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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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scher und blos specieller betrachten. Diese Auffassung ist jedoch recht
charakteristisch für den ultramontan klerikalen Standpunkt. Der gebil¬
dete Mensch kann sich die Sorge für das Seelenheil nicht anders den¬
ken, als daß sie den Mittelpunkt des geistigen Lebens zu erfassen sucht,
dessen verschiedenartige Strahlen sie demnach zu beherrschen im Stande
sein muß. Der jesuitisch ultramontane Standpunkt aber denkt sich die Seel¬
sorge -- ja es ist schwer zu sagen wie: als eine vom ganzen geistigen Leben
losgelöste, auf Aberglauben und Magie beruhende Einwirkung. Der Staat
erfüllt unseres Erachtens eine kategorische Pflicht, wenn er verlangt, daß die
Seelsorger die Nahrungsquellen des geistigen Lebens, aus denen die Gemeinde
getränkt ist, kennen und aus ihnen selbst getränkt sein sollen. Mögen sie das
Bessern hinzufügen, wenn sie können. Aber sie sollen die Saat nicht aufs
Geradewohl ausstreuen, sondern auf einen Boden, der ihnen vertraut ist.

Bitter ertönte auch die klerikale Klage über die verbotene Errichtung
neuer Knabenseminare und Complete. Die Redner des Centrums wußten den
kirchlichen Alumnaten die besten Früchte nachzurühmen. Um die Ungerechtig¬
keit des Verbotes darzuthun, beriefen sich dieselben Redner wiederholt auf die
Kadettenhäuser. Wenn man im Kindesalter künftige Soldaten erzieht, warum
nicht auch künftige Geistliche? Uns dünkt, der Unterschied liegt doch auf der
Hand. Man darf dem Kindesalter eine technische Specialität aner¬
ziehen, aber nicht eine moralische Einseitigkeit. Zu dem geistlichen
Beruf gehört der bewußte Entschluß des mündigen Alters. Der Soldaten¬
beruf, wenn irrthümlich ergriffen, kann leichter vertauscht werden, als der
geistliche. Mit seiner Aufgabe ist keine Gewissensangst und kein moralischer
Konflikt verbunden, wenn der Zögling inne wird, daß ihm der Beruf zum
Soldaten mangelt.

Am 13. März wurde die Berathung und Beschlußfassung über das Ge¬
setz fortgesetzt und am 14. März beendigt. Die Annahme erfolgte überall
nach den Vorschlägen der Commission. Erhebliche Zwischenfälle aus der Be¬
rathung sind nicht zu berichten. Am 14. März begann sodann die Berathung
der zweiten kirchlichen Vorlage, betreffend die kirchliche Disciplinargewalt und
die Errichtung eines Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten. Ehe wir
jedoch auf diese Verhandlung eingehen, müssen wir die Verhandlungen des
Herrenhauses in dieser Woche verfolgen.

Hier stand am 10. März die vom Abgeordnetenhaus beantragte Abän¬
derung der Artikel 13 und 18 der preußischen Verfassungsurkunde zur Bera¬
thung. Der Leser erinnert sich, um was es sich handelt. Nämlich bei Ar¬
tikel 16, welcher den Religionsgesellschaften die selbständige Ordnung und Ver¬
waltung ihrer Angelegenheiten zusagt, um den Zusatz, daß die Religionsge¬
sellschaften den Staatsgesetzen und der gesetzlich geordneten Aufsicht des Staates


scher und blos specieller betrachten. Diese Auffassung ist jedoch recht
charakteristisch für den ultramontan klerikalen Standpunkt. Der gebil¬
dete Mensch kann sich die Sorge für das Seelenheil nicht anders den¬
ken, als daß sie den Mittelpunkt des geistigen Lebens zu erfassen sucht,
dessen verschiedenartige Strahlen sie demnach zu beherrschen im Stande
sein muß. Der jesuitisch ultramontane Standpunkt aber denkt sich die Seel¬
sorge — ja es ist schwer zu sagen wie: als eine vom ganzen geistigen Leben
losgelöste, auf Aberglauben und Magie beruhende Einwirkung. Der Staat
erfüllt unseres Erachtens eine kategorische Pflicht, wenn er verlangt, daß die
Seelsorger die Nahrungsquellen des geistigen Lebens, aus denen die Gemeinde
getränkt ist, kennen und aus ihnen selbst getränkt sein sollen. Mögen sie das
Bessern hinzufügen, wenn sie können. Aber sie sollen die Saat nicht aufs
Geradewohl ausstreuen, sondern auf einen Boden, der ihnen vertraut ist.

