Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

in der Nähe des Schiffes. Das Fleisch der ersteren bereicherte die Tafel um
einige arktische Gerichte, denen man im Vollgefühl kultivirterer Kost, noch die
heimathlichen Speise-Traditionen kritisch gegenüber stellte. Unaufhaltsam und
willenlos trieb man nach Süden, und legte in den sieben Tagen vom 21. bis
28. Juli 72 Seemeilen -- wovon vier auf eine deutsche Meile gehen -- zu¬
rück. Am 28. Juli erblickten die Hansamänner zum ersten Male die dunkle
Felsenküste von Grönland, von Kap Broer Ruys bis Kap James, die ge-
zeichnet wurde. Man war schon bis 72°S6' nördlicher Breite und 16"S4'
westlicher Länge getrieben. Aber Tag für Tag, wie in offener See, buchten
die pflichttreuen Officiere ihre meteorologischen Beobachtungen, die in Ver¬
bindung mit denjenigen der Germania sich sehr werthvoll erwiesen.

Die Zeit vom Ende Juli bis zum 7. September ist als die Epoche zu
bezeichnen, in welcher die unerschrockenen Führer der Hansa immer wieder von
neuem die Durchbrechung des Eises, und, ihrer Instruction gemäß, die Wieder¬
gewinnung von 78° nördlicher Breite und das Ansegeln der Sabine-Insel
anstreben. Sie führten dieß, im loseren Eise stellenweise frei segelnd, mit
solchem Erfolge aus, daß sie am 27. August -- wie sich später herausstellte
-- der Germania auf höchstens 34 Seemeilen Entfernung (in etwa 74°20'
nördlicher Breite und 16°S0' westlicher Länge) nahe kamen und noch am S.
September wahrscheinlich die Küste im freien Wasser hätten erreichen können,
wenn sie Dampf gehabt hätten. So aber, da Eis, Nebel und Windstille
die Hansa am Abend festlegten, war dieß ihre letzte Segelung. Am folgenden
Tage schon lag sie zwischen zwei Vorsprüngen eines großen Eisfeldes, das
später ihrer Mannschaft Rettungsfloß werden sollte, und es begann nun die
vollständige Eisbesetzung des Schiffes.

So schmerzlich der Mannschaft, und namentlich den Gelehrten, die immer
steigende Gewißheit der Ueberwinterung im Eise, dem Kapitän und seinen
Officieren die Wahrscheinlichkeit des Verlustes ihres guten Schiffes war, und
so rührend sich diese Stimmung, die stillgefaßte Vorbereitung auf Tod und
Verderben in den im vorliegenden Werke mitgetheilten Tagebuchblättern unsrer
Seefahrer ausspricht: der seemännische Humor, die Lebensfreude und der
Thatenmuth ist ihnen dennoch niemals ausgegangen. Eine Menge sprechen¬
der Züge sind uns aus diesen Tagen mitgetheilt. Schon Ende Juli hatte
man einen jungen Seehund gefangen, den man Jakob taufte, und der acht
Tage beim Schiffe blieb. Da das kleine niedliche Thier indessen durchaus keine
Nahrung zu sich nehmen wollte, setzte man ihn an einer Eisscholle aus.
Aber er kam, mitunter tauchend, immer wieder ans Schiff, wie um sich für
die gewonnene Freiheit zu bedanken. Bären wurden zahlreich geschossen und
lieferten vortreffliche Schinken. Ein junger Bär wurde lebend gefangen und
an den Eisanker festgekettet, wie ein Hund. Man baute ihm ein Schneehaus


in der Nähe des Schiffes. Das Fleisch der ersteren bereicherte die Tafel um
einige arktische Gerichte, denen man im Vollgefühl kultivirterer Kost, noch die
heimathlichen Speise-Traditionen kritisch gegenüber stellte. Unaufhaltsam und
willenlos trieb man nach Süden, und legte in den sieben Tagen vom 21. bis
28. Juli 72 Seemeilen — wovon vier auf eine deutsche Meile gehen — zu¬
rück. Am 28. Juli erblickten die Hansamänner zum ersten Male die dunkle
Felsenküste von Grönland, von Kap Broer Ruys bis Kap James, die ge-
zeichnet wurde. Man war schon bis 72°S6' nördlicher Breite und 16"S4'
westlicher Länge getrieben. Aber Tag für Tag, wie in offener See, buchten
die pflichttreuen Officiere ihre meteorologischen Beobachtungen, die in Ver¬
bindung mit denjenigen der Germania sich sehr werthvoll erwiesen.

