
die im 14. Jahrhundert besonders arg war, näher darzustellen. Unserem
Zwecke genügt es, zu erkennen, daß daraus unerträgliche Werthschwankungen
und große Schwierigkeiten der Werthausgleichung hervorgingen. Der Zwang,
den Nominalwerth zu respektiren, reichte nur bis an die Grenze des Terri¬
toriums. Selbst in diesem, wegen der Vielheit der kursierenden Münzen, jeden¬
falls aber im Verkehre mit fremden Orten, hatte der Kaufmann sehr zu über¬
legen, welche Münze für seine Geschäfte nothwendig, nach dem Verhältniß
der verschiedenen Sorten untereinander, oder nach Maßgabe des erkannten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/492>, abgerufen am 24.08.2024.