Bitter ertönte auch die klerikale Klage über die verbotene Errichtung
neuer Knabenseminare und Complete. Die Redner des Centrums wußten den
kirchlichen Alumnaten die besten Früchte nachzurühmen. Um die Ungerechtig¬
keit des Verbotes darzuthun, beriefen sich dieselben Redner wiederholt auf die
Kadettenhäuser. Wenn man im Kindesalter künftige Soldaten erzieht, warum
nicht auch künftige Geistliche? Uns dünkt, der Unterschied liegt doch auf der
Hand. Man darf dem Kindesalter eine technische Specialität aner¬
ziehen, aber nicht eine moralische Einseitigkeit. Zu dem geistlichen
Beruf gehört der bewußte Entschluß des mündigen Alters. Der Soldaten¬
beruf, wenn irrthümlich ergriffen, kann leichter vertauscht werden, als der
geistliche. Mit seiner Aufgabe ist keine Gewissensangst und kein moralischer
Konflikt verbunden, wenn der Zögling inne wird, daß ihm der Beruf zum
Soldaten mangelt.

Am 13. März wurde die Berathung und Beschlußfassung über das Ge¬
setz fortgesetzt und am 14. März beendigt. Die Annahme erfolgte überall
nach den Vorschlägen der Commission. Erhebliche Zwischenfälle aus der Be¬
rathung sind nicht zu berichten. Am 14. März begann sodann die Berathung
der zweiten kirchlichen Vorlage, betreffend die kirchliche Disciplinargewalt und
die Errichtung eines Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten. Ehe wir
jedoch auf diese Verhandlung eingehen, müssen wir die Verhandlungen des
Herrenhauses in dieser Woche verfolgen.

Hier stand am 10. März die vom Abgeordnetenhaus beantragte Abän¬
derung der Artikel 13 und 18 der preußischen Verfassungsurkunde zur Bera¬
thung. Der Leser erinnert sich, um was es sich handelt. Nämlich bei Ar¬
tikel 16, welcher den Religionsgesellschaften die selbständige Ordnung und Ver¬
waltung ihrer Angelegenheiten zusagt, um den Zusatz, daß die Religionsge¬
sellschaften den Staatsgesetzen und der gesetzlich geordneten Aufsicht des Staates


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[0480] scher und blos specieller betrachten. Diese Auffassung ist jedoch recht charakteristisch für den ultramontan klerikalen Standpunkt. Der gebil¬ dete Mensch kann sich die Sorge für das Seelenheil nicht anders den¬ ken, als daß sie den Mittelpunkt des geistigen Lebens zu erfassen sucht, dessen verschiedenartige Strahlen sie demnach zu beherrschen im Stande sein muß. Der jesuitisch ultramontane Standpunkt aber denkt sich die Seel¬ sorge — ja es ist schwer zu sagen wie: als eine vom ganzen geistigen Leben losgelöste, auf Aberglauben und Magie beruhende Einwirkung. Der Staat erfüllt unseres Erachtens eine kategorische Pflicht, wenn er verlangt, daß die Seelsorger die Nahrungsquellen des geistigen Lebens, aus denen die Gemeinde getränkt ist, kennen und aus ihnen selbst getränkt sein sollen. Mögen sie das Bessern hinzufügen, wenn sie können. Aber sie sollen die Saat nicht aufs Geradewohl ausstreuen, sondern auf einen Boden, der ihnen vertraut ist. Bitter ertönte auch die klerikale Klage über die verbotene Errichtung neuer Knabenseminare und Complete. Die Redner des Centrums wußten den kirchlichen Alumnaten die besten Früchte nachzurühmen. Um die Ungerechtig¬ keit des Verbotes darzuthun, beriefen sich dieselben Redner wiederholt auf die Kadettenhäuser. Wenn man im Kindesalter künftige Soldaten erzieht, warum nicht auch künftige Geistliche? Uns dünkt, der Unterschied liegt doch auf der Hand. Man darf dem Kindesalter eine technische Specialität aner¬ ziehen, aber nicht eine moralische Einseitigkeit. Zu dem geistlichen Beruf gehört der bewußte Entschluß des mündigen Alters. Der Soldaten¬ beruf, wenn irrthümlich ergriffen, kann leichter vertauscht werden, als der geistliche. Mit seiner Aufgabe ist keine Gewissensangst und kein moralischer Konflikt verbunden, wenn der Zögling inne wird, daß ihm der Beruf zum Soldaten mangelt. Am 13. März wurde die Berathung und Beschlußfassung über das Ge¬ setz fortgesetzt und am 14. März beendigt. Die Annahme erfolgte überall nach den Vorschlägen der Commission. Erhebliche Zwischenfälle aus der Be¬ rathung sind nicht zu berichten. Am 14. März begann sodann die Berathung der zweiten kirchlichen Vorlage, betreffend die kirchliche Disciplinargewalt und die Errichtung eines Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten. Ehe wir jedoch auf diese Verhandlung eingehen, müssen wir die Verhandlungen des Herrenhauses in dieser Woche verfolgen. Hier stand am 10. März die vom Abgeordnetenhaus beantragte Abän¬ derung der Artikel 13 und 18 der preußischen Verfassungsurkunde zur Bera¬ thung. Der Leser erinnert sich, um was es sich handelt. Nämlich bei Ar¬ tikel 16, welcher den Religionsgesellschaften die selbständige Ordnung und Ver¬ waltung ihrer Angelegenheiten zusagt, um den Zusatz, daß die Religionsge¬ sellschaften den Staatsgesetzen und der gesetzlich geordneten Aufsicht des Staates

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/480>, abgerufen am 24.08.2024.