Die Zeit vom Ende Juli bis zum 7. September ist als die Epoche zu
bezeichnen, in welcher die unerschrockenen Führer der Hansa immer wieder von
neuem die Durchbrechung des Eises, und, ihrer Instruction gemäß, die Wieder¬
gewinnung von 78° nördlicher Breite und das Ansegeln der Sabine-Insel
anstreben. Sie führten dieß, im loseren Eise stellenweise frei segelnd, mit
solchem Erfolge aus, daß sie am 27. August — wie sich später herausstellte
— der Germania auf höchstens 34 Seemeilen Entfernung (in etwa 74°20'
nördlicher Breite und 16°S0' westlicher Länge) nahe kamen und noch am S.
September wahrscheinlich die Küste im freien Wasser hätten erreichen können,
wenn sie Dampf gehabt hätten. So aber, da Eis, Nebel und Windstille
die Hansa am Abend festlegten, war dieß ihre letzte Segelung. Am folgenden
Tage schon lag sie zwischen zwei Vorsprüngen eines großen Eisfeldes, das
später ihrer Mannschaft Rettungsfloß werden sollte, und es begann nun die
vollständige Eisbesetzung des Schiffes.

So schmerzlich der Mannschaft, und namentlich den Gelehrten, die immer
steigende Gewißheit der Ueberwinterung im Eise, dem Kapitän und seinen
Officieren die Wahrscheinlichkeit des Verlustes ihres guten Schiffes war, und
so rührend sich diese Stimmung, die stillgefaßte Vorbereitung auf Tod und
Verderben in den im vorliegenden Werke mitgetheilten Tagebuchblättern unsrer
Seefahrer ausspricht: der seemännische Humor, die Lebensfreude und der
Thatenmuth ist ihnen dennoch niemals ausgegangen. Eine Menge sprechen¬
der Züge sind uns aus diesen Tagen mitgetheilt. Schon Ende Juli hatte
man einen jungen Seehund gefangen, den man Jakob taufte, und der acht
Tage beim Schiffe blieb. Da das kleine niedliche Thier indessen durchaus keine
Nahrung zu sich nehmen wollte, setzte man ihn an einer Eisscholle aus.
Aber er kam, mitunter tauchend, immer wieder ans Schiff, wie um sich für
die gewonnene Freiheit zu bedanken. Bären wurden zahlreich geschossen und
lieferten vortreffliche Schinken. Ein junger Bär wurde lebend gefangen und
an den Eisanker festgekettet, wie ein Hund. Man baute ihm ein Schneehaus


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0462" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/129454"/>
          <p xml:id="ID_1465" prev="#ID_1464"> in der Nähe des Schiffes. Das Fleisch der ersteren bereicherte die Tafel um<lb/>
einige arktische Gerichte, denen man im Vollgefühl kultivirterer Kost, noch die<lb/>
heimathlichen Speise-Traditionen kritisch gegenüber stellte. Unaufhaltsam und<lb/>
willenlos trieb man nach Süden, und legte in den sieben Tagen vom 21. bis<lb/>
28. Juli 72 Seemeilen &#x2014; wovon vier auf eine deutsche Meile gehen &#x2014; zu¬<lb/>
rück. Am 28. Juli erblickten die Hansamänner zum ersten Male die dunkle<lb/>
Felsenküste von Grönland, von Kap Broer Ruys bis Kap James, die ge-<lb/>
zeichnet wurde. Man war schon bis 72°S6' nördlicher Breite und 16"S4'<lb/>
westlicher Länge getrieben. Aber Tag für Tag, wie in offener See, buchten<lb/>
die pflichttreuen Officiere ihre meteorologischen Beobachtungen, die in Ver¬<lb/>
bindung mit denjenigen der Germania sich sehr werthvoll erwiesen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1466"> Die Zeit vom Ende Juli bis zum 7. September ist als die Epoche zu<lb/>
bezeichnen, in welcher die unerschrockenen Führer der Hansa immer wieder von<lb/>
neuem die Durchbrechung des Eises, und, ihrer Instruction gemäß, die Wieder¬<lb/>
gewinnung von 78° nördlicher Breite und das Ansegeln der Sabine-Insel<lb/>
anstreben. Sie führten dieß, im loseren Eise stellenweise frei segelnd, mit<lb/>
solchem Erfolge aus, daß sie am 27. August &#x2014; wie sich später herausstellte<lb/>
&#x2014; der Germania auf höchstens 34 Seemeilen Entfernung (in etwa 74°20'<lb/>
nördlicher Breite und 16°S0' westlicher Länge) nahe kamen und noch am S.<lb/>
September wahrscheinlich die Küste im freien Wasser hätten erreichen können,<lb/>
wenn sie Dampf gehabt hätten. So aber, da Eis, Nebel und Windstille<lb/>
die Hansa am Abend festlegten, war dieß ihre letzte Segelung. Am folgenden<lb/>
Tage schon lag sie zwischen zwei Vorsprüngen eines großen Eisfeldes, das<lb/>
später ihrer Mannschaft Rettungsfloß werden sollte, und es begann nun die<lb/>
vollständige Eisbesetzung des Schiffes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1467" next="#ID_1468"> So schmerzlich der Mannschaft, und namentlich den Gelehrten, die immer<lb/>
steigende Gewißheit der Ueberwinterung im Eise, dem Kapitän und seinen<lb/>
Officieren die Wahrscheinlichkeit des Verlustes ihres guten Schiffes war, und<lb/>
so rührend sich diese Stimmung, die stillgefaßte Vorbereitung auf Tod und<lb/>
Verderben in den im vorliegenden Werke mitgetheilten Tagebuchblättern unsrer<lb/>
Seefahrer ausspricht: der seemännische Humor, die Lebensfreude und der<lb/>
Thatenmuth ist ihnen dennoch niemals ausgegangen. Eine Menge sprechen¬<lb/>
der Züge sind uns aus diesen Tagen mitgetheilt. Schon Ende Juli hatte<lb/>
man einen jungen Seehund gefangen, den man Jakob taufte, und der acht<lb/>
Tage beim Schiffe blieb. Da das kleine niedliche Thier indessen durchaus keine<lb/>
Nahrung zu sich nehmen wollte, setzte man ihn an einer Eisscholle aus.<lb/>
Aber er kam, mitunter tauchend, immer wieder ans Schiff, wie um sich für<lb/>
die gewonnene Freiheit zu bedanken. Bären wurden zahlreich geschossen und<lb/>
lieferten vortreffliche Schinken. Ein junger Bär wurde lebend gefangen und<lb/>
an den Eisanker festgekettet, wie ein Hund. Man baute ihm ein Schneehaus</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0462] in der Nähe des Schiffes. Das Fleisch der ersteren bereicherte die Tafel um einige arktische Gerichte, denen man im Vollgefühl kultivirterer Kost, noch die heimathlichen Speise-Traditionen kritisch gegenüber stellte. Unaufhaltsam und willenlos trieb man nach Süden, und legte in den sieben Tagen vom 21. bis 28. Juli 72 Seemeilen — wovon vier auf eine deutsche Meile gehen — zu¬ rück. Am 28. Juli erblickten die Hansamänner zum ersten Male die dunkle Felsenküste von Grönland, von Kap Broer Ruys bis Kap James, die ge- zeichnet wurde. Man war schon bis 72°S6' nördlicher Breite und 16"S4' westlicher Länge getrieben. Aber Tag für Tag, wie in offener See, buchten die pflichttreuen Officiere ihre meteorologischen Beobachtungen, die in Ver¬ bindung mit denjenigen der Germania sich sehr werthvoll erwiesen. Die Zeit vom Ende Juli bis zum 7. September ist als die Epoche zu bezeichnen, in welcher die unerschrockenen Führer der Hansa immer wieder von neuem die Durchbrechung des Eises, und, ihrer Instruction gemäß, die Wieder¬ gewinnung von 78° nördlicher Breite und das Ansegeln der Sabine-Insel anstreben. Sie führten dieß, im loseren Eise stellenweise frei segelnd, mit solchem Erfolge aus, daß sie am 27. August — wie sich später herausstellte — der Germania auf höchstens 34 Seemeilen Entfernung (in etwa 74°20' nördlicher Breite und 16°S0' westlicher Länge) nahe kamen und noch am S. September wahrscheinlich die Küste im freien Wasser hätten erreichen können, wenn sie Dampf gehabt hätten. So aber, da Eis, Nebel und Windstille die Hansa am Abend festlegten, war dieß ihre letzte Segelung. Am folgenden Tage schon lag sie zwischen zwei Vorsprüngen eines großen Eisfeldes, das später ihrer Mannschaft Rettungsfloß werden sollte, und es begann nun die vollständige Eisbesetzung des Schiffes. So schmerzlich der Mannschaft, und namentlich den Gelehrten, die immer steigende Gewißheit der Ueberwinterung im Eise, dem Kapitän und seinen Officieren die Wahrscheinlichkeit des Verlustes ihres guten Schiffes war, und so rührend sich diese Stimmung, die stillgefaßte Vorbereitung auf Tod und Verderben in den im vorliegenden Werke mitgetheilten Tagebuchblättern unsrer Seefahrer ausspricht: der seemännische Humor, die Lebensfreude und der Thatenmuth ist ihnen dennoch niemals ausgegangen. Eine Menge sprechen¬ der Züge sind uns aus diesen Tagen mitgetheilt. Schon Ende Juli hatte man einen jungen Seehund gefangen, den man Jakob taufte, und der acht Tage beim Schiffe blieb. Da das kleine niedliche Thier indessen durchaus keine Nahrung zu sich nehmen wollte, setzte man ihn an einer Eisscholle aus. Aber er kam, mitunter tauchend, immer wieder ans Schiff, wie um sich für die gewonnene Freiheit zu bedanken. Bären wurden zahlreich geschossen und lieferten vortreffliche Schinken. Ein junger Bär wurde lebend gefangen und an den Eisanker festgekettet, wie ein Hund. Man baute ihm ein Schneehaus

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/462
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/462>, abgerufen am 24.08.2024.